Kinder kaum allein mit dem Löffel zu essen verstehen und ich habe
nie gesehen, dass sich ein ostiakisches Kind geschnitten hätte.
Neben Renthierfleisch kam gewöhnlich ein grösser Theekessel
auf die Abendtafel, aus dem unglaubliche Quantitäten Ziegelthee
getrunken wurden. Dann ging es „zu Bett,“ sofern ich die Leute
nicht noch über Allerlei ausfragen liess, was gewöhnlich der Fall
war. Ein Mann musste übrigens zur Heerde um diese zu hüten,
was stets mittelst eines Renthier-Dreigespanns geschieht. Obwol
wir nie einen Wolf (samoj. Wunga oder Wünga sarnic-k [Sehr.],
ost. Hartacha) auf der Tundra zu sehen bekamen, so soll er doch
keineswegs selten sein und oft viel Schaden in den Renthierheerden
verursachen. Dem alten Dschunschi wurden in einer Nacht einmal
30 Renthiere zerrissen und versprengt. Solche versprengte und
anderen Heerden zugelaufene Ren werden gewöhnlich als ein Geschenk
des Himmels betrachtet, geschlachtet und verzehrt. Wie bei
den Lappländern scheint also auch bei den Ostiaken das Ren die
einzige Versuchung, an welcher die Ehrlichkeit Schiffbruch leidet.
Aber die Syrjänen behalten solche zugelaufene Renthiere, die sie
mit ihren Zeichen stempeln und sich auf diese Weise oft ganzer
Heerden von Samojeden bemächtigen, wie Schrenk durch Beispiele
(z. B. p. 514) belegt. Nach der Versicherung unserer Leute würden
Syrjänen und Samojeden öfters junge Wölfe aufziehen und sie so
zähmen, dass sie gemeinschaftlich mit den Hunden bei der Heerde
den Dienst versehen, eine Fabel, an die sie selbst nicht glauben,
denn bei strengerem Inquiriren ergab es sich, dass Keiner einen so
zahmen Wolf gesehen hatte. Wie die Menschen gegen die Wölfe
ihre gewichtigen Schutzgötter besitzen, so haben die Wölfe unter
sich ihren „Scheitan“ und machen ihre Prophezeihungen. Bei grösser
Kälte und Hungersnoth im Winter rennen sie nämlich nach den
Kamene (Steinen, d. h. dem Ural) und.scharren einen Hügel von
Schnee zusammen. Auf diesen springt nun der weiseste der Wölfe
und nach der Seite wohin der meiste Schnee abrollt, läuft mit ihm
die ganze Meute, denn dort werden sie Beute finden. — Nach der
Versicherung der Eingebomen belästigt die Wölfin übrigens da wo
sie ihre Jungen hat die Heerden nicht, sondern hält sich möglichst
verborgen und unbemerkt.
Ist die letzte Pfeife ausgeraueht, das Zeltfeuer ziemlich verglimmt,
so strecke auch ich mich zu den Uebrigen hin und träume
auf dem harten Lager oft so schön, als im besten Bett. Einer
dieser Träume steht in meinem Tagebuch verzeichnet und ich will
ihn hier mittheilen. Mir träumte ich läge unter dem schwarzen
Firmament, an dem einzelne kleine helleuchtende Sterne blitzten,
während eine ebenfalls leuchtende Hand immer neue Sterne schuf,
Das war schön und merkwürdig; aber noch viel merkwürdiger, dass
erwachend der Traum fortdauerte und Wirklichkeit zu sein schien.
Ich war mir der offenen Augen bewusst, sah aber immer noch die
schwarze Nacht mit den flimmernden Sternen! Freilich nur ein
paar Augenblicke, denn dann erkannte ich mich in dem dunklen
Tschum, die Sterne als kleine Löcher, die flammende Hand als ein
grösseres Loch in demselben, draussen war es bereits Tag!
Die Umgebung zeigte mir übrigens die reine Wirklichkeit und
die Familie schon bei der Morgentoilette. Dieselbe besteht weniger
im Kämmen des langen Haares, welches auch die Männer in zwei
Zöpfe flechten, sondern vom Kamm wird nur gelegentlich Gebrauch
gemacht. Und doch war er ausnahmlos sehr nöthig, sowol bei
unseren Leuten, als in der Familie Sanda. Denn ich sah wiederholt
zu, wenn Vater Sanda Jung Sanda, Frau Sanda junior Frau
Sanda senior unter dem Kamm hatte u. s. w. Es herrschte da eine
anerkennenswerthe Gegenseitigkeit der Hülfsbereitschaft und nur die
kleine Frau musste die Säuberung ihrer Haare selbst vornehmen,
denn ihr braver junger Mann war auch hierin ungalant. Aber die
kleine Frau wusch sich wenigstens regelmässig täglich einmal, und
zwar regelrecht mit Wasser, nicht in der etwas lässigen Weise der
reichen Frau Dsäungiä, welche nur einen Mundvoll nahm, und denselben
dann über die Hände entleerte. Dass Handtücher überflüssig
sind wird man im Voraus nicht anders von diesen Leuten erwarten,
wenigstens Handtücher in unserem Sinne. In ihrer Weise besitzen
sie solche, und zwar sehr practische, wenn dieselben auch nicht
gewebte sind. Mittelst einer Art Hobel (ost. Woldab), d. h. eines
der Länge nach ausgehölten Stückchen Holzes mit einem Querspal't,
in welchen die Klinge des Messers als Hobeleisen eingesetzt wird,
schaben sie nämlich Lärchen- und Weidenholz. Die Späne bilden
eine äusserst feine, elastische, weiche Masse, die schwammartig
Wasser aufsaugt und sich daher zu Auftrocknenzwecken vortrefflich
eignet. Dieses Material (samoj. Piau-worro; ost. Wotleb) führen
die Weiber stets in ihren Arbeitssäckchen oder den erwähnten Näh-
kasten bei sich. Es dient zum Abtroeknen von Gesicht, Händen
und Geschirr, soweit letzteres überhaupt in Frage kommt, und zu