Sobald dieser Process zum Abschluss gelangt und die Kolonie von zwei nahezu parallelen Linien
und zwei polständigen Halbkreisen begrenzt ist, erscheint die Entwickelung der Knospen offenbar an
den Polen räumlich am meisten begünstigt. Der zu den Bögen .a a'
und b b' des beistehenden schematischen Grundrisses gehörige Flächenraum
verhält sich nach planimetrischen Gesetzen zum freien Bande
— — n r. Innerhalb der Geraden a b und a' b' ist das entsprechende
Verhältnis 2 r a b : 2a b. Setzen wir der Natur gemäss r
= 2,5 mm. und a b. = a' V etwa = 7,5, so ergiebt sich, dass auf 1 qmm.
Fläche an den Polen 0,8, zwischen denselben, d. h. inmitten der Linien
aa'Mmd bV, nur 0,4 mm. freien Randes kommen.
Wo die in unserer Figur durch Punkte bezeichnete Knospungszone in gerader Front vorschreitet,
ist vor jedem Individuum eigentlich bloss für die Anlage eines einzigen neuen Platz. Nur durch den
Umstand, dass auch in den ältern Cystiden das Wachsthum noch fortdauert und eine fernere Streckung
der Kolonie bedingt, wird die Entwickelung der gegen den Rand hin sich häufenden Knospen ermöglicht.
Indessen nicht über einen gewissen Grad hinaus. Schliesslich wird die Grenze erreicht sein,, wo die
Axe cd sich nicht weiter auszudehnen vermag, und lediglich räumliche Rücksichten werden der
Knospung am Rande ein Ziel setzen, wenn nicht auf andere Art für die Erweiterung der Peripherie
gesorgt wird.
An den Polen dagegen erweitert sich das Gebiet jeder Knospe an der Oralseite in gleichem
Maasse, als die vom Centrum des Halbkreises ausstrahlenden Radien sich stetig von einander entfernen.
Die Knospungszone schreitet hier wie die Welle um einen ins Wasser geworfenen Stein in immer grösseren
Bögen vor, die Zahl der Individuen kann sich beständig vermehren, und so wächst die Kolonie vorzugsweise
an diesen Punkten. Aber wie für die junge Kolonie der kreisförmige Umfang schliesslich doch
nicht mehr ausreichte, sondern durch Faltung eine Vergrösserung erfuhr, so tritt auch jetzt an den Polen
ein Stadium ein, wo die Knospen tangential so stark an einander drängen, dass an einer Stelle des geringsten
resp. des am meisten gehemmten Wachsthums der Rand beiderseits vorspringt. Und indem nun wiederum
während der Fortbewegung der Kolonie die Falte sich öffnet und in die Länge streckt, bildet ein Theil
der Knospen, welche bisher von den polständigen Halbkreisen umschlossen waren, die Fortsetzung der
Seitenlinien, ein anderer formirt für sich selbst einen neuen Pol. Durch mehrfache Wiederholung dieses
Processes entsteht die bandförmige, zu so auffälliger Länge anwachsende Kolonie.
In letzer Instanz ist dabei 'offenbar der Umstand massgebend, dass die Knospungszone sich
tangential stärker erweitert als radial. Nur bis zu einer gewissen Grenze genügt der Umfang einer
rundlichen Kolonie für die Ausbreitung der Knospen. Je grösser der Kreis, desto kleiner wird die
Peripherie im Verhältnis zur Fläche. Auf einem gewissen Stadium muss für eine Vergrösserung des
Umfangs gegenüber dem Flächeninhalt der Kolonie gesorgt' werden, wofern das Wachsthum nicht gänzlich
erlöschen soll: Da, wo die Knospen sich durch gegenseitigen Druck am stärksten in ihrer Entwickelung
hindern, entsteht inmitten zweier seitlichen Vorsprünge jene Falte, die sich rasch vertieft, weil in Folge
der günstigeren Contourverhältnisse an den Vorsprüngen ein beschleunigtes Wachsthum herrscht, und
die dann beim „Fortkriechen“ der Kolonie allmählich geöffnet wird. Derselbe Process der Faltung und
Faltenstreckung wiederholt sich fortwährend an den Polen der älteren Kolonien, und indem das Gleichgewicht
zwischen Umfang und Inhalt durch abwechselnde Zunahme bald des einen, bald des ändern gestört
wird und im Schwanken zwischen beiden Extremen bald erreicht, bald überschritten wird, erwächst
die Kolonie zum langgestreckten Bande.
Ganz so, wie wir es hier nach einem idealen Beispiel skizzirt und verallgemeinert haben, verhält
sich die Sache in Wirklichkeit wohl nur selten. Durch die Fähigkeit der Locomotion, soweit man ein
vom Willen des Individuums unabhängiges Fortgleiten als solche bezeichnen kann, ist die Kolonie in
den Stand gesetzt, jeder räumlichen Beschränkung sich anzubequemen, und jedem local auftretenden
Bedürfnis nach freierer Entfaltung Rechnung zu tragen. In ersterer Hinsicht werden bei der dichten
Häufung der Stöcke an Blättern und dünnen Stengeln oft ganz ausserordentliche Anforderungen gestellt,
und die in Fig. 34—38, Taf. II, in natürlicher Form und Lage dargestellten Kolonien mögen einen Begriff
davon geben, wie weit denselben genügt werden kann. Aehnliche Windungen sind aber auch auf
Grund jenes ändern Motives denkbar. Wenn an irgend einem Punkte der Parall^lseiten die Knospung
lebhafter fortschreitet, die Individuen stärker gehäuft sind, so werden die daselbst wirksamen Spannkräfte
eine Krümmung der Kolonie nach der entgegengesetzten Seite bedingen, und dem auf Erweiterung
des Umfangs abzielenden Bedürfnis wird so lange nachgegeben werden, bis alle Theile der Kolonie sich
wieder in der Gleichgewichtslage befinden. Ueberall, wo keine äusseren Hindernisse im Spiel sind, wird
den Stellen mit regerem Wachsthum eine convexe Biegung des Randes entsprechen, und in jedem Augenblick
wird die Form der Kolonie der Ausdruck des Gleichgewichts ihrer tangentialen Spannkräfte sein. Nicht
immer wird man entscheiden können, ob eine Windung auf äussere oder auf innere Gründe zurückzuführen
ist. Für den Erfolg ist das auch nebensächlich. In jedem Falle wird an den convexen Stellen
die Knospung lebhafter fortschreiten als innerhalb der Falten oder bei geradliniger Begrenzung und sie
wird daher in der Mitte oft nicht weniger begünstigt sein als an den Polen. Wir dürfen nun annehmen,
dass sich bei längeren Kolonien die Krümmungen beider Seiten die Wage halten und etwa im Sinne des
Schemas mit einander correspondiren. Indem die an den Einschnitten gelegenen Knospen
die räumliche Benachtheiligung nicht auf die Dauer ertragen können, sondern ihrerseits wieder das Ueber-
gewicht über die Gegenseite gewinnen, müssen die Falten sich allmählich ausgleichen und eine Verlängerung
des Stockes auch zw is c h e n den beiden Polen zur Folge haben.
Immerhin wäre es, die Richtigkeit meiner Ausführungen vorausgesetzt, zu verwundern, wenn nicht
auch an den Langseiten zuweilen lappige Vorsprünge von grösserem Umfang wahrzunehmen sein sollten.
Für den steten Ausgleich der Biegungen des Randes giebt es ja kein unbedingt sicheres Regulativ; es
erscheint theoretisch beinahe als eine Nothwendigkeit, dass unter den vielen Wölbungen der Kolonie zuweilen
eine begegnet, die nicht wieder durch einen Einschnitt der Gegenseite aufgehoben wird, sondern zu
einer selbständigeren Ausbildung gelangt. In der That ist es mir im Sommer 1888 gelungen, mehrere
Exemplare aufzufinden, welche diese Eigentümlichkeit zur Schau trugen. Dieselben sind auf Taf. II in
natürlicher Grösse wiedergegeben. Man sieht in Fig. 34, III und 35 den mit * bezeichneten Lappen noch
wenig entwickelt, in Fig. 37, I bereits zu einem runden, knospenartigen Vorsprung gediehen und in
Fig. 38 noch mehr vergrössert. Für ihn gelten nun offenbar dieselben Verhältnisse wje für die normalen
Pole der Kolonie. Auch hier finden die Knospen einen weiten Raum zu ihrer Entfaltung, und ihre erhöhte
Thätigkeit wird den Vorsprung rasch nach den gleichen Gesetzen weiterentwickeln, wie wir es an
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