Radloff, Staatsrath von Gottwald u. A. mit denen wir genussreiche
Stunden verbrachten.
Kasan ist in der That eine hübsche Stadt. Dies empfindet
man um so mehr, wenn man von Osten kommt, überraschen doch
zum ersten Male wieder gepflasterte Strassen, Gasbeleuchtung und
meist hübsche, aus Ziegeln erbaute Häuser mit schönen Läden.
Unter den letzteren nehmen die Magazine des Hauses Rahm & Co.
ohne Zweifel die erste Stelle ein, denn sie können sich mit den
besten westeuropäischen messen. Herr Rahm nahm sich auch diesmal
unserer freundlich an. So tranken wir in seinem gastlichen
Hause nach langer Zeit wieder die erste Flasche wirklichen und
unverfälschten Rheinweins.
Angesichts des herannahenden Winters, mussten wir unseren
Aufenthalt in Kasan leider mehr beschränken, als uns lieb war,
und fuhren schon am Nachmittag des folgenden Tages (25. October)
wieder hinaus nach dem Anlegeplatz der Dampfschiffe. Wir hätten
Plätze auf dem „Mississippi“ bestellt, einem der herrlichen Dampfer
(von 400 Pferdekraft und 290' Länge) der „Amerikanischen Compagnie,
welcher mit noch zwei anderen ganz gleichen (ebenfalls in
Nishnej Nowgorod erbauten) einen regelmässigen Sommerdienst
zwischen Nishnej und Astrachan unterhält. Die Schiffe dieser Gesellschaft
sind ganz nach amerikanischem Muster eingerichtet und
kaum kleiner als die, welche man_aüf dem Mississippi antrifft. Die
Cajüten liegen ein Stockwerk hoch, haben prächtig eingerichtete
Kabinen für 2—10 Personen und können an 200 Personen 1. und
2. Classe, an 300 der 3. führen. Diesmal war das Schiff freilich
sehr spärlich besetzt, man konnte den 70 Schritt langen Ecksaal
fast als seinen eigenen zum Spazierengehen betrachten. Und Bewegung
war nöthig! Zeigte das Thermometer zwar nur Null Grad,
so wehte doch ein so eisiger Wind, dass man sich in den ungeheizten
Räumen kaum erwärmen konnte.
Wir hatten uns beeilt, rechtzeitig an Bord zu kommen, da der
„Mississippi“ um 3 Uhr Nachmittags abgehen sollte, aber diese Eile
wäre in richtiger Würdigung der russischen „seitschas“ nicht nöthig
gewesen. Dieses so oft gehörte Wort bedeutet wörtlich „in dieser
Stunde, gewöhnlich aber hat es auf die später folgenden Bezug;
und so war es auch mit dem „Mississippi“. Er lud bis gegen
7 Uhr Güter, legte dann mitten in den Strom, ging vor Anker und
erst am folgenden Morgen 'weiter. Auch die folgende Nacht musste
er wegen tiefer Dunkelheit liegen bleiben und dies war jedenfalls
besser,' als auf eine der vielen Sandbänke zu rennen, an
denen die Wolga bei dem jetzigen niedrigen Wasserstande so
reich ist.
Ueber die Wolga brauche ich nur zu sagen, dass sie, wenigstens
in dieser Jahreszeit und bei diesem Wetter, ein langweiliger Strom
ist. Aber ich blickte mit innerlichem Behagen auf die einförmige
Uferlandschaft, und erkannte manches Dorf wieder, in dem wir auf
der Hinreise Pferde wechselten, um uns über trostloses Hügelland,
bald durch Schnee, bald durch Wasser oder bodenlosen Schmutz
mühsam, Werst für Werst weiter zu quälen. Das waren die Freuden
einer Schlittenreise bei Thauwetter im Frühjahr, gegen die wir
uns in der That glücklich preisen konnten, denn, liess die Heizung
auch zu wünschen übrig, so waren Küche und Keller um so besser.
Und so konnten wir es wol aushalten! . Ueberhaupt war. die Wolgafahrt
ja bald beendet, denn schon in der ersten Stunde des
28. October kamen wir, noch bei tiefster Dunkelheit in Nishnej
Nowgorod an, hatten zu der 430 W. langen Strecke also 43 Stunden
gebraucht, Herr Kosniersky war auch diesmal so freundlich sich
unserer anzunehmen, aber wir mussten das uns, auf seine Veranstaltung
durch die „Gesellschaft zur Beförderung des Handels und
der Industrie“ angebotene Ehrendiner leider ablehnen. Es drängte
uns eben zu sehr heimwärts und. so fuhren wir noch denselben
Abend nach Moskau weiter. Wir waren nun wieder glücklich auf
Eisenbahn, deren Segnungen man nach einer solchen Reise erst
recht würdigen lernt. Es kam uns ordentlich wunderbar vor, in
einer einzigen Nacht 409 Werst zurückgelegt zu haben, eine Geschwindigkeit
über die man bei uns arg raisonniren würde. Aber
alle die ungeduldigen Reisenden, welche bei kaum 5 Minuten Verspätung
schon vor Unzufriedenheit vergehen wollen, müssten einmal
eine Tarantassfahrt machen.
Ich blieb in Moskau nur um verschiedene Geschäfte abzuwickeln,
namentlich mit dem bekannten Hause L. Knoop,
dessen Vertreter Herr Prove uns besonders zu Dank verpflichtet
hatte.
Nach Petersburg ging es schneller, denn die,603 Werst lange
Strecke kostete nur 1472 Stunde Zeit. Und von hier hätte ich
bis Bremen (2082 Werst) sogar in 48 Stunden gelangen können,
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