wissenheit*) ihre Seelenwanderungen durchlaufen hat. Jetzt zuerst
mit einem menschlichen Körper bekleidet, ist es ihr jetzt zuerst
ermöglicht, in weiterer Ausdehnung Verdienst zu sammeln
und sich für Ersteigung höherer Stufen vorzubereiten, aber das
erste Debüt wird meist nicht besonders glänzend ausfallen und
nur einen geringen Nettogewinn an Tugendverdienst übrig lassen.
Nun folgt eine Vielfachheit neuer Einkörperungen, deren Natur
stets durch den vorwiegend tugendhaften oder lasterhaften Charakter
des vorangegangenen Lebens bestimmt wird**). Jedes
Böse erhält seine Strafe, jedes Gute seine Belohnung, wie es
der gesetzliche Zusammenhang in der Harmonie des Dharma
fordert. Dieselbe Wesenheit, die schon so weit in Tugendansammlungen
fortgeschritten sein mochte, um das beglückte Leben
eines Fürsten oder das heilige eines Priesters auf Erden zu führen,
mag dennoch plötzlich wieder durch eine schwere Sünde so tief
gestürzt werden, um nach dem Tode in einem der Höllenräume
wiederum aufzuleben oder sich aufs Neue in einem Thierkörper
eingekerkert zu finden. Durchschnittlich arbeitet sich die Menschennatur
mühsam und beschwerlich empor. Der geplagte Leibeigene
oder Sclave, dem seine Herrendienste nur wenig Zeit
übrig lassen, seinen Geist und somit seine Moralität zu cultiviren,
kann nur verstohlen hier und da ein Stückchen Tugendverdienst
*) L ’imperfection des organes ne permettant pas, dans l’enfance, nn grand
développement d’idées, cet âge est celui d’nne sorte d’imbécillité folâtre, mais
c’est précisément de la légèreté des idées, qne produisent dans les premiers
temps de la vie les impressions venant de l’extérieur, que la raison humaine
acquiert par la suite sa plus grande force, de ce que l’enfant est obligé de revenir
un grand nombre de fois sur les mêmes choses1, pour se les inculquer il les
sait mieux, quand sa mémoire est parvenu à se les appropier, et de là ces habitudes,
qu’on a très à propos appelées une seconde n a ture, mais qu’on a eu tort
de regarder comme déterminées uniquement par l’instinct (Duméril).
**) Der empirische Charakter ist unfrei, der Mensch aber ist verantwortlich
(nach Kant), indem der empirische Charakter nur die endliche Erscheinung des
intelligibilen ist (s. Bössler).
bei Seite legen, aber er hütet diesen Schatz um so sorgsamer
und eifriger, je mehr er den Trieb in sich fühlt, seine qualvolle
Existenz, die Prüfungszeit des Lebens (nach Kant), los zu werden
und im nächsten Leben*) mit einer besseren zu vertauschen
(obwohl er dieses erwünschte Ziel nicht etwa durch den Selbstmord**),
der alle seine früheren Tugendverdienste annulliren
würde, beschleunigen könnte). Mitunter mag selbst dieser vom
Leben ungünstig Gestellte Gelegenheit haben, eine so besonders
verdienstvolle Handlung zu üben, dass er sich nach dem Hinscheiden
in einen der Freudenhimmel versetzt sieht und dort
längere Zeitepochen der Seligkeit gemessen kann. Mit solch
sinnlicher Ergötzung ist aber natürlich seine geistige Ausbildung
nicht abgeschlossen, vielmehr im Gegentheil manchmal.gehindert,
denn die nach Erschöpfung des Tugendverdienstes aus dem Himmel
auf die Erde zurückkehrenden Menschenseelen, bewahren manchmal
noch Beste ***). göttlichen Stolzes und Anmassung, wodurch
sie sich das nächste Mal beim Existenzwechsel, statt zu den
Palästen der Maharaja aufzusteigen, in die Folterkammern der
*) Im Zusammenhang mit der Lehre von der Seelenwanderung (tanäsuh)
unterschied Ahmad ben Habit fünf Stufen des überirdischen Lebens, wovon zwei
dem Paradies, drei der Holle angehören so llten , und das Schauen Gottes wurde
auf das Schauen der ersten Vernunft bezogen (s. Steiner). Die Religion der Ui-
guren war die der Kames oder Zauberer, bis ’dieselben durch die vom Khan von
Khitay gesandten Lamas überwältigt und zum Buddhismus bekehrt wurden. „Sie
sagen, dass ihre Seelen Tausende von Jahren lebten nnd durch Leiber von Thieren
hindurchgehen“ (Atta-melik Djouveini). Die Lehre der Seelenwanderung bestand bei
den Mazdakijah (unter den Magus),¡bei den Brahmanen (unter den Indern) und bei
den Ssabiern unter' den Philosophen (nach Shahrastani). Ebenso bei Kelten,
Preussen, Geten u. s. w. Jeder Mensch kommt so oft wieder, bis er die höchste
Stufe, der Speculation durch eigene Anstrengung oder Leiden erlangt (Guhrauer).
**) Die Selbstmörder, die Aeneas (bei Virgil) vor den traurigen Feldern umherschweifen
sieht, sehnen sich vergebens in das Leben zurück, das sie unüberlegt
verlassen.
***) Gewissermassen in Folge eigener Sünden hereditär belastet, wie es bei den
Geistesstörungen von Griesinger im Sinne der Abstammung und Vererbung ausgedrückt
wird. Nach Neumann sind mehr die Membranen erkrankt, als die Hirnsubstanz.