Lehm im Schnabel den nahen unzugänglichen Felswänden zueilte.
In diesen befanden sich ohne Zweifel die sonderbaren flaschenförmigen
Nester, welche Pallas zuerst beschreibt und abhildet, denn die Art
war die Alpenschwalbe (Hirundo alpestris), welche wir hier das
einzige Mal antrafen. Im Uehrigen zeigten sich, um dies gleich hier
einzuschalten, Dohlen, Thurmfalken, Fensterschwalben (Hirundo
urbica), oft in grösser Anzahl und colonienweise; Rosenstaare zu
Hunderten; Stock- und Pfeifenten waren ebenfalls häufig; seltener
Cormorane und Seeadler (Haliaetus albieilla), von denen Einer der
Jagdlust zum Opfer, leider aber wie zu erwarten, in den Strom fiel
und somit verloren ging.
In so angenehmer Gesellschaft als wie wir zu reisen das Vergnügen
hatten, wurde die Fahrt übrigens nicht im mindesten langweilig.
Wir staunten die Felscolosse an, hörten das an manchen Stellen
mächtige Rauschen der sich brechenden Strömung, das sonderbare
gleich kochendem Wasser ähnliche Geräusch, wenn man das Ohr
über Bord hält, welches aus der Tiefe emporsteigt und dadurch entstehen
soll, dass grössere Steine über den Grund rutschen, Brehm’s
Declamationen aus Göthes Faust, und so schwanden die Stunden gar
schnell dahin. Allmälig nahmen die Berge an Höhe ab, erhielten
mehr abgerundete Formen und traten endlich, weiten Wiesenflächen
Raum gehend, als tiefblaue Pies, ganz in den Hintergrund. Der
bedeutend verbreiterte Strom zeigte mit Weiden begrünte Inseln,
sein linkes Ufer belebten A-ule und Viehheerden der Kirghisen,
bis uns rechts einige Holzhäuser, hei denen zahlreiche Menschen
versammelt waren, das Ende unserer Fahrt andeuteten. Es vyar
Nisehnaja-Pristan, der untere Löschplatz für die Erzschiffe; nicht
weit davon, aber wegen der Krümmung des Flusses anscheinend
am linken Ufer, zeigte sich Ust-Kamenogorsk, wohin uns bald
elegante Fuhrwerke brachten.
Die liebenswürdige Gastfreundschaft unseres kenntnisreichen
Altai-Reisegefährten, des bereits öfters genannten Obrist Paul
Michailowitsch Choldijeff, eines durch seine Tapferkeit ausgezeichneten
Kosakenofficiers und zugleich Kreischef, liess es uns in seiner Residenz
an nichts fehlen. Durch seine Güte lernten wir zugleich alle Sehenswürdigkeiten
kennen, soweit überhaupt von solchen die Rede
sein konnte.
Ust-Kamenogorsk*) (d. h. Ausfluss der Steinberge), unter 49.
*) Vergl.: Gmelin I. p. 238 —, Pall. H. p. 542, Meyer p. 192.
56 n. Br. (Ledeb.), 1720 als Grenzfestung errichtet, hat jetzt seine
Bedeutung als solche längst verloren, und ist aus einem Bollwerke
gegen die Kirghisen*) eine Pflanzstätte zur geistigen Bildung für
dieselben geworden. Wir fanden die aus Stein erbauten, jetzt aufgegebenen
Festungswerke, welche auch die Kirche enthalten, ziemlich
verkommen, freuten uns aber umsomehr an der trefflichen Einrichtung
der Kirghisenschule, welche Obrist Choldijeff ihre Entstehung verdankt.
Es finden hier eine Anzahl (jetzt 20) Schüler auf Kosten
der Regierung Wohnung und Erziehung. Das Examen, welches der
russische Pädagoge in unserem Beisein anstellte, bewies, dass die für
hiesige Verhältnisse überraschend reichen Lehrmittel (Bücher, Globen,
Wandtafeln, Maass und Gewichte, sogar ein Schiffsmodell etc.) reiche
Früchte trugen, die der Regierung zu Gute kommen, da sie auf
diese Weise brauchbare und gediegene Dolmetscher und andere im
Verkehr mit den Kirghisen nothwendige Beamte erhält. Dass die
Mitglieder der deutschen Expedition, vor Allem Dr. Brehm, dessen
„Thierlehen“ wie überall auch hier bekannt war, durch eine besondere
Anrede geehrt wurden, versteht sich von selbst. Die Schüler inter-
essirten mich, ausser ihrem Lerneifer, auch besonders noch desshalh,
weil wir mit ihnen von den, uns in lieber Erinnerung bleibenden,
Kirghisen Abschied nahmen. Die 20 Knaben illustrirten übrigens
die verschiedenen Typen ihres Volkes vortrefflich, denn kaum zwei
sahen sieh einander ähnlich.
Ust-Kamenogorsk ist gegenwärtig eine zwar unregelmässig angelegte,
aber freundlich aussehende Handelsstadt, mit einem Bazar
und manchen hübschen Holzhäusern, freundlicher Moschee u. s. w.
und zählt 2350 Einwohner, von denen etwa ein Drittel Russen sind.
**) Die Gegend um Ust-Kamenogorsk war ursprünglich von Kalmücken bewohnt,
wie die merkwürdigen 70 W. davon liegenden grossartigen Ruinen des
Tempels Ablaikit (1654 von Chan Ablai erbaut und 1671 bereits zerstört) zeigen,
welche Gmelin (I. p. 232), Pallas (ü . p. 545 Taf. X—XII.), Meyer (Ledeb. II. p. 327.
Taf. XIII. Fig. 3), Wlangali (p. 116) ausführlich beschreiben. — Jetzt haben sich
die Kalmücken in die Gebirge zurückgezogen, wo sie z. Th. Dwojedanzen, Doppelzinspflichtige
(an Eussland und China) genannt werden und hier mit einem anderen
Volke, welches Helmersen als finnischen Ursprunges erklärte, den „Teleüten“ Zusammentreffen.
(Vergl. Ledeb. (p. 130. 132), Bunge (p. 32. 44. 51), Helmersen
(p. 42) und vor Allem Radloff in: Melanges Russes du Bulletin de l’Acad. imp.
des Sciences de St. Petersb. Tom. IV. 1863. Livr. 3 p. 333—338 et Livr. 4 (1865)
p. 453—462 und Globus XI, Cotta (p. 313). —