nahenden Weltenendes, so ist es heute die freie Thätigkeit des
denkenden Geistes, die unbeirrt und ungefesselt von den Aufgaben
des politischen Lebens die Vergangenheit und Zukunft
forschend durchschaut, um aus ihr das Verständniss der Gegenwart
zu gewinnen. Sinnend senkt sich der Sinn in die Tiefen
des Ursprungs hinab, das Räthsel des Entstehens zu lösen und
sich im Seienden zu verstehen aus dem Gewordenen und weiter
Werdenden. Dieses Suchen nach dem Anfang des Menschengeschlechts
und dem Anfang des organischen Lebens führt auf
den Anfang der Erde und hat uns jene eigentümliche Verwebung
von Geologie, Palaeontologie und Ethnologie geschaffen,
die man neuerdings als Anthropologie qualificirt. In der Frage:
„Wie ist Natur selbst möglich?“ erkennt Kant den „höchsten
Punkt, den transcendentale Philosophie nur immer berühren mag,“
und er spricht dann den „befremdlichen, aber nichtsdestoweniger
gewissen“ Satz a u s: „Der Verstand schöpft seine Gesetze (a priori)
nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor“. So weit
also der Verstand seine Umgebung durchdringt, so weit versteht
er dieselbe, und da „die Erfahrung zwar lehrt, was da sei und
wie es sei, niemals aber, dass es nothwendiger Weise so und
nicht anders sein müsse,“ so „kann sie die Natur der Dinge an
sich selbst niemals lehren,“ so viel synthetische Sätze a priori
man auch mit „hyperbolischen Objecten“ eonstruirt. Die Herrschaft
der dogmatischen Metaphysik hat unsere Inductionswissen-
schaft zwar abgeschüttelt, aber „noch immer baut sich der Verstand
unvermerkt an das Haus der Erfahrung ein viel weitläufigeres
Nebengebäude an, welches er mit lauter Gedankenwesen
anfüllt, ohne es einmal zu merken, dass er sich mit seinen sonst
richtigen Begriffen über die Grenzen ihres Gebrauchs verstiegen
habe,“ indem das Urtheil den Massstab der Kritik vernachlässigt,
„wodurch Wissen von Scheinwissen mit Sicherheit unterschieden
werden kann“. Innerhalb der Natur, „dem Inbegriff aller Gegenstände
der Erfahrung,“ verstehen wir die Processe in den Reihen
derjenigen Vorgänge, die mit dem Namen der Entwicklung bezeichnet
sind und die, von einem gegebenen Anfang aussetzend,
über den Höhepunkt der Akme zu einem individuellen Ende
verlaufen, das je nach seinen Relationen den Keim wiederholter
oder fortschreitender Erneuerung in sich tragen mag. Sobald
wir über die Natur, den Inbegriff der Erfahrungen, hinaustreten,
so geht uns auch die Vorstellung der Entwicklung verloren, da
dieses Wort nur geschaffen war, um Zustände oder Geschehendes
innerhalb jener zu denken. Die Phänomene des organischen
Lebens sind experimentell controlirender. Forschung zugänglich
und deshalb vergleichungsweise verständlich, für die Entstehung
desselben dagegen müssten wir auf das Anorganische zurückgehen
und an die Entstehung der Erde anknüpfen. Die für
diese von der Geologie gelieferten oder vielmehr aus der Geologie,
ohne deren directe Bestimmung, von Aussenstehenden entnommenen
Data sind (unbeschadet ihres, hohen Werthes für die
eigentlich geologischen Zwecke) noch viel zu neu und ungeklärt,
in ihren vorläufigen Generalisationen allzu schwankend und unbestimmt,
als dass die auf möglichste Erforschung jeder Einzeln-
heit hingewiesene Induction schon jetzt zu fortleitenden Folgerungen
berechtigt sein würde, und ausserdem führen sie im
Anschluss an kosmologische Probleme über die Erde hinaus auf
ein vorbereitendes Chaos im planetaren Raum unseres Sonnensystems
überhaupt, und dieses selbst wird bereits durch die
Astronomie zunächst in den Bewegungen als Gewordenes (und
dann vielleicht in denen des Werdenden) mit anderen Fixsternhimmeln
verknüpft, innerhalb eines Alles, in dessen Unendlichkeit
der Faden endlicher Forschung*) immer früher oder später
*) Je mehr man es sucht, desto mehr ist es entfernt, es kennt keine Grenze,
es kehrt zurück in das Haus des Wissens und vertieft sich immer mehr hinein
(Laotse). Es genügt, es im Herzen des Menschen zu suchen.