horchen mussten, sie vermochten also zu lösen und zu binden,
sie hatten unbedingte Verfügung über das ewige Seelenheil aller
ihrer Pfarrkinder, und rasch wurde nun Himmel und Hölle*)
ausgebaut in all’ der bunten Mannigfaltigkeit wohnlicher Einrichtungen
und Folterkammern, wie sie die dogmatischen Architekten
am besten innerhalb des jedesmaligen Grundrisses von Weltgebäuden
anzubringen vermochten.
Wie das menschliche Nervensystem das thierische in seiner
feineren Organisation übertrifft, so vermag der menschliche
Geist nicht bei den Sinneseindrücken als solchen stehen
zu bleiben, sondern wird durch die Anregung derselben zum
Weiterdenken gezwungen. Er completirt sich deshalb, um
eine harmonische Einheit der Auffassung zu gewinnen, die zerstückelte
Erscheinung der sichtbaren Welt durch Zwischenfügung
unsichtbarer Wesenheiten, in denen er die verborgenen
Ursächlichkeiten der hervorgetretenen Wirkungen zu erkennen
glaubt, und ein weiterer Fortschritt wird diese vielfachen Kräfte
auf eine gemeinsame Quelle zurückführen, als deren Ausfluss sie
erscheinen, so dass sich der Polytheismus zum Monotheismus
vereinfacht. Ob in einem Volke die polytheistische oder monotheistische
Richtung vorwiegt, hängt von leicht nachweisbaren
Einflüssen der Umgebung ab, und in jedem Polytheismus wird
die eine oder andere Energie mit einer Suprematie betraut sein,
und jenseits keine Beichte und Vergebung mehr möglich sei (Schwane). Die
Reconciliation der Sünder, die keine wahre Busse gethan haben, gilt nicht vor Gott.
*) Vidi multa saepe picta, quae Acherunti flerent crnciamenta (Plaut.). Carcer
et horribilis de saxo jactus deorsum, verbera, carniflces, robur, pix , lammina
taedae (Lucret). In der vom glühenden und kochenden Strom des Phlegethon
umkreisten Burg der Tisiphone foltert Rhadamanthus die schuldigen Seelen, bis
sie nach dem Geständniss in die Schlünde Scylla’s in der Hölle hinabgestossen
werden (s. Virgil). Aus den Gefilden der Seligen kehren die Todten nach dem
Trunk aus dem Lethe-Quell an die Oberwelt zurück. Dulcedinis una hora suo
spatio terminatur, poenae vero una hora triginta dierum vim possidet, quot dies
perceperit quisque voluptatem, totidem annis crucietur (Herrn. Past.).
der gegenüber die übrigen in die Stellung von Dienern zurtick-
treten, wie sie wieder in keinem Monotheismus fehlen.
Indem nun das Denken seine Götter in die Aussenwelt proji-
cirt und sie sich nach dem mythologischen Geschmack des jedesmaligen
Volksgeistes ausmalt, so wird es sich einer Rückwirkung
derselben auf das eigene Innere nicht entziehen können und
ihre Macht mit jeder Generation wachsen sehen, die dieses Erbgut
der Traditionen weiter verpflanzt. Der Mensch fühlt sich
auf seiner eigenen Erde in unbekannter Fremde. Fremd ist für
ihn die Pflanzenwelt, die um ihn spriesst und treibt, fremd das
Thier, das scheu vortiberfliehty fremd jener Himmel, an dem
an jedem Morgen ein goldener Ball emporsteigt, um sich allabendlich
im Dunkel zu versenken. Die wunderbare Natur um
ihn, sie bleibt sich gleich in allen ihren Wechseln, doch stumm
auf seine Fragen. Dem Staunen folgt die verzweiflungsvolle
Qual des Nichtwissens, rathlos schaut der Geist umher, und vor
seinen ermüdeten Augen verwirren sich dieRäthsel, die er nicht
zu lösen vermag, zu düsteren Geheimnissen. Doch zwischen den
Maschen blicken hie und da vertraute Gesichter hervor: die der
Götter, die er selbst dorthin gestellt, und die er jetzt freudig als
alte Bekannte begrüsst. Sie, die in der für ihn fremden und
unbekannten Umgebung heimisch zu sein scheinen, müssen ihm
nun dazu dienen, das Verständniss dieser zu eröffnen. Die Natur
hat seine Fragen nicht beantwortet, und er wendet sich deshalb
an die subjectiven Götter, aus und durch deren Gegenwart
es gelingen könnte die Natur zu erklären. Diesen Göttern gegenüber
fühlt er sich deshalb auch unter der Pflicht hoher. Verbindlichkeit.
Die Oede in seinem Innern, das Gefühl des Fremdseins
und der Verlassenheit in dieser starren und majestätischen Natur,
die ihn mit der erdrückenden Wucht ihres Pompes umgiebt, das
ahnungsvolle Sehnen nach Aufklärung, Alles führt ihn den
Göttern zu, die, wenn auch oft wild grausam, doch dem Mensch-
B a s t i a n , Reise VI* "