tigkeit*) als unmoralisch zu brandmarken, mag es Anderen
doch scheinen, dass Alles ganz vernünftig abgelaufen sei, da
sich das Geld des Unverständigen, dessen Verlust ein gleichgültiger
sei, jetzt in besseren Händen befinde. Hätte sich der
Kluge noch auf so niedriger Stufe des Verständnisses befunden,
dass seine überlegene Klugheit von ihm dazu benutzt wäre, dem
Anfragenden alle Gefahren zu verdecken und ihn geradezu in
das Verderben zu senden, so würde er in Folge kluger Feinheit
ausnehmend unklug **) gehandelt haben, denn (abgesehen von dem
Zweifelhaften, ob der als möglich vorausgesehene Ausgang überhaupt
einträte), läge er jetzt den Gefahren offen, dass durch
Mittheilungen der Betheiligten oder andere Zufälligkeiten seine
schändliche Falschheit an das Licht träte und er einer allge-
gemeinen Verachtung anheimfalle, für die der Erwerb von
Glücksgütern nur eine schwache Recompensation sein würde.
Doch auch im ersteren Falle hat der Kluge nur mit einem sehr
geringen Grade des Verständnisses gehandelt, indem er seinen
innigen Zusammenhang mit der Natur, die einzig natürliche
Grundlage der Existenz (sein ewiges Heil in der Sprache religiöser
Anschauung), für immer (oder doch auf so lange Zeit
hinaus, dass sie nach unserer Zeitauffassung als ein Immer erscheinen
mag) zerrissen hat, eines temporären***) Vortheils wegen,
dessen Erlangung, an und für sich , schon unbestimmt, jeden
*) Keine sehr strenge Strafe erfolgt anf Unwahrhaftigkeit. Zn allen Zeiten
und in allen Ländern ist Unwahrheit in der Liehe für erlaubt, im Kriege fast
für lobenswert!) gehalten, und heutzutage ist sie bei der Mehrzahl der Menschen
im Handel, in Geschäften und in der Speculation gestattet (Wallace). 1870.
**) As the working people get more information, they get better habits (Place).
Every class above another teaches that below it, the journeyman tradesman is
above the common labourer, and manners descend from class to class.
***) Wäge gegen den irdischen Verlust, der dir durch die Erfüllung eines Gebotes
ersteht, den dadurch erworbenen himmlischen Lohn ab und den durch eine
Uebertretung erlangten Gewinn gegen die ihm folgende Strafe (heisst es in der
Mischnah des Talmud).
Augenblick wieder genommen oder durch den eigenen Tod, über
dessen Eintritt Niemand Controle besitzt, gänzlich abgeschnitten
werden kann. Dieser Riss ist aber eingetreten durch ein Handeln,
das, als mit sich selbst unwahr, einen quälenden Widerspruch
hervorruft. Allerdings war von ihm, indem er seinen
vorsichtigen Rath abgab, keine directe Lüge*) ausgesprochen.
Er hat Alles, was ihm der Verstand eingab, consultirt, und seine
Antwort in solcher Weise gefasst, dass er für jeden in derselben
gebrauchten Ausdruck, seine Erklärung und Entschuldigung bereit
hat, von Niemandem ihretwegen zur Rechenschaft gezogen
werden kann. Der Verstand macht aber nur einen Bruchtheil
der menschlichen Wesenheit aus, die ihrer grösseren Hälfte nach
von dem Gemüth dominirt wird, dessen unklare Eindrücke allerdings
mehr und mehr durch deutliche Zergliederung in die bestimmten
Vorstellungen des Verstandes Ubergeführt werden sollen,
das indess noch immer den Schwerpunkt der grösseren Masse
auf seiner Seite hat und also vor Allem um seine Zustimmung
befragt werden muss, wenn der Mensch in seinen Handlungen
sich einheitlich wahr zu bleiben wünscht. Das Gefühl würde
nun aber aus den überall die Natur durchwaltenden Gesetzen
der Mitleidenschaft den Rathgeber dazu geführt haben, mit allen
ihm zu Gebote stehenden Argumenten, mit der ganzen Kraft der
Ueberzeugung seinen unvorsichtigen Freund zu warnen und die
Ausführung der Pläne desselben zu hindern. Er hat sich nun
*) Je nach dem Zustande des Geistesverkehrs leidet die Wahrhaftigkeit Still-
stehnng oder Beschränkung, entweder durch Stillschweigen oder Leugnen (falsilo-
quium) oder Lüge (mendacium), womit die Verstellung zusammenhängt. Mehr
oder weniger kann sie stillgestellt werden da, wo der Sprachverkehr durch fremde
Schuld gestört ist, in Fällen des Krieges oder der Nothwehr oder Solchen gegenüber,
welche die Wahrheit feindselig oder übelwollend oder unzart oder unklug
missbrauchen, oder auch, wo der Sprachverkehr durch die Schwäche der Erkennt-
niss und Gemüthskräfte Anderer nicht vollständig statthat (mendacium offleiosum).
Hieran schliesst sich die Anbequemung im Unterricht und in der Erziehung,
welche theils negativ (verschweigend) ist, theils positiv (De Wette).