Als von dem Range einer eigentlichen Naturwissenschaft entfernt
und unfähig zur systematischen Zergliederungskunst, kann
die empirische Psychologie „niemals etwas mehr als eine historische
und als solche so viel möglich systematische Naturlehre
des inneren Sinnes, d. h. Naturbeschreibung der Seele, aber nicht
Seelenwissenschaft, ja nicht einmal psychologische Experimentallehre
werden.“ Kant möchte sie deshalb aus der Metaphysik
ganz verbannt sehen, und sie ist dort nur zu betrachten als ein
vorläufig „aufgenommener Fremdling, dem man auf einige Zeit
einen Aufenthalt vergönnt, bis er in einer ausführlichen Anthropologie
seine eigene Behausung wird beziehen können.“ Dann
eben, nach genügender Beschaffung des ethnologischen Materiales*)
(da es sich nicht um die Gedanken des Einzelnen, sondern
um den Yölkergedanken handelt), wird die Psychologie als
die echte Wissenschaft von der Natur hervortreten, als im vollen
Sinne Naturwissenschaft, zu der sich eine (psychologisch geschulte)
Philosophie verhalten würde, wie die reine Mathematik
zu den auf ihr basirenden Zweigen angewandter Technik, die
erst die für das Leben geniessbaren und dieses durch verjüngende
Erhaltung zu weiteren Schöpfungen befähigenden Früchte
tragen. Wer die Psychologie ihrer selbst willen treibt, wird mit
leeren Formeln spielen, die dem fernstehenden Laien als mysteriös
allegorische Symbole aufgezeigt werden können, die aber
einen realen Werth nur so weit gewinnen, als sie in thatsächlich
*) An extensive survey of the régions !of fancy and their productions will
incline ns rather to consider the mental powers of man as having an uniform
opération nnder every sky and under every form of political existence and to ack-
nowledge that identity of invention is no more to he wondered at than identity
of action (Keightley). L’esprit humain, placé dans les mêmes circonstances, se
développe à peu près de la même manière, aux mêmes dangers il oppose toujours
les mêmes remèdes, autant que le lui permettent les moyens dont il peut disposer
(Armandi). Vingt ou trente siècles écoulés depuis lors n’ont apporté presque
aucune différence dans la conduite des opérations et dans les bases de la
stratégie, les applications mêmes et les formes se ressemblent. .
constatirten Manifestationen der Denkgesetze zu Tage treten,
so dass hier (wie in jeder Erfahrungswissenschaft) die Beobachtung
dem daraus abgeleiteten Allgemeinen, das sich wieder zur
regelmässigen Anordnung des objectiv Vorhandenen benutzen
lässt, vorhergehen muss.
Während man die empirische Psychologie als Erfahrungswissenschaft
den Naturwissenschaften annähert, soll die rationelle
Psychologie ein Theil der Philosophie, und im Besondere
der Metaphysik sein, obwohl auf welchem Forschungsgebiete
immer die Philosophie Gegenstände der Betrachtung
unterwirft, sie nach psychologischen (also nur aus der Psychologie
verständlichen)-Gesetzen handelt, und alle die, die
Empirie überschreitenden, Constructionen für sie Schöpfungen
der in ihrem Sinne verstandenen Psyche sein müssen, also psychologische,
und zwar uoch reiner psychologische, als die empirischen.
So macht Kant die Kritik des Erkenntnissvermögens
zum Ausgangspunkt der Philosophie. Wenn die rationelle Psychologie
meint, nachdem sie durch Erfahrung das Wesen der Seele
erfasst habe, nun aus diesem weitere und alle möglichen Veränderungen
auf dem Wege der Speculation ableiten zu können,
so beraubt sie den Menschen seines erhabensten Trostes, den ihm
ewige Fortentwicklung im Unendlichen bietet. Die Erfahrung lernt
nie aus, sie kann und darf nie auslernen in dieser dem Menschen
noch unverständlichen Welt, und es wäre der Hohn wilder Verzweiflung,
wenn wir uns in düsterer Klausur für immer mit
jenem jämmerlichen Bettelbrote zu begnügen hätten, das die
Philosophie als ihre speculativ zusammengebackene Seele anbietet.
Lieber noch länger durch Feld und Wald gebirscht, der
Meereswelle, den Stürmen getrotzt, den Flüssen gefolgt, den tiefen
Schacht geprüft, bis wir der Natur genug von ihrem Gabenreichthum
abgerungen haben, um bei einem glänzenderen Mahl,
an der mit Wissensschätzen beladenen Tafel zu schwelgen.