keit, die in Erstaunen setzte. Zur Entschuldigung füge ich hinzu,
dass der hiesige Schnaps (die Flasche zu 15 Kopeken) allerdings sehr
schwach ist und kaum 20 Procent Spiritus, umsomehr aber Fusel
enthält. Die Leutchen beobachteten übrigens heim Trinken einen
gewissen Comment, der in einem Schwenken des leeren Glases über
dem Kopfe, wol einer Art Nagelprobe, und Kreuzschlagen, gipfelte,
denn die Ostiaken sind ja „Christen“! Ausserdem bemühten sich die
Fröhlichen den gütigen Spendern Rockzipfel und Stiefel zu küssen.
Angesichts der Annahme, dass Betrunkene ihr wirkliches Temperament
nicht verleugnen, so müssen die Ostiaken harmlos fröhliche Menschen
und musterhaft zärtliche Eheleute sein, was ich im Allgemeinen
später bestätigt fand. Denn Maria Pawlowna — die Ostiaken hier
haben alle christliche Namen — küsste das rothgedunsene Gesicht
ihres Iwan Petrowitsch, oder wie er heissen mochte, mit einer Inbrunst,
als läge sie das erste Mal an seinem Busen, und er erwiderte diese
Liebe nicht minder heiss, kurzum es schien eine wahre Idylle aus
der goldnen Schäferzeit. Der lspravnik meint freilich, dass diese
Rührscenen leider am Ende regelmässig in ehelichen Streit mit Keilerei
ausarten, aber ich halte das für Verläumdung!? Wie friedlich, wenn
auch schwankend, zieht nicht die Schaar, mit einer Reserveflasche
versehen, ihren Kähnen zu, da kann wol kein Streit entstehen?
Doch was sehe ich? Die zarte Iwanowna, eine junge Frau von kaum
17 Jahren, wirft sich plötzlich zu Boden und vergreift sich an der
ihr' hülfeleistenden Freundin, da werden sich die Männer wol auch
bald drein mengen und der lspravnik könnte am Ende doch Recht
haben!
Da wir auf der Rückreise wieder von den damaligen Theilnehmern
der fröhlichen Partie als Ruderer erhielten, so kann ich gleich hier
einfügen, 'dass die Prügelei schon im Keime erstickt worden war:
der lspravnik hatte die ganze Gesellschaft einsperren lassen! Nach
vollbrachtem Schlaf ernüchtert, waren sie friedlich nach Haus gefahren,
die von mir gespendete Reserveflasche zur Erquickung der
Zurückgebliebenen mit ihnen; gewiss ein ehrender Beweis des Worthaltens
gegenüber so verführerischen Verlockungen.
Bereosoff (Bereosow, Berjosow, Berezow, Beresoff, Beresowsk,
ostiak. Sumywatsch, samojed. Chu-Charn), etwa unter 64° n. Br.,
ist die einzige Stadt am Ob, nördlich von Samarowa und Sitz der
Verwaltung eines Kreises, der sich von Surgut bis zur Nordspitze
der Halbinsel Yal-mal über mehr als 11 Breitengrade ausdehnt, aber
auf 10 Qu.-Werst nicht mehr als einen Bewohner zählt. Die Stadt,
1593 gegründet, welche schon vor 100 Jahren an 150 Häuser besass,
hat jetzt kaum 50 bis 60 mehr aufzuweisen und zählt kaum 2000
Einwohner (1659 nach Schwanebach). Sie sind durchgehends Russen,
meist Abkommen von Kosaken, von welchen ein Kommando hier
seinen Sitz hat und zwar Infanterie, da Pferde nur in beschränkter
Anzahl gehalten werden. Die Stadt hegt, wie erwähnt, am linken,
hohen, aus Sand und Lehm bestehenden Ufer der Sosswa (Hermelinfluss,
vom ostiak. Soss = Hermelin), welche etwa 27 W. unterhalb
in den kleinen Ob mündet, in einer Höhe von nur 88 F. ü. d. M.
(Hofmann; 20 M. Graf Waldburg). Etwa eine Werst unterhalb
der Stadt ergiesst sich die kleine Wogulka in die Sosswa. Ein
Arm derselben, welcher eine morastige Einsenkung durchfliesst, die
zweimal überbrückt ist, theilt die Stadt in eine nördlichere kleinere
und eine grössere südliche Hälfte.
In der ersteren steht, hart am’Steilufer der Sosswa und an dem
hübschen Uferwalde die Kirche zur heiligen Mutter Gottes, als deren
Gründer noch hent im Volksmunde Fürst Alexander Menschikow*)
gilt, der auch seiner Zeit die schönen Lärchen und Arven rechts
gepflanzt haben soll. Die Ruhestätte dieses berühmten Staatsmannes
und Feldherrn befindet sich aber nicht hier, sondern nahe der zweiten
Kirche, der Kathedrale zur Auferstehung Christi, welche meine zweite
Abbildung (Kap. XIV.) links darstellt. Sie ist bei Weitem grösser als
die erste, ebenfalls massiv, zeigt aber ein verwahrlostes, reparaturbedürftiges
Aeussere. Unter den Kostbarkeiten dieser Kirche befindet
sich neben anderen werthvollen Geschenken dieses Fürsten ein goldenes
Medaillon, eine Haarlocke enthaltend, welche derselbe bis an sein Ende
auf der Brust getragen haben soll. Wir sahen weder diese Reliquie,
noch das Grab des Fürsten und das seines einstigen Collegen Graf
Heinrich Ostermann, weil keine Spuren derselben mehr vorhanden
sind. Doch bezeichnet der Volksmund eine Stelle, wo Menschikow’s
Tochter, die einstige kaiserliche Braut, ruhen soll. Auf die sterblichen
Reste des letztgenannten Ministers stiess Hofmann**) unver-
muthet im Jahre 1848. Die „Uralexpedition“ suchte damals diese
*) Wie lebhaft, wenn auch ahentheuerlich ansgeschmückt, das Andenken desselben
noch vor 30 Jahren hei den Bewohnern Bereosoffs fortlehte, geht ans den
Erzählungen der Kosaken hervor, welche Castren (p. 284) mittheilt.
**) Siehe dessen: „Der nördliche Ural und das Küstengehirge Pai-Ghoi“ (Petersburg
K. Acad. d. Wiss. 1853) p. 118 (mit Abbildung). 1