schneiden, dass wir statt scharf zu differenziren, möglichst verschwimmend
generalisiren. Wird dann überhaupt eine unbedingte
Verfügung über die Zeit beansprucht, wird es selbst
als Grundsatz aufgestellt, den Hypothesen über die Dauer geologischer
Perioden eine möglichste Ausdehnung zu geben, so ist
es von vornherein mit jedem Denken vorbei, denn in langer
Zeit is t, wie schon der gute Herodot es wusste, Alles möglich,
ist Alles geschehbar, aber deutlich gewusst, als wirklich geschehen,
ist dann Nichts mehr. Die Fortzeugungsfähigkeit in
der organischen Natur begründet zwischen ihr und der anorganischen
nur einen relativen Unterschied. Allerdings vermag die
Einwirkung des Milieu im Organismus (wie bis zu einem gewissen
Grade auch im Krystall) Transmutationen hervorzurufen,
die zur Erwerbung neuer Eigenschaften und zur Fortpflanzungsfähigkeit
derselben befähigen, immer aber nur innerhalb der
Spielweite möglicher Existenzfähigkeit. Wird diese überschritten,
so tritt uns damit eine neue Existenz entgegen, die wir, wenn
mit diesem Worte überhaupt ein Sinn verknüpft werden soll,
als gesondert erfassen müssen. Die von uns in die Natur hineingetragenen
Eintheilungen sind subjective, nicht objective, und
würden wir zwei bisher als getrennt aufgefasste Existenzen verschwimmen
sehen, so hätten wir unsere subjective Scheidung als
unrichtige anzuklagen und durch weitere Auffassung zu verbessern,
nicht aber in dem objectiven Bestehen einen Zusammenhang
zwischen Erscheinungen zu vermuthen, um deren Getrenntheit
auszudrücken, wie eben den Species- oder (wenn man will)
den Genusbegriff in der Sprache, und also im Denken geschaffen
haben. Da wir inmitten der Naturentwicklungen stehen,
muss für unser Bäsonniren darüber stets der subjective Standpunkt
festgehalten werden, da für die objective Betrachtung die
Frage nach dem Ttov otcj noch nicht beantwortet ist. In der
Descendenztheorie wird ein Inductionsschluss gefunden, der seine
¡Wahrheit mit dem ergänzenden Deductionsschluss der Pitho-
[coidentheorie deutlich in sich trägt (Haeckel), und allerdings ist
diese Theorie der allgemeinen Descendenz einer jener Inductions-
schlüsse, wie sie die Philosophie von jeher bei Hunderten gebildet
hat, aber gewiss kein naturwissenschaftlicher Inductions-
¡schluss, der scharfes Eindringen in die kleinsten Detailverhältnisse
verlangen würde, wogegen jene sich mit den ungefährsten Allgemeinheiten
begnügt, und im Gegentheil unsicher wird, wenn
[sie bei der Genealogie auf Einzelnheiten eingeht. Als Hypothese
könnte diese der Descendenz unter Umständen so gut wie jede
andere sein und auch ohne die Möglichkeit einer stricten Beweisführung
ihre vorläufige Verwendung verlangen können, wenn
dadurch der Gewinn praktischer Resultate in Aussicht stände,
ähnlich wie sich die Physik der Theorie der Aetherschwingungen
bei dem Licht bedient. Während aber in dem letzten Falle
diese Theorie für Erleichterung der zur Erklärung führenden
Rechnungen sich empfiehlt, greift die Descendenztheorie nirgends
in praktische Erörterungen ein, sondern kann nur speculativ
verwandt werden, während gerade durch den speculativen Gebrauch
solche an sich unschädliche Aushülfstheorien erst gefährlich
werden und auch die Aethertheorie in den Köpfen physikalischer
Laien manchen Wirrwarr angestiftet hat.
Für den Naturforscher kann kein Atom*) der Materie vernichtet
werden, da es im Kreislauf der Veränderungen in einer
neuen Modification wiedererscheint; aber indem wir schliesslich
I nicht den Stoff als solchen, sondern nur die in demselben
[ waltenden Kräfte verstehen, würde die Schöpfung des Aristoteles
*) Das Molecul im stabilen Gleichgewicht ist einem Wechsel der Form durch
die attraotiven oder repulsiven Einflüsse von verschiedenartig constituirten Mole-
cnlen ansgesetzt, worin die Phänomene der chemischen Veränderungen liegen und
neue Molecularformen in grösserer oder geringerer Complication und grösserer
oder geringerer Stabilität bewirkt werden (Bayma).