als gänzlich unmotivirte zu erklären! hatten es die Anderen anders
gemacht? In Wahrheit nicht, aber Stepan I. war so rücksichtsvoll
gewesen sich nur in seinen vier Pfählen zu betrinken. Nur
Stepan II. erschien unausgesetzt nüchtern, blieb beim „Hotel“
uud verrichtete seine Arbeit wie bisher. Das erwarb ihm meine
Achtung, denn ich hatte ihn offenbar verkannt. Als ich aber
nachfoischte erfuhr ich, dass Stepan II. desshalb so exemplarisch
nüchtern war, weil er keinen Kopeken sein eigen nannte: er hatte
den Verdienst der Expedition a Conto alter Pichelschulden hingeben
müssen! Ich war wieder mit den Ostiaken versöhnt! und
fand es vollkommen begreiflich, wenn der Sonntag bei den heidnischen
Samojeden Haebinda jalea, d. h, Sündentag heisst.
Die Gründung von Obdorsk hängt mit der Mission zusammen,
welche hier 1727 ihr Werk anfing, und die durch eine kleine Befestigung
unterstützt wurde. Sujew fand 1771 noch 25 Kosaken
unter einem Ataman hier stationirt. Das Wort Obdorsk wäre
nach Castren syrjänisch und bedeutet „Obmündung“ (von Ob und
„dor das Aeusserste). Unseren Syrjänen war diese Erklärung
unbekannt; sie meinten vielmehr. das Wort bedeute so viel als
„Ob’sehe Gemeinde oder Kirchspiel“. Wie wir aus Schrenk erfahren
heisst der Ort bei den Archangel’schen Syrjänen „Nosovo
oder Nosovoj-Gorodok“, d. h. Vorgebirgsstädtchen. Sein ostiakischer
Name ist „Polnawat“. Nach der Versicherung unseres Alexander
hatte, längst ehe die Russen kamen, ein ostiakischer Grösser,
Oboda mit Namen, seinen Tschum hier errichtet und ihm zu
Ehren heisst die Ansiedelung Obdorsk, eine ostiakische Tradition,
deren Prioritätsrechte ich unserem, sich plötzlich als Historiker
entpuppenden Alexander hiermit gewahrt wissen möchte.
Sujew fand ausser der, wie es scheint auf Kosten der ersten
christlichen Ostiakenfürsten 1746 erbauten Kirche, nur 5 Häuser,
Kowalski 1848 bereits 50 Häuser mit 270 Einwohnern. Sidoroff
notirt 1864 42 Häuser und gegen 150 Einwohner. Nach den mir
1876 gewordenen Notizen, die ich wie alle auf Obdorsk bezüglichen
Daten der Güte des Sassjedatjeljs verdanke, besass der Ort 67 Häuser
mit 485 Einwohner, darunter 150 meist von der Petschora und aus
dem Archangelsk’schen eingeschriebene Syrjänen, ungefähr ebensoviel
Ostiaken, meistentheils in Tschums lebende Tagelöhner, der Rest
Russen, meist Bereosoff’sche Bürger. Die Zunahme der Bevölkerung
ist sehr unbedeutend; doch siedeln sich dann und wann Syrjänen
an, so dass das letztere Element nach und nach, wenigstens an Zahl,
•überwiegen dürfte. Wie erwähnt ist der Fürst der eigenthche
Grundbesitzer nicht nur von Obdorsk, sondern des ganzen „Obdorsk-
' sehen Landes“ (Kowalski). Dasselbe enthält nur noch zwei russische
Dörfer, Kuschowat mit 9 und Muschak (Mushinsk) mit 41 Hauser.
Die Gesammtbevölkerung zählt 12,088 Seelen beiderlei Geschlechts,
nämlich 709 Russen, 5382 Ostiaken und 5997 Samojeden. Die
Regierungssorgen theilen 2 Starschina (Aelteste) von erblichem Rang
mit dem Fürsten: Jorka Mamrun und Dsäungiä oder Dssauni Tobold-
schin, deren Bekanntschaft wir bereits zu machen das Vergnügen
hatten. Der Bezirk (Wollost) Obdorsk ressortirt übrigens unter
dem Ispravnik (Chef des Kreises) von Bereosoff, der alljährlich m
der Jahrmarktszeit hier den Jassak (Steuer) erhebt, und wird schon
seit 1825 von einen Kreisstands-Assessor (Sassjedatjelj) verwaltet.
Ueber das Dorf oder vielmehr den Marktflecken selbst ist wenig
zu sagen. Es besteht durchgehende aus Holzhäusern, die grössten-
theils aus den enorm dicken Planken der Barschen gebaut sin.d, auf
welchen das Mehl hierher gebracht wird, und die dann zum Ai-
bruch verkauft werden. Aus demselben Material bestehen die Fuss-
wege oder Trottoirs in den zwar meist sehr breiten, aber unregel-
mässigen Strassen, die bei Regenwetter sonst oft kaum zu passiren
sein würden. Wenn Iwanoff übrigens in den 20er Jahren nur
4 Häuser fand, welche Glasfenster aufzuweisen hatten, so ist dies
jetzt anders geworden. Die sehr zerstreut liegenden Häuser sind
nicht allein durchgehends besser gehalten als in Bereosoff, sondern
es giebt sogar mehrere einstöckige, recht stattliche, z. B. das
Missionshaus. Die Kaufleute und wohlhabenderen Einwohner sind
ebenso comfortabel eingerichtet als in Tobolsk oder Tjumen, und
wie dort fehlt es aueh hier nicht an Tarakans (Blatta germanica), was ich
desshalb erwähne, weil dieses fast cosmopolitische Insect zu Pallas’
Zeit (1772) noch nicht einmal bis Samarowa vorgedrungen war.
Wie die von mir nach der Natur aufgenommene Abbildung
zeigt, welche übrigens nur einen Theil des Ortes darstellt, macht
derselbe einen freundlichen Eindruck, der namentlich durch die hochgelegene
hübsche Kirche gewinnt. Sie stammt aus dem Jahre 1826,
ist aber bereits recht reparaturbedürftig und wird, wenn nicht bald
ernstlich etwas geschieht, dem Schicksal ihrer Vorgängerin verfallen,
die, 1746 gebaut, bereits 1823 abgetragen werden musste. Im
Vordergründe am Ufer des Polui zieht sich eine Reihe Vorraths