Es war nicht in Folge des vorhergehenden Festes, dass wir
erst am ändern Tage (7. April) Nachmittags .4 Uhr dem gastfreien
Jekaterinenhurg Adieu sagen konnten, sondern unvermeidliche Reiseangelegenheiten
hielten uns etwas über 48 Stunden auf. Unsere
Gepäcktarantass, welche ich in Perm mit soviel Stolz als Expeditions-
Eigenthum betrachtet hatte, musste, wie „unser Schlitten” m Kasan,
zurückgelassen werden. Wir hatten unterwegs einen Achsen- und
Räderbruch nothdürftig ausgebessert, aber kurz vor Jekaterinenhurg
krachte der Wagen nochmals zusammen und war damit nach der
Ansicht Sachverständiger ein Wrack, für welches ich noch froh war
10 Rnbel einzuheimsen. Als dies Geschäft abgewickelt, ausserdem
die so nöthige Berichterstattung und Abrechnnng von mir besorgt
war, konnten wir getrost weiter gehen. Galt es doch nur der kurzen
Strecke von 306 Werst (ca. 44 deutsche Meilen), welche uns aber
54 Stunden*) kostete. ^Freilich liess sich nicht voraussehen, dass
nachdem wir von Petersburg an fast ununterbrochen Thauwetter
und im Ural kaum Schnee gehabt hatten, auf einmal wieder so sehr
mit letzterem zu kämpfen haben würden. Und in der That gestaltete
sich die gauze Fahrt bis Tjumen zu einer wahren Martertour. Auf
der Fahrstrasse lag noch hoher vereister Schnee, in welchem die
Räder tief einschnitten, so dass wir oft abbiegen und über die schneefreien
Felder fahren mussten, auf denen in der aufgewühlten Schwarzerde
auch nur mühsam vorwärts zu kommen war. Der Frost, welchen
wir meist in der Nacht hatten, besserte an der Sache nichts, denn
die tiefen Gleise wurden dadurch in Stein verwandelt, wodurch
unseren Rädern die Gefahr des Zerbrechens drohte.
Die Gegend ist unendlich langweilig und eintönig. Man passirt
viele schlechte Kiefern- und Birkenwälder, die zuweilen auf weite
Strecken nur aus jungen herangewachsenen Beständen von kaum
mehr als 10 Fuss Stammhöhe bestehen, aber die vielen Dörfer beweisen,
dass auch beträchtlich Landbau getrieben wird, von dem wir
jetzt natürlich nichts zu sehen bekamen. Man hat bis Tjumen
12 mal Pferdewechsel, passirt aber viel mehr Dörfer, von denen sich
manche ganz ausserordentlich an 3, eins sogar fast 7 Werst (eine
deutsche Meile), hinzieht. Und dabei stehen die Häuser, welche im
Allgemeinen viel wohnlicher und stattlicher als in Russland erscheinen,
*) A. v. Humboldt legte die Strecke, „bei dem guten Wege“ wie G. Eose
sagt (Eeise I. p. 485), allerdings im Juli, in 29 Stunden zurück,
oft dicht aneinander, Haus an Haus, streckenweis Giebel an Giebel.
Die Stationshäuser zeichnen sich meist durch lobenswerthe Reinlichkeit
aus; überall im Innern ist das Holzwerk weiss gescheuert
und für einen, wenn auch plumpen, Comfort gesorgt, den wir auf
den Stationen im europäischen Russland vermissten. — Die Dörfer
haben noch eine andere Eigenthümlichkeit, welche uns schon von
Perm an aufgefallen war. Am Anfang desselben bemerkt man
nämlich regelmässig ein paar Ambaren oder Vorrathshäuser in
K grösserem Style; es sind Kornmagazine, die nach regierungsseitiger
Verordnung stets gefüllt sein sollen. Das sieht sehr schön aus,
aber ich weiss aus sicherer Quelle, dass auch diese Verordnung, wie
so viele und überall, häufig unerfüllt bleibt. Neben den Regierungs-
Magazinen machen sich an gewissen Abständen andere Gebäude
| bemerkbar, schon durch den ockerfarbenen Anstrich als Kronseigen-
[ thum gekennzeichnet, die, obwohl freundlich aussehend, durch die
1 Eisengitter der kleinen Fenster und den meist hohen Pallisadenzaun
® ihre ernste Bestimmung verrathen. In der That sind es Gefängnisse
auf der grossen Etappenstrasse der Deportirten, die auch wir zogen.
Gegen Mittag des 8. April erreichten wir nach unsäglichen
Schwierigkeiten Kamyschlow, eine kleine Stadt von 2000—3000 Ein-
| wohnern, an dem netten Flusse Bischura, über welchen eine grosse
■ Holzbrücke*) führt. Mit der Station ist ein Gasthaus verbunden,
j welches allen Reisenden bestens empfohlen werden darf; man bekommt
I hier sogar Pätzold’sches Bier. Die Strasse führt von hier an meist
1 durch vernachlässigte Birkenwälder, die oft ein bruchartiges Ansehen
I haben und in denen uns das aufgestaute Schmelzwasser viel Schwie-
■ rigkeiten bereitete. Wir näherten uns nun immer mehr der poli-
I tischen Grenze Sibiriens, welche hinter der 9. Station dem Dorfe
1 Markowskaja durch eine runde aus Ziegeln erbaute Säule bezeichnet
| wird, an der die Wappen der Gouvernements Perm und Tobolsk
I prangen. Unsern Einzug in dem ersten sibirischen Dorfe Tugulims-
I kaja, hielten Dr. Brehm und ich in sehr bescheidener Weise, näm-
i lieh zu Fuss. Nachdem uns vorher ein Gepäckwagen gebrochen
1 war, ereilte unser eigenes stolzes Gefährt dasselbe Schicksal, glücklicher
[Weise kurz vor dem Dorfe. Am Stationshause fanden wir eine
*) G. Eose gedenkt dieser Brücke (Eeise I. p. 476), welche in einer Höhe von
¡211 Paris. Kuss liegt, was mit der von Jekaterinenhurg (722 Fuss) verglichen,
I rauf 123 Werst (c. 17 Meilen) nur 526 Fuss ausmacht, also am besten zeigt, wie
[schwach der Abfall des Ural nach Osten ist.