per Tag allerdings auf nur einen Rubel festgestellt, aber die Einrichtung
war auch darnach. Die Wände prangten in zerrissenen
und zerfetzten Tapeten, hinter denen Genossen der Insektengattung
Wanze; in geschützter Ruhe, unzählige Generationen gezeitigt
hatten, die in Legionen dem müden Schläfer ihre Nachtvisiten
machten, selbstredend nicht zur besonderen Erbauunaf desselben.
Das Meublement war ebenfalls entsprechend, aber wir wussten bereits,
dass in sibirischen Hôtels Sessel und Sophas stets mit einiger
Vorsicht zu gebrauchen sind. Hatten wir es doch erlebt, dass eine
Excellenz, die uns in einem ersten russischen Hôtel einen Gegenbesuch
abstattete, mit dem, sehr versprechend aussehenden, plüschbezogenen
Lehnstuhl zusammenprasselte. Wenn ich noch hinzufüge,
dass der „Europäische Hof“ über nur ein Waschbecken nebst
Wasserkrug verfügte, welche Gefässe hei uns die Runde machten,
und dass das Tafelservice (ich schweige von dem Tischtuche) damit
im Einklänge stand, so wird man sich ein ungefähres Bild vor-,
stellen können. Ueber die Verpflegung hatten wir uns im Ganzen
weniger zu beklagen, als über die Einrichtung. Zwar hiess es wie
überall auf die Frage, was giebt es zu essen? ohne Zögern, „Alles
was Sie wünschen!“ worauf Freund Brehm wie üblich, „Fasan mit
Sauerkraut und Austern“ verlangte, aber in der That war eigentlich
kaum Etwas bereit. Es erwies sich daher als nothwendig, das
Mittagessen gleich am Abend vorher zu bestellen.. Die Preisstellung
in solchen Hotels steht mit der allgemeinen Billigkeit der Lebensmittel
durchgehends im schroffsten Widerspruch. So bezahlte ich
z. B. für das Braten von zehn Haselhühnern, die ich à einen Rubel
selbst auf dem Markte gekauft hatte, einen Rubel und zwanzig
Kopeken. Der Koch musste nämlich seitens des Wirthes besonders
gefragt werden, ob er sich auf diese aussergewöhnliche Arbeit überhaupt
einlassen wolle! Ein Samowar, also eine Theemaschine mit
kochendem Wasser, kostete zehn Kopeken, verlangte man Thee und
Zucker dazu, so macht dies allein sechzig Kopeken. Ein Beefsteak,
allerdings meist von kräftigem Wuchs, wurde mit vierzig bis sechzig
Kopeken berechnet, bei Fleischpreisen von fünf bis sechs Kopeken
per Pfund. Sterlet, deren man für zehn bis zwanzig Kopeken
hübsche Exemplare auf dem Markte kauft, kostete die Portion
sechzig Kopeken. Caviar wird im Lande des Caviars zuweilen mit
einem Rubel berechnet, vier Eier mit zwanzig, ein Backhuhn mit
sechzig Kopeken, zwei Gläser Kaffee einen halben Rubel, die kleinen
Zwiebäcke dazu per Stück zwei Kopeken u. s. w. Und nun gar
erst die Getränke! Schlechter Roth wein 2‘/2 bis 3 Rubel, trinkbarer
kaum unter 4 bis 41/2 Rubel, Nalifka, eine Art Fruchtsaft,
mit etwas Schnapsbeimischung, im Ganzen noch das reinste Getränk,
bezahlt man die Flasche, welche im Laden siebzig bis achtzig
Kopeken kostet, im Hôtel mit einem Rubel dreissig Kopeken. Dazu
kommen die Trinkgelder an verschiedene männliche Bedienungswesen
(denn weibliche werden in sibirischen Gasthäusern nicht gehalten),
deren Function und Dienstleistung man oft nicht recht begriffen hat.
So erklärt es sich, dass das Gasthausleben in diesen Ländern viel
theurer ist, als im ersten wirklich „europäischen Hôtel,“ wo man
doch überdies ganz andere Annehmlichkeiten und ComfQrt vorfindet
und verlangen darf. Ich habe schon früher diese Verhältnisse gerügt,
aber offenbar ein Unrecht begangen. Denn wenn man tiefer
in dieselben hineinblickt und erfährt, welche Betriebskosten ein anständiges
Hôtel hier an Einrichtung und Dienstpersonal (beides
meist ausnahmslos aus dem Auslande bezogen) erfordert, dann muss
man billig denkend ein anderes Einsehen bekommen. Bei dem
herrschenden Gebrauche, Ankommende, selbst Fremde, in Privathäusern
unterzubringen, ist der Gasthausverkehr im Ganzen ein sehr
beschränkter, und überall, wo wir uns erkundigten, hörten wir, dass
selbst die besteingerichteten und anscheinend glänzend situirten
Hotels nur ein zweifelhaftes Dasein haben, zum mindesten nicht
floriren. Unter solchen Umständen darf man sich mit den hohen
Preisen wohl aussöhnen und kann es nur dankbar anerkennen, dass
überhaupt noch Hotels vorhanden sind, die dem von langer Fahrt
in nichts weniger als comfortablen Stationshäusern mürbe gemachten
Reisenden ein ersehntes Asyl bieten.
Tobolsk, unter 58° 12' n. Br., gehört zn den ältesten Städteansiedelungen
der Russen in Sibirien, dessen Hauptstadt sie lange
Zeit war. Auch die Metropole Kutschum Chans, das alte „Ssibir,“
welches dem Lande zum Namen verhalf, lag nicht weit von Tobolsk.
An der Einmündung des Tobol in den Irtisch ist die Lage der
Stadt ziemlich malerisch (vergl. die Abbild, in Lankenau p. 149),
namentlich dadurch, dass sie in 2 Theile zerfällt, von denen der
kleinere, die frühere Festung, ' welcher die meisten Kronsgehäude
enthält, auf der an 200 Fuss hohen Uferwand des Irtisch erbaut
ist. Das scheint freilich weniger sicher, denn dieses Steilufer besteht
nur aus Sand und Lehm und sein Rand ist durch Einstürze