sagt nach einem langsam auf dem Feuer röstenden Schulterblatt
eines Schafes und wird bei wichtigen Angelegenheiten mit Vorliebe
consultirt.
Wir wollen damit den Kirghisen keinen besonderen Vorwurf
machen, nachdem wir selbst sahen, dass getaufte Russen den albernen
Beschwörungen eines samojedischen Schamanen mit grösser Andacht
beiwohnten. Wenn selbst bei uns noch wunderthätige Wasser und
ähnlicher Hokuspokus gläubig bei Leidenden angewandt werden,
so darf man es nicht besonders auffallend finden, dass auch die
Kirghisen ähnliche Wundermittel an wenden und z. B. bei Krankheiten
der Pferde gewisse Gebetsformeln als wirksam betrachten.
Im Ganzen sind die Kirghisen ein geistig sehr bildungsfähiger
Menschenschlag, deren angeborne Schlauheit und Aufgewecktheit
nur durch überwiegende gewohnheitsmässige Trägheit niedergehalten
wird, denn wie Radloff sehr richtig bemerkt: „das Nomadenleben
erhält die Völker in geistiger Versumpfung und gestattet ihnen
keine Art Fortschritt.“
Die Bemühungen der russischen Regierung durch Errichtung
von Kirghisenschulen nützliche Kenntnisse zu verbreiten, in erster
Linie brauchbare Dollmetscher heran zu bilden, verdient daher
volle Anerkennung und wird mit der Zeit jedenfalls reiche Früchte
tragen, besonders wenn die Nomaden mehr und mehr die Segnungen
des Ackerbaues würdigen lernen.
Hat derselbe auch noch keine bedeutende Fortschritte gemacht,
so fängt er doch an sich allmälig einzubürgern und gilt nicht mehr
wie früher als fast entehrend. Schon haben in den letzten Jahren
einige Kirghisen im Ssemiretschenskischen und Syr-Darja-Gebiete
nicht nur mit regelmässigem Getreidebau (Weizen, Gerste und Hirse)
fortgefahren, sondern Einzelne, wie z. B. Sultahn Bukasch im Arkat,
sogar Ansiedelungen angelegt. Der Ertrag ihres Feldbaues reicht
freilich kaum zum eigenen Bedarfe aus, aber der an Getreide gewöhnte
Kirghise verliert allmälig seine räuberischen Neigungen,
wird friedliebend, conservativ und unterwirft sich den civilisirenden
Fremdlingen, die ihm nach und nach unentbehrlich werden. Ueber
die Art und Weise dieses noch sehr primitiven Aftterbaues habe
ich nach eigener Anschauung schon p. 121 gesprochen. Den Hauptreichthum
der Kirghisen bilden indess noch immer ihre Heerden
und auf diesen beruht noch fast ausschliessend ihr Erwerb und ihre
Existenz. Ueber die Rassen-Eigenthümlichkeiten der Rinder, Schafe
und Ziegen habe ich mich schon (p. 78 ) ausgelassen, auf das
Kameel (im Kap. VIII.) zurückzukommen, es bleibt mir nur noch
übrig des Pferdes zn gedenken. Das Kirghisenpferd entspricht in
seiner mittleren Statur unseren Husarenpferden und ist, wenn auch
nicht von wirklicher Schönheit*), immerhin ein durch regelmässigen
Bau, namentlich die Gelenkigkeit und Schlankheit seiner Glieder,
angenehme Erscheinung, bei der nur der meist zu grosse etwas
ramsnasige Kopf und die oftmals zu steil abfallende Kruppe un
vortheilhaft wirken. Man findet bei den Kirghisenpferden alle bei
uns vorkommende Färbungen vertreten, doch scheinen Rappen und
reinweisse Schimmel im Ganzen selten, dagegen hübsche Schecken
häufig. In Folge der geringen Sorgfalt, welche man an seine Erziehung
wendet, indem es Sommers und Winters sich fast ganz selbst überlassen
bleibt und für seinen Unterhalt allein sorgen muss, besitzt
es für den Steppengebrauch die vorzüglichsten Eigenschaften: Ausdauer,
Genügsamkeit, Schnelligkeit; von denen wir uns,' sowol in der
Steppe als bei den mühseligsten und anstrengendsten Gebirgstouren
zur Genüge überzeugen konnten. Als leichtes Wagenpferd ist es
nicht minder geschickt als zum Reiten und eignet sich, nach Stumm’s
Urtheil, trefflich zum Artilleriegebrauch. Für die Militärmacht
Russlands in Asien ist der Ueberfluss an Pferden daher von jeher
bedeutungsvoll gewesen. Doch verdient, nach Wenjukow, die That-
sache bemerkt zu werden, dass die Russen in fast dreihundert Jahren
seit der Eroberung Sibiriens, nicht eine einzige gute Rasse, welche
speciell für den Kriegsdienst tauglich wäre, dort aufgezogen haben.
Kirghisenpferde liefern daher nicht nur das Material für die
Armee, sondern auch für das Transportwesen und die ungeheuren
Frachtzüge (Obosy), welche den Verkehr in Sibirien vermitteln und
denen wir so oft begegneten, erhalten ihr Gespann meistens auf den
grossen Jahrmärkten in Jekaterinenburg, Troizk, Petropawlowsk,
wohin Tausende von Kirghisenpferden zum Verkauf angetrieben
werden.
Pferde bilden daher den Hauptreichthum der Nomaden und es
soll Einzelne geben, die mehr als 5000 besitzen. Die Pferde werden
in kleinen Heerden oder Tabunen gehalten, bei denen sich je nur
ein Hengst befindet, der dem ganzen Tabun als Anführer gilt.
*) Diese Bezeichnung lässt sich aber voll auf die herrlichen Benner (Argamak)
aus Turkestan anwenden, von denen wir wenigstens einen in Lepsa sahen. Sie
vertragen es nicht in Sibirien im Freien zu überwintern.