Werfen wir nun zum Schluss noch einmal einen Rückblick auf die Lehensgeschichte unserer
Heterodera, so steht es wohl ausser Zweifel, dass wir es hier mit einer Metamorphose zu thun haben, und
zwar mit einer solchen, die weit komplizierter als sonst, auch für einen Nematoden einen ganz ausser-
gewöhnlichen Charakter trägt. Beim Weibchen lassen sich hierbei nach unseren Beobachtungen zwei,
beim Männchen drei Stadien unterscheiden.
Auf die erste Larve, die äusserlich noch ganz den Habitus eines Nematoden besitzt, beweglich ist
und frei in der Erde lebt, folgt eine zweite sexuell gleichfalls noch indifferente, sessile und parasitäre
Jugendform von abweichendem plumpen Aussehen. Die weiblichen Geschlechtsthiere entwickeln sich nie
über diese letztere hinaus. Sie bleiben, indem sie alle die Eigentümlichkeiten derselben bewahren, zeitlebens
auf einer larvalen Stufe stehen. Beim Männchen hingegen schiebt sich hinter die zweite Larve noch
ein Ruhestadium ein, aus welchem, unter theilweiser Neubildung der Organe und Weiterentwicklung der
Genitalanlage, die bewegliche geschlechtliche Form hervorgeht
Wenn wir auch durch Leuckart’s 22) neueste Untersuchungen über Allantonema, Sphaerularia und
Atractonema wissen, dass dem Nematodentypus eine ganz unerwartete Biegsamkeit zukommt, auch schon
früher durch desselben Forschers hervorragende Entdeckung der Heterogenie erfahren haben, dass bei den
Rundwürmern das Entwicklungsleben nicht überall so einfach verläuft, wie man vordem annahm, so ist uns
doch bis jetzt kein Vertreter dieser artenreichen Gruppe bekannt geworden, der einen ähnlichen Bildungsprozess
durchläuft, wie wir ihn bei Heterodera antreffen. Unter den Würmern bieten die Echinorhynchen
vielleicht in dieser Beziehung noch die meisten Anklänge. dar, da sich bei ihnen, wie bei Heterodera, auch
ein Puppenstadium findet, während dessen die alte Larvenhaut den jungen Wurm wie eine Cyste umschliesst.
Allein es fehlt hier die zweite Larvenform, denn der Embryo geht nach kurzer Wanderung in den Ruhezustand
über. Ebenso wie bei den Kratzern zeigt auch die Metamorphose der den Anguilluliden nahe verwandten
Gordiiden wesentliche Abweichungen von derjenigen unserer Würmer. In der That stände der
Rübennematode bezüglich seines Entwicklungsganges völlig isoliert, wenn nicht einige Insekten in ihrer
Lebensgeschichte eine Parallele böten. Es sind dies insbesondere die zu der Abtheilung der Rhynchoten
gehörigen Cocciden, .die gleich Heterodera auch ein phytoparasitäres Dasein führen. Ihre Umwandlung
erinnert insofern an diejenige unseres Schmarotzers, als auch bei ihnen zwei Larvenstadien mit ähnlichen
biologischen Merkmalen auf einander folgen. Wie bei Heterodera ist die erste Jugendform freibeweglich
.und schlanker gebaut, während die zweite eine plumpere Gestalt aufweist und der Lokomotionsfähigkeit
entbehrt Auch bei den Cocciden bewahrt das weibliche Geschlechtsthier die larvalen Charaktere, indem
es sessil an demselben Ort verharrt und zuletzt sogar zu einer blosen Brutkapsel wird, welche die Nachkommen
schützt. Und auch der Mann zeigt in seiner Entwicklung ein durchaus analoges Verhältniss.
Wir sehen auch bei ihm ein Puppenstadium auftreten, in welchem die Nahrungsaufnahme sistiert, und daraus
ein agiles Geschöpf entstehen, ausgerüstet mit allen Attributen, die eine Begattung ermöglichen.
Wenn ich diese Arthropoden hier zum Vergleiche heranzog, so geschah das übrigens nur um auf
die Aehnlichkeit in ihrer Verwandlung hinzuweisen. Ferne lag es mir natürlich, damit irgendwelche nähere
Beziehungen zu unserem Nematoden andeuten zu wollen. Wie die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse
oft bei Thieren, die durch ihre Organisation scharf von einander getrennt sind, eine Aehnlichkeit in ihrem
äusseren Habitus und ihrem Entwicklungsgänge hervorruft, so haben hier auch ähnliche Ursachen analoge
Wirkungen zur Folge gehabt Beide Formen führen ein parasitäres Leben, und beide haben sich den
Anforderungen, die dadurch an sie gestellt wurden, angepasst. Allenthalben tritt ja die Natur überleitend
ein, und nie arbeitet sie nach einer Schablone. Mit tausenderlei Mitteln ausgestattet und fähig diese ins
Unendliche zu kombinieren, geht sie die mannigfaltigsten Wege, um so auf verschiedener und doch
bestimmter Bahn bald die verschiedensten Wirkungen zu äussern, bald ungeahnt ein und dasselbe Ziel
zu erreichen. „Lebensäusserung und Bau verhalten sich zu einander wie die beiden Glieder einer Gleichung.
Man kann keinen Faktor, auch nicht den kleinsten, in dem einen Gliede verändern, ohne die Gleichung
zu stören.“ *)
Die Wahrheit dieses Ausspruches zeigt sich, wie überall, so auch bei unseren Nematoden. Würde
Heterodera, wie das Weizenälchen, ihre Metamorphose innerhalb einer schützenden Samenhülse durchlaufen,
dann wäre auch der Gang derselben ein einfacherer, dann hätte vielleicht das Weibchen eine andere
Gestalt, und wohl kaum hätte es beim Männchen eines Puppenstadiums bedurft. So aber sind die Existenzbedingungen
nicht gleich, und die Formen bei beiden in verschiedener Weise angepasst.
*) Leuckart, der Bau der Insekten in seinen Beziehungen zu ihren Leistungen und ihren Lehensverhältnissen. Archiv
für Naturgeschichte. 17. Jahrg. 1852. pag. 19.