wenig Unrecht, die Tundra „Sawojä“ respective „Jandajä,“ das heisst
„guter Ort“ zu nennen. Man muss die Tundra selbst gesehen haben,
um sich von ihr ein richtiges Bild zu machen. So weit das Auge
reicht, hat es nichts als eine unendliche ockerbräunliche oder weissfahle
Moosfläche vor sich, oder die farblos grünen Felder der mit
Zwergbirken bewachsenen Strecken, jenem krüppelhaften, am Boden
hinkriechenden Pflanzengebilde, das man kaum Strauch nennen kann.
Kahle grauliche oder gelblichfahl scheinende Hügelreihen stimmen
mit dieser Einöde so recht überein. Nur die vielen kleineren und
grösseren, meist mit 1 bis 4' hohen Strauchweiden (Salix lapponum,
glauca, arbuseula und myrtilloides) begrünten Ufern umgebenen
klaren Teiche und Seen gewähren mit ihrem Blau eine dem Auge
wohlthuende Abwechselung.
Noch bedeutend schneller als das Auge ermüdet der Schritt des
Wanderers, denn es werden ihm hier Zumuthungen gemacht, die
selbst der an grössere und beschwerliche Fusstouren und militärische
Reise- und Kriegsmärsche Gewöhnte sich nicht vorstellen kann.
Nirgends findet der Fuss sicheren Halt; überall sinkt er, meist bis
über die Knöchel, ein oder muss sich aus den Verschlingungen der
Zwergbirkenranken mit Gewalt losreissen. Es gilt bei jedem Schritte
das Bein ungewöhnlich hoch zu erheben und diese Gangart ermüdet
in ganz ausserordentlicher Weise. Oft giebt es weite Sumpfstrecken
zu überqueren, auf denen man bis über die Knie einsinkt, oder man
hat mühsam von einem Klumpen Büschelgras auf den anderen überzuspringen,
kurzum die Beschaffenheit des Terrains bietet überall
so viel Schwierigkeiten, dass man sich wie auf einem Trottoir verkommt1,
wenn man stellenweise die kahlen Höhenzüge mit ihrer
festen Unterlage benutzen kann.
Gleich der erste Marschtag gab uns einen Vorgeschmack von
dem, was uns erwartete. Wir hatten in 7 Stunden siebzehn Kilometer
zurückgelegt und kamen daher ziemlich erschöpft und müde
an, aber nicht einmal ein Tschum oder selbst nur eine Höhle gewährte
uns Schutz, sondern wir waren gezwungen mit einer aus
Kieselschiefer gebildeten Felsschlucht des kleines Flusses Talbe oder
Talwa-jaha (von Talbe oder Talwa, samojed. Felsschlucht), unweit
eines Schneefeldes, vorlieb zu nehmen, die uns wenigstens etwas gegen
den heftigen Nordwest-, aber nicht gegen den fein herabrieselnden
Regen zu decken vermochte. In einem Lande, wo Birken und
Weiden nur als fingerdicke, kaum mehr als fusshoch auf der Erde
hinkriechende Sträucher Vorkommen, ist es mit dem Feuer auch eine
missliche Sache, und es dauerte daher lange, ehe wir in dem Qualm
des nassen Strauchwerkes unsern Thee trinken konnten. Trotz des
Pelzes war die Nacht recht unangenehm kalt, denn 4*/j° R. über
Null sind schon Kälte um im Freien zu schlafen, und bereits um
4 Uhr früh weckte ich die Leute zum Feuer machen, so dass wir
um 7 Uhr abmarschieren konnten. Der heutige Tag (30. Juli) gestaltete
sich wesentlich besser, indem wenigstens der Regen aufhörte,
und wurde zu einem überraschend freudigen, als im Laufe des Nachmittags
unsere Leute frische Ren- und Schlittenspuren und später
zwei Tschums bemerkten. Damit die Bewohner bei Annäherung
so Vieler nicht die Flucht ergreifen sollten, wurden sofort zwei
Mann als Kundschafter vorausgesandt und wir Uebrigen folgten
später langsam mit unseren Packen nach. Bald hatten auch wir
die Freude mit dem Glase auf einem Hügelkopfe weidende Ren zu
sehen und gegen Abend erreichten wir sie selbst. Der Besitzer derselben,
der Ostiak Dsäungiä, kam uns im schönsten Staate, in langer
weisser, roth besetzter Malitza, entgegen, um uns in ein paar mit
Ren bespannten Schlitten abzuholen, die uns alle Strapatzen vergessen
Hessen. Ganz abgesehen von der Neuheit des Anblickes ist
eine Renthiertroika wirklich ein äusserst stattliches, imponirendes
Gefährt und wir freuten uns nicht wenig fürderhin in solchem bequem
reisen zu können, hatten uns aber gründlich verrechnet. Dr.
Brehm und Graf Waldburg fuhren fröhheh voraus, ich folgte zu
Fuss nach und liess mir von Stepan Rapport erstatten, der nichts
weniger als ermuthigend lautete. Dass Klippikoff, der Abgesandte
der russischen Expedition, sich beim Erscheinen unseres Boten in
seiner ganzen Würde als Kosak gezeigt und gleich mit Einsperren
u. s. w. gedroht hatte, beunruhigte mich zwar nicht, denn mit dem
Burschen wollte ich schon fertig werden. Er war bei unserem Eintreffen
natürlich vollständig umgestimmt und küsste mir später den
Stiefel. Aber ein ganz anderer Feind war vor uns eingezogen,
gegenüber welchem wir völlig machtlos standen: die Renthierseuche!
Schon auf dem Wege zum Lager zählte ich an 80 Renthier-Cadaver
und bei Ankunft dort, sah es noch trübseliger aus. Graf Waldburg,
der doch sonst nicht mit Patronen verschwenderisch umging, knallte
nach rechts und links, wie ich gleich dachte, nicht zum Spass. Der
Ostiak hatte ihn gebeten, Ren thierkälber, welche seinem Lasso unerreichbar
blieben, todtzuschiessen. Es waren solche, deren Mütter