neben dem gekocht und unter dem dinirt und sonpirt wurde, denn
wir hatten uns bereits daran gewöhnt uns täglich mit zwei Mahlzeiten
zu begnügen. Während Dr. Brehm, der sich leidend fühlte,
Unterkunft in einem Hause fand, diente für Graf Waldburg und
mich unsere Lotka „Bismark“ nach wie vor als Wohnungsschiff.
Freilich gewährte sie bei anhaltenden Regentagen nur theilweise
Schutz, und man musste es sich gefallen lassen, wenn es einem
bald auf die Füsse, bald ins Gesicht tröpfelte, aber besser als offene
Tundra war sie bei solcher Witterung immerhin, und Graf Waldburg
wird mir Recht geben, dass jene Tage mit zu den angenehmsten
gehörten.
Für die Leute war es offenbar der Tag nach unserer Ankunft,
den ich ohnehin zum Ruhetage bestimmt hatte, auch wenn es nicht V 1
Sonntag, also ein officieller „Prasnik“ (d. h. Feiertag) gewesen wäre.
Die braven ostiakischen Ruderer von Wespugl her hatten gleich
am Sonnabend Abend zu feiern angefangen und, einer Einladung
ihres Landsmannes Alexander Säkoff folgend, in dessen Tschum
wacker gezecht. Natürlich auf ihre Kosten, denn der gute Alexander
war eben schon zu lange im Yerkehr mit der intelligenteren Rasse
der Russen, als dass er nicht bereits Mancherlei von ihnen angenommen
haben sollte. Die Nationaltugend seines Stammes, Gastfreundschaft,
war ihm daher bereits abhanden gekommen, statt derselben
verstand er das „Raubsystem“ trefflich und hatte' es auf
diese Weise zu Etwas gebracht. Der bettlerhaft aussehende Geselle
besass, so munkelte man, ein Baarvermögen von 500—700 Rubel,
ein wahrer Wätjen oder H. H. Meier für hiesige Verhältnisse.
Die ganze sauhere Gesellschaft erschien schon früh am anderen
Morgen nach unserer Ankunft, ziemlich ernüchtert, und bat um
Geld für die Heimreise. Sie hatten den ganzen sauren Verdienst
siebenstündigen Ruderas bereits verschnapst; der biedere Agram,
den ich für einen so verständigen Mann hielt, sogar das Pfund
Pulver, welches ich ihm als berühmten Jäger geschenkt hatte, was
er ohne Umschweife eingestand. Das stimmt freilich wenig mit
dem von mir den Ostiaken ertheilten Lobe, aber war es ihnen übel
zu nehmen, wenn sie eine so seltene Gelegenheit einmal ordentlich
ausnützten? Und gute Kerls bleiben sie doch, trotz ihrer Liebhaberei
für Schnaps; denn sie stechen sich dabei nicht todt, wie
dies bei uns leider so häufig zu geschehen pflegt. Ich dachte
hierüber nach und zog Vergleiche, die natürlich sehr zum Nachtheile
der Naturkinder ausfielen, denn das Christenthum zeigte offenbar
eine viel höhere Gesittung. So schrieb ich am Morgen in mein
Tagebuch, als Feödor Kasainoff, der Schuster und Sänger, mit zufriedenem
Gesichte zu mir kam und mir ein, von der Hand reiner
Jungfrauen bereitetes, geweihtes Brod brachte. •Er hatte heute m
der Kirche nicht nur gesungen, sondern sogar die Epistel verlesen,
und schien mit Recht stolz. Dazu sein Feierkleid: rothes Hemd,
grüner Rock, hübsche Pelzmütze, sogar Sammthosen! Das ist doch
ganz etwas Anderes als diese liederlichen Ostiaken! Leider dauerte
dieses Bild des Friedens und der Zufriedenheit nicht lange, denn
schon am Nachmittage rief mich wüstes Geschrei vor die Lotka.
Was sehe ich, darf ich meinen Blicken trauen? Da lag unser guter
Feödor in seinen schönen Sammthosen und dem grünen Rocke im
Strassensehmutze und wurde von einer wüthenden Frau, gegen die
er sich Unschicklichkeiten erlaubt hatte, weidlich verhauen. Eine
Stunde später kam er noch ärger betrunken ans Lagerfeuer, küsste
mir Hand und Stiefel und erzählte, indem er das Kreuz auf der
Kirche zum Zeugen anrief, unter grässlichen Flüchen der Rache
sein Unglück: 5 Rubel waren ihm gestohlen worden! Iwan wusste
was zu thun war und brachte ihn unsanft auf die Seite. Aber
der Schnapsgeist des Dieners der Kirche athmete nicht Sanftmuth,
sondern Wuth, und so ereilte ihn denn das Schicksal in Gestalt
von Schlägen viermal, von verschiedenen Seiten, hinter einander.
Der Montag sah unseren Feödor in derselben schwankenden Lage,
ebenso der Dienstag und erst am Mittwoch hatte es ein Ende,
nämlich das Geld. Frei von dieser Chimäre, wieder in den alten
abgeschabten Pelz gekleidet, denn auch der hübsche Rock, die
rothe Weste und Sammthose waren den Weg des Fleisches gegangen,
erschien er wieder als verständiger Mann, dem man weder physischen
noch moralischen Katzenjammer anmerken konnte. Aber schadet
einem Manne, der doch immerhin eine gewisse, noch dazu kirchliche
Stellung, bekleidet, ein solches Betragen nicht? höre ich fragen:
wird er nicht abgesetzt werden? frage ich selbst: lachend antwortet
man: niet! (Nein!) warum sollte es ihm schaden? Solche Zufälle
können ja dem Besten passir'en und man hat schon ganz
andere Persönlichkeiten am hellen Tage auf der Gasse liegen
sehen!
Die Leute hatten Recht und Feödor ebenfalls meine Vorwürfe