Minimalgrad der Wärme gestiegen ist, vollzieht sich die Keimung zunächst in den Körpern, welche an
der Oberfläche umhertreiben und daselbst auch den Winter tiberdauert haben. Aus ihnen gehen die
ersten Individuen hervor, welche die Fauna des folgenden Sommers begründen und durch geschlechtliche
Vermehrung wenigstens bei den Plumatellen bald eine reiche Nachkommenschaft ins Leben rufen.
Aber die Erhaltung der Art ist nicht allein von diesen mancher Gefährdung ausgesetzten Körpern, die
namentlich durch die Nachtfröste im Frühjahr oft stark decimirt werden mögen, abhängig. Am Grunde
der Gewässer ruht eine grosse Quantität von Reservematerial, welches nur des Augenblicks harrt, wo es
sich mittels des Schwimmrings erheben und zur Ergänzung der vorhandenen Kolonien beitragen kann.
Es fragt sich jedoch, auf welche Weise dieses Emporsteigen aus der Tiefe bewerkstelligt wird. Zunächst
ohne Zweifel durch die fortschreitende Auflösung derjenigen, wie wir sahen, pflanzlichen Stoffe,
an welchen die Statoblasten, ehe sie hinabsanken, einen Halt fanden. Aber dieser Zerfall wird nur
selten genügen. Die Keime werden durch ihn zwar von ihrer früheren Unterlage befreit, sind indessen
wohl meist schon von einer dünnen Humusschicht überdeckt, welche sie an den Boden fesselt. Sie
würden hier vielleicht dauernd Zurückbleiben und schliesslich der Verwesung anheimfallen, wenn nicht
durch das gerade in der Nähe des Ufers so reich entwickelte Thierleben der Grund in einer fortwährenden
Bewegung erhalten würde. Die unzähligen Würmer, Crustaceen und Insecten, die Schnecken
und Muscheln, welche daselbst ihren Aufenthalt haben, durch wühlen das Erdreich und tragen zur
Mischung und Lockerung seiner Theile beständig bei. Sie stöbern gleichsam auch unter den in der
Tiefe ruhenden Statoblasten und bewirken dadurch ihr Aufsteigen und indirect ihre Keimung. Daneben
könnte die Entwickelung des Grubengases von Einfluss sein. Auf diese Weise wird bis in den Herbst
hinein der sommerliche Bestand an Bryozoen aus dem Material des vergangenen Jahres ergänzt. Es
liesse sich sogar annehmen, dass die Statoblasten auch mehrere Jahre am Grunde verweilen können,
ohne ihre Keimfähigkeit einzubüssen. Dafür den Nachweis zu führen, ist mir jedoch nicht gelungen:
Aus Keimen von Cristatella, die seit dem October 1888 in verkorkten Gefässen gehalten waren, vermochte
ich im Sommer 1890 keine Embryonen mehr zu erziehen.
Die angehefteten Statoblasten der Plumatellen dienen da, wo dauerhafte Gegenstände das Podium
der Kolonie bilden, ohne Zweifel zur Erhaltung des Standorts auch für die kommenden Geschlechter.
Ein Irrthum ist es jedoch, wenn Kraepelin behauptet, dass sie v o r z u g swe i s e auf festem Substrat zur
Anlage gelangten. Ich habe sie ebenso häufig an den leicht vergänglichen Blättern der Nymphaeaceen, an
Binsen und Schachtelhalmen gefunden und niemals bemerken können, dass das Ma t e r i a l des Podiums einen
bestimmenden Einfluss auf ihre Erzeugung ausgeübt hätte. Da sie nun in vielen Fällen nothwendig zu Boden
sinken, ohne sich wiederum an die Oberfläche erheben zu können, so ist wohl anzunehmen, dass ihre
Keimung im Gegensatz zu der der schwimmenden Statoblasten auch in tieferen Regionen vor sich geht. —
Zum Schluss möchte ich noch einen Gedanken aussprechen, der mir, wiewohl nicht beweisbar,
doch einer Erwägung werth scheint. Ich sagte oben, dass es nur eines gewissen Anstosses bedürfe, um
den keimfähigen Statoblasten zur Entwickelung anzuregen und „die schlummernden Zellen zu frischer
Thätigkeit zu erwecken“. Den Ausdruck „schlummernd“' verstand ich hier nicht bloss bildlich. Ich
halte es in der That für möglich, dass das von den Schalen umschlossene Zellmaterial in einem Zustande
verweilt, welcher für den unseren Thieren mangelnden Sc h l a f einen Ersatz leistet. Ich habe oben
gezeigt, dass jede Knospe, welche im Stock angelegt wird, aus einer älteren sich herleitet, und dass
folglich die Tausende von Individuen der erwachsenen Kolonie von jener beschränkten Zahl embryonaler
Zellen geliefert werden, welche in die Bildung der ersten Knospen Aufnahme gefunden hatten. Ich
wies ferner nach, dass aus dem überschüssigen Material jeder Knospenanlage nicht allein die jüngeren
Knospen, sondern auch die Statoblasten gebildet werden, die aus den nämlichen beiden Blättern, welche
die Knospe zusammensetzen, ihre Entstehung nehmen. Vergegenwärtigen wir uns nun, eine wie ungeheure
Arbeit die einzelne Zelle zu leisten hatte, ehe sie nach Abgabe so vieler Theilproducte an die Kolonie,
an die Generationen von Individuen, welche darin enthalten sind, wieder dazu gelangte, in einem neuen
Statoblasten Ruhe zu finden, erwägt man ferner, dass sie, um ihre Thätigkeit fortsetzen zu können, nun
wirklich einer Ruhe bedarf, die zwar unter die in der Natur eingehaltene Dauer (Winter über) herabgedrückt,
aber nur selten, und dann vielleicht zum Schaden der Kolonie, ganz übergangen werden kann,
so erscheint die Auffassung nicht so fremd, dass diese Ruhe, diese Periode des latenten Lebens, in dem
nämlichen Gesetz ihren Grund hat,, welches die höher organisirten Wesen treibt, ihre animalen Processe
von Zeit zu Zeit zu unterbrechen und lediglich die vegetativen Functionen walten zu lassen.
2. Die Entwickelung der Embryonen im keimenden Statoblasten.
Nachdem ich mir über die äusseren Ursachen der Keimung klar geworden war, konnte ich der
Betrachtung der inneren Vorgänge meine ganze Aufmerksamkeit zuwenden. Ich war jederzeit im
Stande, in einem beliebigen Theil meines Vorraths an keimfähigen Statoblasten den Entwickelungsprocess
einzuleiten, und durfte hoffen, die verschiedenen Stadien vom ersten Beginn der Keimung bis zum Ausschlüpfen
der jungen Kolonie in lückenloser Reihe zu erhalten.
Hier stiess ich indessen auf eine Schwierigkeit, die ich in solchem Grade kaum erwartet hatte.
Es zeigte sich, dass die Statoblasten von Cristatella, auch wenn ihre Schalen bereits merklich gelüftet
waren, den Embryo so nachdrücklich gegen äussere Einflüsse schützten, dass es fast unmöglich schien,
ihn ohne tiefgreifende Verletzungen für Farbstoffe und Einbettungsmasse zugänglich zu machen, und dass
selbst Conservirungsflüssigkeiten nur schwer Zutritt erhielten. Dies war eine Folge der Anwesenheit
jenes Chitinhäutchens, dessen Entstehung und Wirksamkeit ich oben beschrieben habe (S. 79). Da dasselbe
eine eigenthümliche Modification des Schwimmrings darstellt, welche allein bei Cristatella beobachtet
wird, so bieten z. B. die Statoblasten der Plumatellen den grossen Vortheil, dass sofort nach dem Äuf-
brechen der Embryonalkörper zu Tage tritt und von Flüssigkeiten aller Art erreicht werden kann. Sie
ermöglichen ferner durch ihre längliche Form ein leichtes Orientiren in bestimmter Richtung. Dagegen
stehen sie an Grösse weit hinter denen von Cristatella zurück, die als runde Scheiben mit einem Durchmesser
von ungefähr 1 mm. die Längendimension jener um das Doppelte bis Dreifache übertreffen. Aus
diesem Grunde hatte ich vorzugsweise Cristatella für meine Untersuchungen ausersehen, doch bedurfte
es vieler und nicht immer glücklicher Versuche, ehe es mir gelang, den bis zur Unnahbarkeit festen
Verschluss der Statoblasten zu überwinden und mikroskopisch ins Innere derselben vorzudringen.
Ein Anstechen oder -schneiden in frischem Zustande ist deshalb verwerflich, weil der flüssige
Dotter alsbald zur Oeffnung heraustritt und der ganze Inhalt zu einer confusen Masse sich auflöst. Es