
Plumatella weit weniger differenzirt als bei Cristatella. Hier gewinnt sie den Charakter eines cubischen
Flimmerepithels, welches namentlich in den paarigen Gängen typisch entwickelt ist, aber auch in den
unpaaren Theil hinaufreicht, um daselbst rasch in das gewöhnliche Plattenepithel überzugehen. Am
Grunde der Tentakeln setzt sie sich in die- innere Auskleidung derselben fort, und hier nimmt auch die
Wand der paarigen Gänge die Form des Plattenepithels an. Nach aussen grenzt sie theils. an das
Ectoderm der Lophophoiwand, theils an das innere Epithel der Epistomhöhle. Der unpaare Theil des
Gabelkanals zeigt bei Cristatella eine eigentümliche, beutelartige Erweiterung (Fig. 61; 63, V—V III: gk),
in welcher die in der Leibeshöhle fluctuirenden Formelemente durch das Flimmerepithel der Kanalwand
zusammengetrieben werden. Namentlich zur Zeit der Geschlechtsreife wird dieser Theil von Spermatozoon
find Restkörpern strotzend erfüllt, er tritt dann in Form eines ansehnlichen -Ballens an der inneren
Biegung des Hufeisens hervor, oft noch mehr als es. in unsern Figuren der Fall ist. Aber auch sonst
birgt er meist eine Anzahl von schleimig degenerirten Zellen (Fig. 61), welche in das Lumen der
nächstgelegenen Tentakeln hineinragen und durch die Thätigkeit der flimmernden Cilien festgehalten
werden. *) Sie scheinen hier bis zum Zerfall des Polypen selbst zu verweilen. Irgend eine besondere
Oeffnung, durch die sie nach aussen gelangen könnten, habe ich niemals aufzufinden vermocht. Bei
Fredericella und Plumatella fehlt die Erweiterung des unpaaren Theils des Kanals, der in seinem ganzen
Verlauf als einfache Fortsetzung des Lophophorhöhlenepithels erscheint, dem gegenüber er nur durch
lebhaftere Flimmerung ausgezeichnet ist. Ich habe darin auch keinerlei Ansammlungen von Producten
der Leibeshöhle bemerkt.
Die Enstehung dieses Kanals dürfte nun ähnlich wie die . des Ringkanals vor sich gehen. Der
schematische Frontalschnitt I, den man sich durch die Stelle gelegt denke, wo die Tentakeln über dem
Epistom (ep) ihren
Platz finden sollen,
giebt einen Zustand
wieder,^ wie er vor
Bildung des Gabelkanals
herrscht. Die
Lophophorhöhle (lh)
ist hinter dem Pharynx,
dem das Ganglion
(g) auf liegt,
durch die Epistomhöhle (eh) in zwei den Armen des Hufeisens entsprechende Hälften geschieden. Indem
sie von . beiden. Seiten in der Richtung der Pfeile gegen die Mediane vordringt, bilden sich zwei kurze Einstülpungen
des mesodermalen Blattes (II, gk), welche, zwischen dem äusseren und inneren Blatt der hinteren
Epistomhöhlenwand sich hinsclfiebend,. mit ihren blinden Enden demnächst an einander stossen. Unter
Schwund des .trennenden.Septums treten dann .beide in offene Communication (III). Da die Einstülpungen
schräg gegen einander geneigt sind, so bilden sie gleichsam die Zinken einer Gabel, deren Mittelstück
an dem Verbindungspunkt der beiden Tuben liegt.
*) Ich habe bei meinen Beobachtungen am lebenden Thiere leider versäumt, mir die Richtung, in der diese
Cilien schlagen, ausdrücklich anzumerken, doch kann dieselbe kaum zweifelhaft sein..
Der Gabelkanal spielt nun an .seiner Stelle die nämliche Rolle, welche dem Halbringkanal an
der gegenüberliegenden Seite zukommt: Wie von diesem die Bildung der oralen Tentakeln, so geht
von ihm die Bildung der analen aus. Er repräsentirt das Leitungsrohr, welches der Lophophorhöhle zu
der analen Tentakelleiste Zutritt verschafft. Er ist es, der die Lophophorhöhle zum wirklichen Ringe
schliesst, einem Ringe, in dessen Verlauf die Höhlen der Lophophorarme gleichsam als Verdickungen
■eingeschaltet sind (vgl. die obige Skizze IV). Könnte man sich entschliessen, den unpassenden Namen
des Ringkanals für den oralen Theil der Lophophorhöhle fallen zu lassen, so würde man einfacher und
besser von einem vorderen und hinteren Subtentakular- oder Lophophorkanal sprechen; mit jenem wäre
der Ringkanal, mit diesem der Gabelkanal bezeichnet.
Der Erste, der auf den Gabelkanal aufmerksam machte, war Verworn in seiner Arbeit über
Cristatella. Er vergleicht ihn dem Excretionsorgan der Endoprocten und den Segmentalorganen der
Würmer. Es soll sich nämlich „an der Basis des inneren Tentakelkranzes, und zwar zwischen den
beiden Tentakeln, welche als die innersten im Bogen dem Epistom gerade gegenüberstehen“, eine „kleine
■Oeffnung“ befinden, mittels deren der Kanal nach aussen- mündet. Ich habe mich indessen vergeblich
bemüht, von dieser Oeffnung irgend eine Spur zu entdecken, und zweifle an ihrer Existenz schon aus
dem Grunde, weil der Kanal für die Tentakelbildung nothwendig und die Deutung Verworns daher überflüssig
erscheint. Auch: s'tehen in vielen Fällen über dem Epistom nicht zwei, sondern drei Tenakeln, also
der eine in der Mediane, gerade da, wo die unpaare Mündung gelegen sein soll (vgl. Fig. 63, VIII—XI).
Dem Kanal einen besonderen Werth beizumessen, fühlt man sich angesichts des starken Wimperepithel
und der Erweiterung des unpaaren Theils bei Cristatella freilich versucht, aber beides erscheint weniger
bedeutsam, wenn man die Verhältnisse bei Plumatella und Fredericella in Betracht zieht, wo die Erweiterung
fehlt und das Flimmerepithel sich nur wenig von dem der Lophophorhöhle unterscheidet.
Gleichwohl, hat die „Entdeckung“ Verworns eine Bestätigung erfahren durch 3. Cori in Prag,
der in einem Aufsatz „Ueber Nierenkanälchen bei Bryozoen“ *) den Gabelkanal der Cristatella zur Niere
macht und ein Gleiches auch für Plumatella und Fredericella in Aussicht stellt. Diese Bestätigung ist
indessen, .soweit es sich um Thatsachen handelt, -eine nur scheinbare. Denn hinsichtlich der äusseren
Oeffnung, auf deren Nachweis es doch in erster Linie ankommt, wird die Angabe Verworns nicht einmal
erwähnt, sondern es wird eine neue Oeffnung beschrieben, die der, welche Verworn zu sehen glaubte,
gerade entgegengesetzt ist. Während Verworns Oeffnung an der Stelle liegt, wo. in Fig. 61 der unpaare
Theil des Kanals in den Tentakel hinaufführt, befindet sich diejenige Coris am unteren Ende der Erweiterung,
bei co, so dass also beide Autoren sich auf Grund eines gegenseitigen Dementis bestätigen.
Ich kann Cori gegenüber nur das wiederholen, was ich Verworn erwiderte: Ich habe mich nach meinen
Präparaten von der Existenz einer Oeffnung nicht überzeugen können, so sehr ich seiner Zeit der
Annahme einer solchen geneigt war. Wiederholte Prüfung hat mich zu keiner Aenderung-meiner Auf"
fassung geführt. Bilder wie Coris Fig. 3 habe ich nicht gesehen, obwohl manche zu einer ähnlichen
Deutung verführen konnten. Die Auskleidung des Kanals würde nach Cori dem Ectoderm angehören,
was ich mit meinen Beobachtungen nicht vereinigen kann. Auch verstehe ich nicht, wie sich Cori die
Bildung der analen Tentakeln denkt. Im Allgemeinen glaube ich nicht, dass nach seiner Darstellung
*) „Lotos“ 1890. Neue Folge. Bd. XI.