b) Die Keimung der Statoblasten.
Trotz des lebhaften Interesses, welches die Keime der Süsswasserbryozoen seit jeher in Anspruch
nahmen, ist man betreffs der im fertigen Statoblasten sich abspielenden Embryonalentwickelung bis heute
kaum über die Beobachtungen von Rdaumur und Jussieu hinausgekommen, welche i. J. 1748 den jungen
„Polypen“ das „Eiu verlassen sahen. Man hat diesen Process wiederholt vor Augen gehabt, man hat
die neu geborenen Kolonien z. Th. abgebildet, man hat namentlich die erste Anlage der Keimkörper
einem eingehenden Studium unterworfen, aber es ist bisher nicht gelungen, ihre weitere Entwickelung
vom Augenblick der Vollendung bis zu der Zeit, wo das neue Individuum aus ihnen hervorgeht, zur
Anschauung zu bringen.
Um indessen auf jeden Fall den Verdiensten Kraepelins gerecht zu werden, muss ich erwähnen,
dass derselbe im Tageblatt der Naturforscher Versammlung zu Berlin, 1886, S. 135, angiebt, dass „im
Statoblastenembryonen die Knospung der Polypide ganz ähnlich wie beim erwachsenen Stock verläuft.“
Ich überlasse es dem Urtheil des Lesers, festzustellen, inwiefern dieser Satz mit den von mir aufgedeckten
Thatsachen übereinstimmt, resp. deren Kenntnis voraussetzt.
I. Die äussern Bedingungen für die Keimung der Statoblasten.
Wo man bisher das Ausschlüpfen junger Kolonien beobachtet hat, geschah es mehr auf Grund
eines günstigen Zufalls als planmässig angestellter Versuche. Um aber die Entwickelung der Embryonen
in ihren verschiedenen Stadien verfolgen zu können, war es vor Allem nöthig, die Bedingungen zu
kennen, unter denen dieselbe vor sich geht, und so musste ich zunächst der Beantwortung dieser Frage,
die ja auch in biologischer Hinsicht von Bedeutung ist, mein Interesse zuwenden.
Am 4. September 1886 hatte ich mehrere Statoblasten von Plumatella fungosa unter ein mit
Wachsfüsschen versehenes Deckglas gebracht und dann das Präparat in der feuchten Kammer aufbewahrt,
um es demnächst wieder zur Untersuchung heranziehen zu können. Am 7. September fand ich
zu meiner Ueberraschung, dass die Schalen einiger Statoblasten gesprengt und die Embryonen sichtbar
geworden waren. Indem ich diesen Umstand als willkommenen Wegweiser festhielt, stellte ich nun in
grösser Zahl ähnliche Beobachtungen an und beschränkte mich dabei nicht auf die Statoblasten der
Plumatdlen, sondern wählte mit Vorliebe die von Cristatella, welche mir wegen ihrer Grösse für die
spätere Untersuchung besonders geeignet zu sein schienen.
Ich gebe zunächst die auf Cristatella bezüglichen Resultate.
Meine Bemühungen waren anfangs von geringem Erfolg. Von zahlreichen am 12. September
gefundenen und bei einer Temperatur von 18—22° C. aufbewahrten Statoblasten gelangte nur ein einziger
zur Entwickelung, die übrigen verharrten trotz monatelanger Beobachtung in völliger Ruhe. Nicht
besser glückte es mit ändern, die am 18. October und 7. November gesammelt waren. Erst solche,
die ich am 28. November an der Oberfläche des Pregels gefischt hatte, ergaben günstige Resultate.
Fast ohne Ausnahme keimten die während des Winters 1886/1887 vielfach zur Untersuchung verwertheten
Statoblasten dieser Serie in kurzer Zeit, und so kam ich auf den Gedanken, dass vielleicht der im Lauf
des November vorübergehend eingetretene Frost die plötzliche Wandlung bewirkt haben möchte. Schon
im December konnte ich wahrnehmen, wie auch die Statoblasten älteren Datums, welche bisher versagt
hatten, sämtlich ihre Embryonen ausschlüpfen Hessen, nachdem sie im Glase eingefroren und dann einige
Tage im geheizten Zimmer gehalten waren.
Um mich zu überzeugen, dass auch in der Natur das winterliche Einfrieren der Statoblasten
stattfindet, suchte ich im Januar 1887 in der schneefreien Eisdecke des Pregels nach diesen Körpern
und es gelang mir in der That, an einer Stelle, wo ich ihr Vorkommen vermuthen durfte, vier derselben
zu entdecken. Ich konnte bei ihnen allen schon nach 3 bis 4 Tagen zwischen den geöffneten Schalen
die weit gediehene Embryonalbildung nachweisen.
Auch die im Herbst 1887 und dem darauf folgenden Winter fortgesetzten Versuche bestätigten
die früher gemachte Erfahrung. Von vielen Hundert am 13. September gesammelten Statoblasten, welche
im Zimmer bei ungefähr 15° C. aufbewahrt wurden, entwickelten sich nur zwei.*) Die übrigen blieben,
auch wenn sie höheren Wärmegi*aden ausgesetzt wurden, gänzlich unverändert. Dagegen konnte, nachdem
sie vom October ab der im Freien herrschenden Temperatur, die gelegentlich bis 8° unter den
Nullpunkt sank, zugänglich gemacht waren, seit Ende November unter den geeigneten Umständen auf
reguläre Entwickelung gerechnet werden, und der Erfolg wurde hier sowohl wie bei zahlreichen ändern,
am 24. October aus lebenden Kolonien gewonnenen Statoblasten, die den gleichen Bedingungen unterlagen,
durch mehrfache Proben festgestellt. Das gesamte während der strengen Kälte im Januar bis
März 1888 fast beständig eingefrorene Material gelangte dann gegen Mitte April lediglich in Folge der
Jahrestemperatur zur Entwickelung. Am 17. April hatte ein grösser Theil der Embryonen die Schalen
verlassen und an den Wänden der Glasgefässe sich angeheftet.
Nicht minder klar trat im Winter von 1888 auf 1889 der entscheidende Einfluss des Frostes zu
Tage. Am deutlichsten zeigte er sich dann, wenn von den Statoblasten der n äml i c h en Kolonie nur
eine Hälfte dem Frost ausgesetzt wurde, die andere dagegen ihm entzogen blieb. Während in diesem
Falle die erste sich zur Erzeugung von Embryonen durchweg als taugUch erwies, konnte jene einstweilen
durch keine Bemühung zur Entwickelung gebracht werden, selbst dann nicht, wenn die Temperatur
dem Nullpunkt sehr nahe gestanden hatte. Man sieht also, dass bei der völligen Gleichartigkeit
des Materials n u r d e r F r o s t das ausschlaggebende Moment bilden konnte, und dass ferner gerade die
E r s t a r r u n g der Flüssigkeit, nicht bloss eine verhältnismässige Abkühlung von Bedeutung ist.
*) Das Versuchsmaterial war nur zum Theil direct den Kolonien entnommen. Es liegt daher die Möglichkeit
vor, dass die keimenden Stat. nicht gleichzeitig mit den ändern, sondern schon im Vorjahre producirt waren: Siehe darüber
S. 92 f.