zu sein. Dabei ereigneten sich oft ganz komische Scenen und ich
sehe Graf Waldbnrg noch, wie er vor dem Burchatpasse unter den
ausgespannten, blauen baumwollenen Regenschirm eines Kirghisen
schlüpfte und gearmt mit dessen Besitzer ein Stück Weges ritt.
Der unermüdliche Tenorist unter der Kosakenkapelle war von uns
,-,Wachtel“ getauft worden; ein überaus ehrwürdiger Kirghisen-
sultahn, der trotz seiner 70 Jahre die Beschwerden dieser Reise für
Nichts erachtete, wegen seines langen schneeweissen Bartes „Rübezahl“
u. s. w. Kurzum es fehlte nicht an Scherzen mit diesen
Natursöhnen, die wie alle solche, aus vollkommen berechtigten
praktischen Gründen Fremde sofort mit Spitznamen belegen. So
hatte ich die nicht ganz motivirte Benennung ,. Koch“ desshalb erhalten,
weil ich, in Ermangelung eines Präparators Thiere seihst
abbalgen musste, während Dr. Brehm einen die Prägnanz seiner Nase
bezeichnenden Namen führte.
Bei dem sehr kurzen Tagemarsche von gestern war heut
(9. Juni) um so mehr nachzuholen. Als wir früh 6'/2 Uhr auf-
brachen-, regnete es wenigstens nicht, aber die tief herabhängenden
dichten Wolken deuteten auf wenig Bestand des Wetters. Die
Scenerie, durch welche wir zogen, war im Ganzen dieselbe als gestern:
sumpfige Hoch wiesen, ausgedehnte Wälder, hier mit Unterholz und
noch fusstiefem Schnee, kahle felsige Vorgebirge mit oft nichts
weniger als angenehmen Passagen, unmittelbar am z. Th. ziemlich
senkrecht abfallenden, oft beträchtlich hohen Seeufer! Hier genoss
man freilich wechselnde unvergleichlich schöne Blicke auf den See
selbst und die ihn kränzenden herrlichen Berge. Sie tragen mit
ihren schneebedeckten Häuptern vollkommen alpinen Character,
dennoch ist die Landschaft sehr verschieden von einer solchen, wie
wir sie aus unseren Alpen gewohnt sind. Da erblickt das Auge
keine mit Sennereien belebten Matten, kein Kirchthurm spiegelt
sich in den Wellen, kein Boot durchfurcht die Wogen, nirgends
zeigt sich die Anwesenheit des Menschen! Und gerade Dies ist es,
wie ich auf meinen Reisen öfters erfuhr, was das Gefühl der
Einsamkeit so lebhaft wachruft und wiederum verstärkt dieses Gefühl
nichts mehr als eine grosse, anscheinend völlig unbelebte Wasserfläche,
zumal wenn sie von Bergen begrenzt wird. Ich empfand
Dies an dem wunderbar schönen Hochsee Taho (6250') in der Sierra
Nevada, und wiederum, wenn auch schwächer, hier. Denn während
damals am Taho (jetzt See Bigler) die ungeheure Wasserfläche völlig
todt schien, zeigte sich auf dem Marka immerhin ein bescheidenes
Vogelleben. Hie und da stiegen Enten auf, ruderte ein Turpan-
Pärchen (Vulpanser rutila), jetzt Junge führend, tauchten Steissfusse
(Podiceps cristatus und cornutus), schwebten Möven (Larus ridibundus)
über dem Wasser, oder sassen flügelfächelnd Scharben (Graculus
carbo) auf den Uferbäumen.
Dies waren im wesentlichen alle Vögelarten, welche der See
selbst zu beherbergen schien, wie zu erwarten also bedeutend weniger
als die mit Ungeheuern Rohrwäldem begrenzten Steppenseen. Reicher
zeigten sich die Ufergelände und Wälder und hier schien sich zugleich
das ganze Vogelleben des Gebirges zu concentriren, was ich
daher im Nachfolgenden vereint anführe. In den dichten Zweigen
der Nadelbäume trieb, ganz nach Art unserer Goldhähnchen, der
Zwerg unter den Laubvögeln (Phyllopneuste modesta») geschäftig
sein Wesen, in den Sumpfniederungen hauste die schöne Citronen-
bachstelze (Motacilla citreola), von den Wipfeln tönte zuweilen das
Rätschen der schwarzkehligen Drossel (Turdus atrogularis), der Gesang
des Baumpiepers (Anthus arboreus), aus dem Gezweige das Gurren
der Turteltaube (Turtur meena), in hohlen Bäumen nisteten Staare
(Sturnus Poltoratzkyi, Finsch), der östliche Vertreter des unseren;
Karmingimpel (Carpodacus erythrinus) huschten im Unterholze,
Hänflinge (Linota fringillirostris) in den Wachholderbüschen der
Gehänge, auf allen, selbst den höchsten Wiesen erschallte der Gesang
unserer Feldlerche und —, wie erwähnt, das Knarren des Wachtelkönigs;
der Ruf des Kuckucks ertönte allenthalben. Ausser Stein-
und Alpendohlen fehlten eigentliche Alpenvögel! Vergebens spähte
ich nach Flüevögeln (Accentor), und vor Allem dem diesen Gebirgen
eigenthümlichen Steinrebhuhn (Tetraogallus altaicus); von dem uns
nur Losung als Zeichen ihres Vorhandenseins gezeigt wurde.
Dagegen fanden sich solche, welche bisher als typische der
Steppe galten: so der schwarzkehlige Wiesenschmätzer (Pratíncola
rubicola) und selbst Jungfernkraniche, daneben der schwarze Storch.
Neu für uns waren die Sperbergrasmücke (Sylvia nisoria) und der
Fichtenammer (Emberiza pithyornis). Am häufigsten blieben aber
Milane (Milvus govinda) und Adler. Von ersteren sassen oft 10 Stuck
und mehr auf den dürren Aesten eines Baumes und zuweilen konnte
man 20 zugleich in der Luft kreisend zählen. Der Graf hatte einen
Königsadler (Aquila mogilnik), Dr. Brehm einen Raubadler (A. nipa-
lensis) erlegt, aber diese Arten waren weit seltener als der schöne