grosse Masse der Naturvölker. Nur einzelne Grübler erheben
sich noch zu der Idee einer oberhalb dieser Gegensätze schwebenden
Gottheit, die zwar gütiger Natur, aber, gleich den Göttern
des Epikur, gleichgültig gegen die Erde und ihre Angelegenheiten
ist, in unerreichbarer Ferne weilend, wie Yankupong an
der Goldküste oder Num der Samojeden. Das bei den Chinesen
das All (gleich dem Jupiter des Ennius) abrundende
Himmelsgewölbe ist dagegen durch den Staatscultus auf astronomisch
meteorologischer Grundlage des Kalenderwesens in eine
magische Verknüpfung mit den Geschicken des unterhimmlischen
Reiches gebracht.
Das dämonische Heer, das die Priester in Folge der an sie
gestellten Ansprüche in ihre Gewalt zu bannen gezwungen wurden,
kann nun später noch auf mancherlei andere Weise benutzt
werden. Die Negerpotentaten' finden es am billigsten, die Polizei*)
durch Fetische üben zu lassen, die sie den Tempeln entnehmen,
und eben so wirksam hüten die Atua in Polynesien das
Tabu, wo immer es auferlegt ist. Hiermit tritt zuerst die Idee
einer moralischen**) Verurtheilung hervor. Wer das Tabu»bricht,
ist ein Kakini, ein schlechter Kerl. Was er sonst thut, kümmert
Niemand. Schlägt er seinen Nachbar todt, so mag er es
thun; er thut es aber freilich auf seine eigene Gefahr und wird
*) Expedire igitur existimat (Scävola) falli in religione civitates, quod dicere
etiarn in libris rernm divinarum ipse Varro non. dubitat (August). Varro utile
esse civitatibus dicit, ut se viri fortes, etiamsi falsum s it, ex diis genitos esse
credant.
*♦) Die vermögenslosen Armen werden von den slavonischen Gemeinden als
Böse (chudy) ausgestossen. Der Gute ist der Begüterte. Nur den Höchststehenden
wurden bei den Persern Staatsgeheimnisse anvertraut (nach Amm Marc.),
weil eine weniger edle Natur der Verschwiegenheit nicht fähig sein würde (die
man auch den Frauen abspricht). Dem gemeinen V olte ist (nach einem von Pris-
cus auch bei den Hunnen gefundenen Unterschiede) nur Meth erlaubt, während
der (esthnische) Dorfkönig (mit den Rachimburgi oder Reichen im Burg) in
Kumys schwelgt, und so trinkt Odin allein Wein (in der Edda).
höchst wahrscheinlich wieder todt geschlagen, entweder in Folge
der Blutrache,*) oder von der Gemeinde, die erbittert ist, ein
nützliches Mitglied verloren zu haben. Im Uebrigen wird seine
That keinen Tadel**) finden, da er einen Grund für dieselbe
gehabt haben wird, denn umsonst regt der Wilde weder Hand
noch Fuss. Das Stehlen***) ist ein Geschicklichkeitsspiel, das
indess nicht leicht unentdeckt bleibt , besonders wenn man das
Orakel zu Rathe ziehen kann, und das deshalb wegen der
höheren Strafe für denVerüber meist unprofitabel endet. Ueber
den Ehebruch herrschen die verschiedensten Ansichten bei den
wilden Stämmen. Oft hütet der Gatte auf das Eifersüchtigste
seine Frau und würde gegen jeden Eindringling von seinem
Hausrecht Gebrauch machen, oft dagegen wird sie leihweise überlassen
t) oder Ändern abgetreten, oft besteht überhaupt kein
Ehezwang. Wie wechselnd die Ideen über Anständigkeit sind,
beweist ein Besuch im (un-)gesitteten Japan. In Travancore galt
(zu Forbes’ Zeit) das Bedecken der Brüste für unanständig und
wurde an den Frauen streng bestraft. In Tidore durften die
Frauen nur mit völlig entkleidetem Körper vor die Augen des
*) Das Gesetz der Friesen erklärte den Vatermörder n ur der Erbschaft verlustig,
und auch der Mord der nächsten Verwandten blieb gewissermassen unbestraft,
da keine Composition angesetzt war, wo es sich nicht über Ausgleich mit;
anderen Familien, sondern um innere Angelegenheiten handelte. In Athen erklärte
man später das Fehlen eines Gesetzes gegen den Vatermord aus der UnmögUch-
keit desselben. Dem alemannischen Gesetz fügte die christliche Zeit den Tgdel
hinzu über das Sündhafte, das in diesem Vergehen gegen Gottes Gebote läge.
**) L’idéal de la vertu c’était ce délire furieux, où le guerrier (Berseker) se
précipitait l’épée à la main sur ces compagnons comme sur ces ennemis (Ozanam).
***) In Hatra (èv "Arçois) werden Diebe gesteinigt, bei den Kaschanen angespieen,
bei den Römern gegeisselt, aber jenseits des Euphrat und im Osten
zürnt man nicht über den Schimpf als Dieb oder Mörder, wohl aber rächt man
den des Männerschänders (Bardesanes).
f ) Wie in Kongo, Arracan u. s. w. „Bei den Rakamäern, Edessenern und
Arabern trifft nicht nur den Ehebruch der Tod, sondern schon der Verdacht desselben.“