Obwol es (am 1. Juni) schon sehr früh weitergehen sollte, so
kam doch 7 Uhr heran, da die Kameele mit dem Gepäck erst gegen
6 Uhr eintrafen. Der treffliche Dr. Pander, der uns bis hierher
das Geleit gegeben hatte, stand noch lange mit dem Tuche zum
Abschied winkend am Ufer, als von 8 kräftigen Ruderern bewegt,
die Lotka sanft auf dem braunen, trüben W asser stromab schwamm.
Der Strom, durch Hochwasser geschwellt, obschon nicht mehr
die, übrigens niedrigen, Ufer überfluthend, war jetzt besonders im-
ponirend wegen seiner beträchtlichen Breite und der schonen Uferlandschaft.
Freilich wechselte dieselbe sehr. Bald zeigten sich die
Ufer niedrig aus Lehm oder Sand bestehend, bald etwas höher dünen-
artig, bald als grüne Wiesen, aber immer erquickten grüne Bäume,
Pappeln und Weiden (besonders Populus tremula und. Salix alba),
das Ufer, die überhaupt vorherrschend waren und stellenweis förmliche
Urwälder bildeten. Dazu die herrliche Gebirgsscenerie, welche den
Horizont abschliesst! Links die Manrak- und Saikanberge, hinter
welchen sich die schneeigen Kuppen des Sa-ur erheben, rechts die
lang ausgestreckte ebenfalls schneebedeckte Kette des Altai, vor
der sich mauergleich eine Längsreihe dunkelblauer Vorberge lagert.
Doch was erwähne ich eines Bildes, welches eigentlich noch während
der Hinfahrt auf der Steppe, so kurz als der Moment es eben gestattete
mit wenigen Zügen hingeworfen werden konnte! Lassen
wir lieber Brehm s*) formgewandte in Detailmalerei so unübertreffliche
Feder sprechen!
„Wirklich grossartig, für das an anmuthigen Landschaften so
arme Westsibirien geradezu wunderbar schön, ist die Fernsicht,
welche man vom Strom aus geniesst. Nach links hin begrenzt der
gewaltige Gebirgszug, an dessen Fuss wir diese Reise begonnen, den
Gesichtskreis wie eine vielfach gegliederte, aus verschiedenfarbigen
Steinen aufgebaute Mauer sich aufthürmend, nach beiden Seiten
hin für das Auge in der Ferne sich verlierend. Als Mittel- und
Kernpunkt der Kette tritt der Saur mit seinen ausdrucksvollen, jetzt
noch bis weit herab mit Schnee bedeckten und daher blendenden
Gipfeln hervor, nach Süden hin allmählich sich verflachend, jedoch
nur an wenigen Stellen so tief sich erniedrigend, dass man über
eine der Einsattlungen hinweg bis zu den schneeigen, blitzenden
*) „Durch den chinesischen Altai“ in Cölnische Zeitung 1876, No. 314, 315,
316 und 317 (11., 13., 13. und 14. November) Reiseskizzen von Saissan bis Altaiske-
Staniza. —
Kuppen des Semistau*) blicken kann, längs der ganzen Kette durch
viele Querthäler eingefurcht, deren Dunkel scharf sich abhebt von
den hier und da fast als Grate vortretenden seitlichen Ausläufern;
als nördliche Fortsetzung des Saur erscheint jetzt der Manrak, jenes
zwar nicht besonders hohe, aber für den in hiesigen Gegenden vorherrschenden
Granit**) überaus wilde Gebirge, in welchem ein Berg
neben und über den anderen sich aufbaut und ein so verwickeltes
Netz von Thälern dazwischen sich eintieft, dass selbst das Wasser
nicht selten um den zu nehmenden Weg verlegen zu sein scheint,
auch buchstäblich von einem Punkt aus nach zwei, sogar drei verschiedenen
Richtungen läuft, und dass das Auge, welches von einer
der höchsten Bergspitzen aus in dieses Wirrsal blickt, nichts anderes
vor sich sieht, als eine ganze Welt von Bergen, Spitzen, Zacken,
Graten, Vorsprüngen, senkrecht abstürzenden Felswänden, trümmerbedeckten
Halden und sanft abfallenden, mit frischem Grün bekleideten
Gehängen, wogegen aus weiterer Ferne das endlos verschiedene
Ganze als ein reiches, buntes Bild erscheint, auf welchem Licht und
Schatten, Helle und Dunkel, Felswände und Übergrosse Abhänge
zu förmlich bestrickender Wirkung gelangen. Zur Rechten dagegen
erhebt der Altai eine seiner Ketten neben, hinter und über der
anderen. Die Knotenpunkte, die höchsten Erhebungen dieser Ketten,
sind ebenfalls noch mit Schnee bedeckt, aber so weit entfernt, dass
sie nicht zur vollen Geltung gelangen, wie sie auch den Zusammenhang
des ganzen Gebirges eher zu. unterbrechen, als zu vermitteln
oder, was vielleicht richtiger gesagt, dem Auge klar zu legen scheinen.
Man meint von hier aus nicht auf ein in allen Theilen zusammenhängendes,
reich gegliedertes, sondern auf mehrere Gebirge zu blicken,
von denen jedes einzelne aber durch die schneeigen Höhen bezeichnet
wird. Dem ungeachtet verfehlt auch der Altai nicht, einen grossartigen
Eindruck hervorzurufen; ihm fehlt nur die Einheitlichkeit
des gegenüberliegenden Gebirgszuges, welchen man, seinen verschiedenen
Namen zum Trotz, beim ersten Anblick zu einem einzigen
grossen Ganzen verschmilzt. Bei einer Fahrt zu Thal nun rückt
der schwarze Irtisch, entsprechend den weiten Bogen, welche auch
er in seinem vielfach gekrümmten Bette durchläuft, bald das eine,
*) Wol der Myss-tau!
**) Die von Graf Waldburg mitgebrachten Handstöcke, wahrscheinlich die
einzigen bekannten aus diesem Gebirge, weisen Porphyrtuff und Thoneisenstein
nach, wie die Bergebei Saissan.