Nach weiterer halbstündiger Fahrt passirt man die Einmündung
der kleinen und grossen Buehtarma, deren gelbbraunes Wasser bald
das hübsch graugrüne des Irtisch färbt.
Die mit Weiden bedeckten Inseln vor der Buehtarma und ihrer
Ufer, in denen zahlreiche Saatkrähen hausten, sind bald verschwunden
und man tritt in jene Felsenwände, die bis zur Hälfte zwischen
Buchtarminsk und Ust-Kamenogorsk einen immer grossartigeren
Gharacter annehmen und von Biegung zu Biegung neue gewaltige
Seenerien zeigen. Der Fluss drängt sich zwischen beiderseits senkrecht
abfallenden von 100 bis 600 und mehr Fuss hohen Felswänden,
hinter denen sich hie und da höhere Gebirge erheben. Zuweilen
zeigen sich die Felswände, auf kurze Strecken, durch grüne Wiesen
oder sanfte, herrlich mit Birken bestandene, Schluchten unterbrochen
und lassen diese auf den Felszinnen und Graten mit Bäumen bestandenen
Gebirgswände um so vortheilhafter hervortreten. An
anderen Stellen verengt sich das Flussbett und scheint ganz von
den Felsen abgeschnitten, bis eine Krümmung wieder neue'entzückende
Fernblicke gestattet, wie dies- unsere Abbildung, welche
ich mit ein paar Strichen festzuhalten versuchte, wenigstens andeutet.
Aber die eigenthümliche und lebhaft wechselnde Färbung der grauen,
braunen und röthlichen, oft durch Flechten gelb gefärbten Felsen
bietet ebenso viel Abwechselung als die sonderbare Lagerung der
Gesteinsschichten selbst. Sie bestehen bald in senkrechten Lagerungen
dunklen Thonschiefers,*) der ausschliessend die rechte Uferwand
bildet, oder sind von hellfarbigen Graniten „als eine Eruptionsformation
übergossen“ (Humboldt), die dann dem Thonschiefer eine
wellige, an manchen Stellen sonderbar geknickte und verworfene
Lagerung verleihen. Die phantastischen Formen der Uferfelsen erreichen
in dem „der Hahnenkamm“ (Petushji Grjeben) genannten, von
dem die Abbildung 9 bei Cotta eine schwache Vorstellung giebt,
sowie in den „sieben Brüdern“, an welchen die Strömung gewaltig
anprallt, ihre mächtigste Entwickelung. Mir ist kein einziger schiffbarer
Strom bekannt, der sich in Wildheit seiner Uferfelsen mit
diesem Theile des Irtisch zu messen vermöchte. Höchstens dürften,
soweit meine Erinnerung noch zurückreicht, die romantischen Felspartien
der unteren Donau bei Orsowa mit in den Vergleich zu ziehen
sein, aber nicht die so entzückende Uferlandschaft zwischen Bingen
und Bonn, trotz der Loreley, Rolandseck und anderen hochromantischen
Punkten. Dennoch wird der Reisende aus dem Westen den Rhein
vorziehen, „denn“, wie Cotta sehr richtig sagt, „die Irtischfahrt wird
fast ermüdend einförmig durch den gänzlichen Mangel an alten oder
neuem Anbau, an Wald und an Frische der Vegetation“, und vor
Allem fehlt ihr der poetische Hauch, welcher unsem deutschen
Strom so zauberhaft umwebt.
Ganz abgesehen davon, dass uns nur wenige stromauf strebende
unbeladene Erzschiffe begegnet waren, so sahen wir auf der ganzen
12 ständigen Fahrt nur etwa ein halbes Dutzend in den Schluchten
versteckter Häuser oder Hütten. Es waren Fischerwohnungen, denn
der Irtisch ist hier sehr fischreich, namentlich an Sterlet und Stören.
An einer solchen Fischereiniederlassung, aus roh aus Baumzweigen
errichteten Hütten bestehend, legten wir gegen 2l/2 Uhr auf kurze
Zeit an. Dieser Aufenthalt wurde ganz besonders dadurch interessant,
dass eine für uns neue, schon im Fluge durch die rostrothe Bürzelbinde
und die schwarzen unteren Schwanzdecken ausgezeichnete
Schwalbenart hier ihr Wesen tneb und mit Klümpchen weichen
*) Ueber die geologischen Verhältnisse dieser überaus lehrreichen und wichtigen
Strecke berichten, z. Th. durch Abbildungen erläuternd: Kose (L p. 609 612)
Humboldt (Briefwechsel mit Cancrin p. 87), Helmersen (p. 195—201) und Cotta
(p. 38—44); vergl. auch: Ledebour (p. 102 und 283) und Meyer (p, 319).