Paludicella nur deshalb liegen, weil das zugehörige, in der Entwickelung voraneilende Cystid genau genommen
n i c h t i h r e i g e n e s , s o n d e r n das d e r Mu t t e r A wäre, die ihrerseits wie bei Plumatella
an der Spitze der Hauptaxe zu- denken wäre.
Man sieht, dass auf diese Weise auch der Gegensatz zwischen der Knospung mit voraneilendem
Cystid und voraneilendem Polypid eine Erklärung finden, ja sogar völlig überbrückt werden würde;
wie denn durch jene Hypothese offenbar manches Räthsel gelöst und der Vergleichung manche Aussicht
eröffnet wird. Gleichwohl fehlt es nicht an fundamentalen Differenzen, welche bestehen bleiben, auch
wenn die Entwickelungsgeschichte sich unserer Annahme günstig erweisen sollte. Dies wäre vor Allem
die Beziehung der Kolonie zu ihrem Podium. Der Primärpolyp des Phylactolaemen-Stockes heftet sich
mit der O r a l s e i t e am Substrat fest, bei Paludicella sind alle Individuen mit der Anal s e i t e demselben
zugekehrt (im Schema V u. VI ist die Ebne des Podiums durch die punktirte Linie bezeichnet). Das
würde auch für das problematische Primärthier gelten müssen, so dass schon in der verschiedenen Festsetzung
der Larve der Phylactolaemen- und Gymnolaemen-Charakter der Kolonie ausgesprochen wäre.
Weiter würde dann folgen, dass wir Paludicella nicht als Stammform der Phylactolaemen aufzufassen
haben, sondern als Gl i e d e i ne r S e i t e n l i n i e e i n e r geme i n s amen St ammf o rm, deren Nachkommen
sich das eine Mal mit der Or a l s e i t e (Phylactolaemen), das andere Mal mit der An a l s e i t e
(.Paludicella) dem Podium anfügten*). Im ersten Falle wäre das Primärpolypid als solches dem Stocke
verblieben, im anderen wäre es rudimentär geworden, und sein Cystid hätte die Rolle eines Stolo prolifer
übernommen .**)
?) Ich bemerke, dass ich auch hier Oral- und Analseite in dem von mir durchgängig gebrauchten Sinne, als Mund*
und Afterseite verstehe, dass sie also nichts zu thun haben mit der „face orale*4 und „aborale44 von Barrois, vielmehr
selbst entgegengesetzter Bedeutung sein können. Da nach Hatsehek (Studien zur Entwickelungsgeschichte der Anneliden,
Arbeiten des Zool. Inst, zu Wien, Bd. I, S. 380. 1878) die Anal- oder in diesem Falle richtiger Neuralseite des Bryozoen-
Individuums der Bauchseite einer Anneliden-Trochophora entspricht, so würde die Anlehnung der Neuralseite an das
Podium das Ursprünglichere sein. — Im Obigen ist natürlich vorausgesetzt, dass die Fixation der Gymnolaemen-Larve
nicht schon anderwärts bei den Phylactolaemen ihr Aequivalent findet. Sollte es zutreffen, dass die Befestigung des
Phylactolaemen-Embryo im Ooecium der definitiven Befestigung der übrigen Bryozoen entspricht, so würde jener auf die
Abstammung bezügliche Schluss hinfällig werden.
**) Bei den marinen Ectoprocten ist die Anheftung thatsächlich eine anale, indem sich die Larve hier mit dem
„oralen4" Pol festsetzt, wobei das Primärpolypid dem Podium die Neuralseite zukehrt. Dann zerfällt das Primärpolypid und
die jüngeren Individuen kommen nach dem Princip der Knospung mit voraneilendem Cystid zur Anlage. Nimmt man
nun a n , dass bei der Gymnolaemen- und Phylactolaemen-Larve diejenigen Seiten, auf denen sich die Primärpolypido befinden,
einander homolog sind, dass also die Gymnolaemen-Larve mit dem polypidalen („oralen44), die Phylactölaemen-
Larve mit dem cystidalen („aboralen44') Pole sich festsetzt, so folgt, dass bei beiden g e r a d e d ie e n tg e g e n g e s e t z t e n
T h e i l e d e s L a r v e n k ö r p e r s d e r R ü c k b i ld u n g a n h e im f a l l e n , b e i d e n G ym n o la em e n d a s P o l y p id , b e i
d e n P h y l a c to l a em e n d a s C y s t id ; s o d a s s d e n n h i e r i n in l e t z t e r I n s t a n z d a s P r i n c i p d e r K n o s p u n g
m it v o r a n e i le n d em C y s t id (G ym n o la em e n ) u n d m it v o r a n e il e n d em P o ly p id (P h y la c to la em e n ) b e g
r ü n d e t w ä r e . Indem nämlich bei den Gymnolaemen das Primärpolypid A verschwindet, erscheinen die Tochterknospen
B in einem gleichsam verwaisten Cystid, das nun, da es keinen ändern Beruf hat, thatsächlich als ihr eigenes functionirt:
Das durch den Zerfall seines Polypids frei gewordene Cystid A übernimmt in der Kolonie die Rolle eines Coenoeciums.
Geht jedoch eben dieses Cystid bei den Phylactolaemen zu Grunde, soweit wenigstens, dass der Rest n u r g e r a d e n o c h
h i n r e i c h t , um dem z u g e h ö r i g e n P o l y p id a ls B e h a u s u n g z u d i e n e n , so nehmen alle folgenden Knospen
nicht nur innerhalb eines unzweifelhaft fremden Cystids ihre Entstehung, sondern sie sind auch genöthigt, ihr eigenes
Cystid ganz und gar aus sich selbst zu entwickeln und sich mit demselben aus dem Bereich des Muttercystids zu e n t-
Dies scheint mir der einzige Weg zu sein, auf dem es möglich wäre, den Hauptknospen von
j^aludicella eine Homologie mit gewissen Gliedern des Phylactolaemen-Stockes einzuräumen. Sollte er
sieh als ungangbar erweisen, So würden, soviel ich sehe, die Hauptknospen von Paludicella schlechterdings
Bildungen eigener Art sein. Es würden dann nur noch die Lateralknospen möglichenfalls Gegenstand der
Vergleichung sein können. Denn wir haben noch zu berücksichtigen, dass an der Hauptaxe des Paludicella-
Stockes Nebenzweige in der Weise angelegt werden, dass zu beiden Seiten der Mündung der Einzelthiere (im
Schema V an den durch kleine Kreise bezeiehneten Stellen) Wucherungen der Leibeswand auftreten, die
nun als secundare Stolonen sich ausstülpen und einen neuen Ast nach Art des Hauptastes begründen. Sie
"bilden sich nur an älteren Individuen und wohl nicht an jedem derselben, stets sind die einander
opponirten Seitenäste ungleichen Alters. Sie könnte man nun vielleicht den Oralknospen des Phy-
lactolaemen-Stockes gegenüberstellen und dann beispielsweise die zu B gehörigen Seitenäste als C und
-C1 deuten.*) Ich muss indessen gestehen, dass diese Parallele allein wenig Ueberzeugendes für mich
haben würde und, ich eher zu der Annahme geneigt wäre, dass die Knospenfolge bei Paludicella sich
überhaupt in anderer Weise regelt als bei den Phylactolaemen. —
Auf eine Vergleichung unserer Phylactolaemen mit marinen Bryozoengruppen, die ich anmerkungsweise
zuweilen'berührt habe, lasse ich mich nicht näher ein, da mir die dortigen Verhältnisse noch zu
wenig aus eigener Anschauung bekannt sind. So viel, glaube ich, ist gewiss, dass mit Ausnahme von
Paludicella die Süss wasserformen in einer solchen Geschlossenheit uns entgegentreten, dass man keine
der bekannten Arten mit Sicherheit als „Uebergangsform“ zu einer anderen Gruppe bezeichnen kann.
Nur das scheint unzweifelhaft, dass sich in Cristatella der Phylactolaemen-Typus am weitesten von seinem
Ursprung entfernt hat, indem die Cystide derart mit einander verschmolzen, dass sie theilweise zu blossen
Diaphragmen der Leibeshöhle herabsanken. Will man die älteste Art in Fredericella erblicken, so ist
f e r n e n , da dieses nicht im Stande ist, mehr als e in erwachsenes Polypid zu beherbergen. Hieraus ergiebt sich ferner
die Thatsache, dass neue Knospen nur noch im engen räumlichen Anschluss an ältere entstehen können, da das Priimir-
cystid A vollständig von seinem Polypid in Anspruch genommen und unfähig ist, sich zu Gunsten neuer Knospenanlagen
stolonenhaft zu erweitern. Dass bei Paludicella die In analer Folge entstehenden Zwischenknospen B B1 Bs B8 . . ., bei
den Phylactolaemen aber die Oralknospen BCDE . . . den Vorzug haben, würde aus der Orientirung der Primärindividuen
zu folgern sein. Denn diejenige Seite, mit der sich die Polypide dem Podium zuwenden, erscheint für die Anlage neuer
Knospen gleichsam prädestinirt, da s ie den Knospen die Möglichkeit bietet, sich ebenfalls an der Unterlage zu befestigen.
Dass ausserdem deshalb, weil bei den Phylactolaemen das Primärpolypid erhalten bleibt, die Zahl der Zwischenknospon
hier nur eine beschränkte sein kann, wurde schon oben erwähnt. — Räthselhaft bleibt immer das Auftreten des zweiten
Polypids bei der Larve von Alcyonclla und anderen Phylactolaemen. Erwägt man jedoch, dass zur Zeit, wo die Gewebe
noch sämtlich einen embryonalen Charakter tragen, theoretisch jede Stelle der Leibeswand zur Hervorbringung
einer Knospe befähigt ist, so möchte man annehmen, dass je nach der Grösse des Embryo eine oder mehr Primärknospen
darin zur Bildung gelangen konnten, und so wäre es erklärlich, wenn in gewissen Fällen nur eine (Plum. fruti-
cosa), in anderen sogar mehr als zwei Knospen (Cristatella?) sich selbständig bezw. unabhängig von einander entwickelten.
Ein bestimmtes phylogenetisches Motiv würde dann für die Existenz gerade zweier Primärindividuen bei Alcyonella nicht
zu fordern sein.
*) Nach Ivraepelin (Tagebl. der 59. Vers. deutscher Naturf. u. Aerzte, 1886, S. 133) entwickelt sich „an Stelle
des einen Seitenzweiges44 der Paludicella bei Fredericella J e ein Statoblast“ ! — Nach Fig. 85 der Monographie Kraepelins
tritt übrigens bei Paludicella noch ein zweites Paar von Seitenzweigen auf und zwar unterhalb des ersten, nach dem verdünnten
Theil des Cvstids hin und mehr oral. Ich liabo cs bisher nicht beobachtet.
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