aus Mückenzelten zusammengeflickt batten. Das ersparte ihnen viel
Mühe und Schweiss, denn die Sonne brannte oft recht ungnädig
herab und das Thermometer stieg in der geschützten Lotkä bis auf
23°. Zugleich brachte uns das Segeln aber auch ungleich schneller
vorwärts, so dass wir schon am 24. Juli, Vormittags gegen 10 Uhr,
die russische Expedition ein- und überholten, obwol uns dieselbe
3 Tage früher und auf dem c. 20 W. näheren westlichen oberen
Arme vorausgegangen war. Die Einförmigkeit des Flusses und der
Landschaft, welche nur zuweilen von einzelnen Schwänen, Gänsen,
Enten, häufiger von Möven (Larus affinis) und Seeschwalben (Sterna
macroura) belebt war, blieb immer dieselbe. Wie auf dem Ocean
eine vorbeitreibende Flasche oder dergl. schon Interesse erregt, so
hier verlassene Renthierschlitten und als sich einmal ein verirrter
Hund zeigte, der sich übrigens nicht fangen liess, war die Aufregung
allgemein. Dieselbe sollte bald grösser werden, denn am Abend des
25. Juli zeigte sich Rauch und mit ihm ein Tschum. Da mussten
also Eingeborne sein und die Hoffnung auf Wegweiser belebte . sich
aufs Neue. Gegen 6 Uhr legten wir bei dem Tschum an, dessen
Bewohner zwar erstaunt, aber keineswegs freudig überrascht von so
seltenem Besuche schienen. Der Tschumbesitzer, ein Ostiak, mein
späterer Freund und Bruder, hiess Dschunschi (oder Dschunje), der
hier nebst Familie, bestehend aus anscheinend zwei Frauen, mehreren
Kindern und vielen Hunden, die ja bei diesen Völkern gleichsam
mit zur Familie gehören, bereits :im vierten Sommer, . Fischfang
betreibend, residirte. Der alte Sohn war, wie gewöhnlich, sehr
zurückhaltend und scheu, ich löste seine Zunge aber mit einem
Glase Schnaps und so erzählte er. bald Alles was er wusste. Die
Schtschutschja solle nur noch auf eine kurze Strecke schiffbar sein,
dann kämen Stromschnellen, später ein Wasserfall; der Fluss werde
noch so fallen, dass die Lotka hei kaum anderthalb Fuss Tiefgang
nicht mehr stromab und man durchwaten könne;, doch steige er
bei den Herhstregen wieder und werde grösser als jetzt. An der
Podaratta oder Poderata, denn so und nicht Baiderata oder Bai-
daratzkeri, wie auf den Karten steht, hörten wir das Wort von
Samojeden und Ostiaken aussprechen, war er früher nur einmal gewesen;
es sei ein tiefes Wasser, über welches wir ohne Boot nicht
kommen würden; den Weg nach dem Meere kenne er nicht, doch
weide sein Bruder dort Renthiere an einem Flusse, den er Jorkata
nannte. .Es ist der Jorkat der Petermann’schen Karte und mündet
Östlich in die Kara-Bai. Ob Samojeden an der Podarata leben
würden, wusste er nicht zu sagen und bezweifelte es. Schliesslich
zeichnete der alte Bursche mit Bleistift eine Karte auf, welche
5—6 Marschtage bis zur Podarata und 4—5 bis Sadapai, einen
Platz jenseits dieses Flusses, wo wir Renheerden treffen sollten, ver-
zeichnete. Schwieriger als zu Mittheilungen über die Gegend, war
es ihn zu Theilnahme an der Tundrareise zu bewegen. Er schützte
ein lahmes Bein vor, welches wie meine Untersuchung ergab allerdings
einen schlecht geheilten Bruch des Schienbeins zeigte, berief
sich auf seine Hilflosigkeit, wenn ihm ein Zufall zustossen solle, aber
die Redegewandheit unseres Hat war es hauptsächlich, die alle seine
Bedenken niederschlug. Dass die Verhandlung wiederum meine
äusserste Geduld beanspruchte, lässt sich begreifen. Schliesslich
stimmte Freund Dschunschi, denn so durfte ich ihn schon nennen,
nachdem wir 3 Gläschen Schnaps miteinander getrunken, zu, unter
der Bedingung, dass Madame einverstanden sei und ich einen Mann
zurücklassen müsse, um beim Fischfänge zu helfen. Auch diese
Forderung sagte ich zu denn sie war billig, da die Familie, in der
Ernte begriffen, die kurze Sommerzeit um Wintervorrath zu
sammeln ausnutzen musste. So besiegelten denn ein viertes Glas
und 2 Rubel als Handgeld den Bund.
Inzwischen war auch die russische Expedition angelangt und
hatte uns, wie die Kosaken schlauer Weise behaupteten, überholt,
indem sie ihre Lotka etwas weiter stromaufwärts legte. Da Herr
Orlow ebenfalls den Rath des wackeren Dschunschi bedurfte, so ent-
liess ich ihn für heute, hatte mich aber seines Besuches nochmals
zu erfreuen. Er war bei den Russen so trefflich bewirthet worden,
dass ihm Ruhe noth that. Nachdem er eine Zeit lang getobt, sich
halbnackt ausgezogen, mir sein Horn mit Schnupftabak zum Kauen
wiederholt aufgedrungen und ähnliche Scherze gemacht hatte, liess
ich ihn durch Iwan sanft auf festen Boden befördern, seiner braven
Frau nach., die der Zimmermann mehr todt als lebend bereits zum
Tschum getragen hatte. Dass ein riesiger Katzenjammer das Resultat
solcher Libationen sein musste, war zu erwarten. Madame Dschunschi
schien am anderen Tage sehr angegriffen, das Fräulein, die trotz
Thusnelda im Hermannliede Bescheid gegeben hatte, hielt ein Paar
junge Hunde im Arme, die ihr wahrscheinlich den Jammer vertreiben
sollten, und .Vater Dschunschi moralisirte über das arge
Laster der Trunksucht. Es habe gestern ein böser „Scheitan“ in
F in s c h , Reise. I. 07