Es wäre demnach zunächst die Frage zu erörtern: ist S c h n e id e r ’s Ansicht, die neuerdings
wiederum von K ö h le r vertreten wird, die richtige, oder müssen wir die Muskelhäute des Echinorhynchus
gigas in derselben Weise, wie die der kleineren Arten (S ä f ftig e n ), als Syncytien oder vielkernige
Blasteme auffassen?
Oeffnet man den sorgfältig von der Hypodermis befreiten Muskelschlauch eines Echinorhynchus
qigas, am besten den eines geschlechtsreifen Weibchens, in seiner ganzen Länge, so wird man ohne
Weiteres zehn helle Linien gewahren, welche den Leib von den Ansatzpunkten der grossen Retraktoren
an bis in die Nähe des hinteren Körperendes durchziehen und die Längsmuskulatur in ebenso viele
schmale Felder zertheilen. S c h n e id e r nahm an, dass acht dieser Linien: die Kernschnüre, die beiden
Mediano-efässe und jene zwei dorsalen Muskelröhren, welche den Ligamentblättern zur Insertion dienen,
eine vollständige Scheidung der Längsmuskulatur in acht Zellen bewirkten. Diese Voraussetzung hat
sich jedoch nicht bewahrheitet. Eine Untersuchung der Muskulatur auf Querschnitten ergibt, dass das
Faserflechtwerk des inneren Muskelsehlauclies die beiden Medianröhren, die bekanntlich zwischen Längs-
und Querfiberschicht dahinziehen, ohne merkliche Grenze iiberbrücken. Ferner ist aber auch die durch
die Kernschnüre bewirkte Trennung keine so tief eingreifende, wie man wohl auf den ersten Blick annehmen
könnte. Es winden sich nämlich zwischen den halsartig eingeengten Theilen der häutigen
Muskelbeutel Fibern hindurch, die mit den jenseits dieser Kernwälle liegenden Muskelpartien in Verbindung
treten.
Nach K ö h le r bestimmt sich die Zahl der Muskelzellen aus der Menge der vorhandenen Kerne.
Bei denjenigen Spezies, bei denen die Muskelkerne in beträchtlicher Anzahl vorhanden sind (z. B. Ecliino-
rhynclws haeruca), kommen nur einige wenige Muskelröhren auf eine Zelle. Weit weniger Kerne
lassen sich in der Hautmuskulatur des Echinorhynchus angustatus und vor allen Dingen in der des
Riesenkratzers nachweisen. Eine Zelle im Sinne K ö h l e r ’s würde in diesem Falle aus 30 und mehr
Fasern sich aufbauen. Es liegt klar auf der Hand, dass diese Annahme eine ganz willkürliche ist.
Erstens setzt selbige voraus, dass eine jede Faser oder Fasergruppe (Zelle) ein in sich geschlossenes
Ganzes bildet, denn sonst könnte man doch wohl überhaupt nicht mehr von Zellen sprechen. Dies ist
aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Vielmehr sehen wir — selbst bei den Ringmuskelfasern des Echinorhynchus
liaeruca — von kernhaltigen Fasern Röhren sich abzweigen und direkt in die benachbarte
Faser einmünden.
Ferner aber seldiesst Kö eh l e r ’ s Annahme die Möglichkeit aus, dass bei Formen mit wenigen
Muskelkemon, z. B. EcHnorhynchus gigas, die grossen Muskelterritorien dureli Verschmelzung mehrerer
Zellen, d®' hur von einem Kerne ghrneinschaftlioh ernährt werden, entstanden sein könnten.
Ein klarer Einblick in die wahre Natur der Muskelhänte lässt sieh meines Erachtens nur an der
Hand der Entwickelungsgeschichte gewinnen.
Die Entwickelung der Hautmuskulatur schliesst eine Reihe von Stadien in sich ein, die wir schon
bei der Besprechung der Hypodermis kennen lernten.
Bald nachdem der Uebertritt der Kratzerlarven aus der Dannwandung in die LeibesliöKfe!' erfolgt
ist, löst sich Von 'der unteren Hälfte des Embryonalkernes eine ringförmige kernhaltige Plasmamasse ab,
die sich in zwei,.Schichten grösser ellipsoider oder cylindrischer Kernzellen umwandelur'; In diesen Zellen
und zwar an der nach aussen gewandten Fläche entstehen dünne fadenförmige Plasmastreifen, die bald
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infolge der Vermehrung der Primitivfibrillen zu grösseren Muskelsträngen werden. Während nun aber
in den Zellen der Hypodermis die Fäserchen vollkommen isolirt und selbstständig bleiben, zeigen die
kontraktilen Elemente der beiden Muskelhäute schon frühzeitig die Tendenz, zu prismatischen Faserbündeln
zu verkleben. Späterhin gehen die Zellgrenzen in beiden Gewebsarten verloren, die protoplasmatischen
Zellenleiber verschmelzen mit einander. Auf dieser Entwickelungsstufe bleibt die Hypodermi-
stehen. Die Faserbündel der Hautmuskulatur, die anfangs auf die Aussenfläche der Zelle sich bes
schränkten, durchwachsen die Plasmaschicht in ihrer ganzen Dicke und liefern die rinnenförmigen oder
die allseitig umwandeten Muskelfasern.
Auch das Verhalten der Kerne ist in diesen beiden Geweben nicht das gleiche. Von den
Hypodermiszellkernen geht stets eine grössere Anzahl zu Grunde. In dieser Hinsicht gleicht der Hypodermis
eigentlich nur die Längsmuskulatur des Echinorhynchus gigas. Bei Larven, die kaum die Grösse
eines drittel Millimeters erreicht hatten, zählte ich schon 44 Kernzellen, während beim erwachsenen Individuum
höchstens deren 32 angetroffen werden. Bei allen übrigen Formen findet, solange das Längswachsthum
der Larve anhält, — also auch dann, wenn die Muskelschichten ihre zellige Struktur einge-
büsst haben — eine rege Vermehrung der Kerne statt.
Verstehen wir unter dem Begriffe Syncytium eine zusammenhängende mehr oder minder hoch
•differencirte Protoplasmamasse, die eine Anzahl von Kernen enthält und durch letztere in Gemeinschaft
•erhalten wird, so liegt es auf der Hand, .dass eine jede der beiden Muskelhäute als ein „vielkerniges
■Syncytium“ bezeichnet werden muss.
Wie an den Muskelfasern der Nematoden, so lassen sich auch an den kontraktilen Röhren der
Echinorhynchen ohne Weiteres drei konzentrisch gelagerte Schichten unterscheiden. Die äusserste derselben
bildet das Sarkolemma. Es ist eine vollkommen durchsichtige, farblose oder doch nur wenig gefärbte,
strukturlose oder faserige Masse, welche jeden einzelnen Cylinder mit einem festen Ueberzuge versieht,
dann aber auch zwischen die Muskelfibern sich fortsetzt. Die Dicke der Sarkolemmaschicht ist,
soweit selbige zur Einhüllung der Faser dient, keine beträchtliche (s. Tafel 5, Fig. 20 s). Da aber,
wo sie zur Ueberbriiekung von Spalten und Hohlräumen (s. Tafel 5, Fig. 20 sx) oder zur Verbindung
der Muskelschläuche mit den hypodermalen Fasergeweben Verwendung findet, gelangt sie zu einer ganz
enormen Entwickelung. Als typisches Beispiel will ich hier den Echinorhynchus trichocephalus anführen,
•eine Spezies, bei welcher das Sarkolemma der ovoiden Körperansehwellüng (5,7 — 8 fx) an manchen
Stellen die Ringfaserlage (3,5—-6,5 (.i) an Dicke übertrifft (s. Tafel 1, Fig. 23, sx). Weit ansehnlicher
ist diese Kittmasse beim Riesenkratzer ausgebildet (20—26 p), nur tritt sie hier in Folge der riesigen
Dimensionen der Muskelröhren (300 p) in den Hintergrund.
Allerorts, wo das Sarkolemma sich flächenhaft ausbreitet, zeigt es eine streifige oder faserige
■Struktur (s. Tafel 5, Fig. 20 sx ; Tafel 1, Fig. 23 sx). Letztere inhärirt nicht der Substanz selbst,
sondern hat ihren Grund in dem Auftreten einer beträchtlichen Anzahl feiner Spalten und Riefen, welche
im Leben mit der das Licht nur schwach brechenden Leibeshöhlenflüssigkeit, auf Dauerpräparaten mit
•dem körnig gefüllten Farbstoffe erfüllt sind.
Unter der cylinderförmigen Sarkolemmahülle breitet sieh die kontraktile Substanz aus. Sie besteht
aus schmalen Platten, welche durch lamellöse, dünne Fortsetzungen des Sarkolemmas von einander
getrennt werden (s. Tafel 5, Fig. 20 s). Bei starker Vergrösserung lösen sich die meist unregelmässig
Bibliottaeca zoologica. Heft VII. 9