führung eines Prätendenten das getreue Volk und verjagte seinen
angestammten Fürsten, der sogar aus seiner Haupt- und Residenzstadt
Obdorsk fliehen musste. Das ist freilich schon länger als
30 Jahre her und Iwan Matfeewitsch erfreut sich wiederum der
Liebe seiner Unterthanen. Ich frug solche wiederholt: ob sie den
Befehlen des Fürsten gehorchen würden und Alle schienen diese
Frage für ziemlich überflüssig zu halten. Diese Anhänglichkeit fand
ich in der That rührend, denn wer würde wol bei uns einem Fürsten
gehorchen, der nichts mehr besitzt und fast Alles verloren hat wie
Iwan Matfeewitsch! Früher Besitzer von 10,000 Renthieren (noch
1848 nach v. Hofman) war er als der grösste Heerdenbesitzer mit
Recht der „Grösste“ seines Volkes, nachdem dieser Reichthum aber
durch die Seuche auf 700 vermindert wurde ist der Fürst jetzt
ein armer Mann, den selbst das Jahresgehalt von 30 Rubel, welches
ihm die Regierung zahlt, nicht mehr zu seinem früheren Glanze
verhelfen kann. Uebrigens isf der Fürst immerhin noch in gewissem
Sinne Herrscher und Besitzer des Landes, da er nicht allein in
Streitigkeiten der Eingebornen die oberste Instanz bildet, sondern
auch Russen oder andere Nichteingeborne, welche sich in Obdorsk
anbauen wollen, ihn entschädigen müssen. Wie mir in Obdorsk
gesagt wurde überweist er indess diese Einkünfte, sofern sie nicht,
was meist der Fall sein soll, in Schnaps realisirt werden, der Kirche.
Der Fürst empfing mich am Ufer und geleitete mich in seine Jurte,
die sehr geräumig, reinlich und an den Seiten mit hübschen Matten
belegt war, sieh im übrigen aber durch nichts auszeichnete. Meine
Hoffnungen durch den „Herrscher und Vater desVolkes“ recht viel über
Land und Leute zu erfahren schlugen leider gänzlich fehl. An der
Schtschutschja und Kara-Bai, wohin ihn Schiefner in der Vorrede
zu Castren allsommerlich reisen lässt, behauptete er niemals gewesen
zu sein, sprach aber damit die Unwahrheit, denn er kannte jene
Gegenden sehr gut, und v. Hofmann traf ihn dort 1848. Doch
vermuthete er, dass dort herum seine Renthiere weiden werden.
Dagegen wusste das Fürstlein (Kniäsetz) viel von Petersburg und
Kaiser Nicolaus zu erzählen, der ihm eine goldene Medaille, Ehrensäbel
etc. verliehen und genau um ähnliche Dinge als ich befragt
hatte, d. h. um Geschichte, Mährchen, Volkssagen, Legenden etc.
Ebenso wenig als dem Kaiser wusste er mir solche zu erzählen
und als ich auf das Capitel des Heidenthums kam, behauptete er,
das sei längst ausgerottet und alle Ostiaken gute Christen. Hinsichtlich
seines Alters war der Kniäs ebenfalls nicht gewiss, meinte
aber, es werde sich so um die 60 drehen und so ging es mit unzähligen
anderen Fragen. Nicht einmal die Zeit, in welcher man
im Winter mit guten Renthieren von hier bis Obdorsk fahren
könne, wusste er anzugeben. Ich verliess den hohen Herrn also
ziemlich enttäuscht, schenkte ihm aber, damit er nicht dasselbe von
mir sagen könne, eine Flasche Schnaps. Er nahm diese Gabe, die .
hier ja etwas vorstellt, nur zögernd an, vorgebend er habe früher
zwar dieses Getränk nicht verschmäht, rühre dasselbe aber seit Jahren
nicht mehr an. Dieses Mässigkeitsgelübde schien indess kein sehr
ernstes, denn kaum hatte ich Thee getrunken und den Jurtenplatz
skizzirt, so stattete er mir schon die Gegenvisite in der Lotka ab
und erbat hier eine zweite Beruhigungsflasche, angeblich für seinen
einzigen Sohn, den Thronfolger, der eben beschäftigt war unappetitliche
Fische zu präpariren. Im Hinblick auf unsere bescheidenen
Vorräthe musste ich dem Fürsten seine Bitte abschlagen und als
er nun auf den „Kniäs“ unserer Expedition, Graf Waldburg, anspielte,
der ruhig schlief oder sich doch so stellte, behauptete ich,
derselbe sei in Bezug auf Spirituosen wie er geartet d. h. Temperenzler!
Das einzige wofür ich dem Fürsten dankbar sein musste,*)
war seine eindringliche Rede mit der er unseren Alexander zurecht
setzte. Derselbe, obwol bereits in zweiter Generation ein sogenannter
Christ, ging mit Zittern und Zagen den gefährlichen Wellen des
Ob und dem noch gefährlicheren Bolschoi Scheitän (grossen Teufel)
der auf der Schtschutschja herrschen sollte, entgegen. Seine Jammer-
thränen versiegten aber nach den Ermahnungen des Kniäs und er
wurde ebenso muthig als vorher furchtsam.
Wie unwahr der Fürst übrigens hinsichtlich des Heidenthums
gesprochen, sollte schon die zweitnächste Station Kiochät lehren,
denn fast alle Eingebornen hier, darunter auch Samojeden, waren
noch sogenannte Heiden.
Kiochät ist eine Fischereiniederlassung, wie es deren soviele
am unteren Ob und dessen Mündungsgebiet giebt, aber grossartiger
als alle bisher gesehenen. Sie wird auf Rechnung des bedeutenden
Fisch-Grosshändlers Iwan Nikolaje witsch Komiloff in Tobolsk betrieben,
für den hier 35 Russen und wol ebensoviel Eingeborne
*) v. Hofmann hatte sich ebenfalls keiner Hilfe des Fürsten zu erfreuen, über
dessen Unwissenheit er sich (p. 134) auslässt. —