Gleichwohl ist das Einfrieren nicht der einzige Umstand, welchen man zu beachten hat. Auch
da, wo die Aussentemperatur ungehindert gewirkt hatte, zeigte sich immer erst in den letzten Tagen
des November oder zu Anfang December die volle Keimfähigkeit, wochenlang nach Eintritt der ersten
intensiven Kälte. Ein Beispiel mag dies erläutern. Eine Menge von Statoblasten, welche ich aus grossen,
am 28. October 1888 noch lebend gesammelten Kolonien gewonnen hatte, war vom 5. bis 8. November,
bei etwa - 5° C. gefroren. Vom 9. bis 14. November stieg das Thermometer auf —}— 3°, fiel dann am
15. und 16. wieder auf — 1,5° und zeigte bis Mitte December eine dauernde Erhöhung bis zu -|- 6
oder 7 °. Von diesem Material wurden seit dem 8. November 20 Statoblasten im offenen Schälchen bei einer
mittleren Wärme von —|— 20° C. gehalten. Nach einigen Tagen entwickelten sich davon 3, die übrigen
zeigten noch zwei Monate später keine Veränderung. Am 19. November wurde der Versuch mit 20
anderen wiederholt, wovon sich bereits 6 als keimfähig erwiesen. Als dann am 2. December eine neue
Probe gemacht wurde, ergab sich zum ersten Mal ein voller Erfolg, indem nun sämtliche Statoblasten
ihre Kolonien ausschlüpfen liessen, und dieses günstige Resultat blieb auch fernerhin ein beständiges.
Man muss danach annehmen, dass es nicht allein der Einwirkung des Frostes, sondern ausserdem einer
gewi s s e n Ze i t bedarf, um das ganze im Sommer und Herbst erzeugte Fortpflanzungsmaterial zur
Reife zu bringen. Ob diese Zeit nur deshalb erforderlich ist, damit die durch den Frost bedingten
Veränderungen unbekannter Art im Statoblasten zum Abschluss gelangen können, oder ob ihr als eigentlicher
Ruhepause eine selbständige Bedeutung zukommt, ist nicht leicht zu entscheiden. Im letzteren
Falle würde man die Zeit von der Vollendung des Statoblasten bis zum Eintritt der Keimfähigheit in
Rechnung zu stellen haben und so auf eine Frist von etwa zwei Monaten schliessen können.*) Dass einige
Statoblasten so viel früher keimten als andere, nämlich schon vor Mitte November, liesse sich dann
wohl aus dem ungleichen Alter derselben erklären. Denn da die letztvollendeten der Kolonie mindestens
um einen Monat jünger zu schätzen sind als die ersterzeugten, so konnte für diese der Reifezustand bereits
zu einer Zeit eiügetreten sein, wo jene das erforderliche Alter noch nicht erreicht hatten. Gegen
diese Auffassung spricht aber, dass der nicht keimfähige Rest der am 8. und 19. November zur Untersuchung
verwertheten Statoblasten, trotzdem er noch bis Mitte December beobachtet wurde, keine Embryonen
mehr ausschlüpfen liess, was doch hätte geschehen müssen, wenn nur eine gewisse Zeit' der
Ruhe und nicht vielmehr die Dauer der Kältewirkung in Frage käme, unter deren Einfluss das ganze
übrige Material schon am 2. December keimfähig geworden war. Auffällig ist aber auch hier die Ungleichheit,
mit der sich dieser Process bei den verschiedenen Keimkörpern abspielte. Denn während ein
Theil der Statoblasten schon am 8. November, nach viertägiger Frostwirkung, in den Besitz seiner vollen
Keimkraft gelangt war, geschah das bei ändern erheblich später, bei den letzten erst gegen Ende des
Monats. Man wird daraus schliessen dürfen, dass die durch den Frost eingeleiteten Vorgänge j e n a c h
d e r Co n s t i t u t i o n der Statoblasten bald mehr, bald weniger Zeit in Anspruch nehmen, zugleich aber
bemerken, dass im Verlauf dieser Vorgänge nicht ein ununterbrochener Frost, sondern nur eine gewisse
niedrige Temperatur erforderlich ist.
Immerhin scheint es, dass auch der Frost nicht allzu flüchtig sein darf, und dass er wenigstens
einige Tage anhalten muss, wenn sein Einfluss deutlich hervortreten soll. So hatte ich eine grössere
*) Ich nehme an, dass in der oben erwähnten Kolonie die meisten Statoblasten schon zu Anfang October vollendet
waren. Die ersten reifen Statoblasten beobachtete ich an dem betreffenden Ort am 15. September.
Anzahl von Statoblasten, welche frischen, am 15. September 1888 gesammelten Kolonien entnommen
waren, am 16. September auf künstlichem Wege einfrieren lassen, und in diesem Zustand waren sie
24 Stunden hindurch verblieben. Dennoch war hievon weder bald darauf, noch während des folgenden
Winters irgend welche Wirkung zu spüren, vielmehr widerstanden diese Körper allen Versuchen, sie zur
Keimung anzuregen, obwohl sie, wie sich später herausstellte, die Fähigkeit dazu keineswegs eingebüsst
hatten. Ich vermuthe also, dass die Dauer von 24 Stunden nicht hingereicht hat, um die sonst so offenkundige
Wirkung des Frostes zum Durchbruch kommen zu lassen.
Hier wird nun die Frage zu erörtern sein, ob die Statoblasten von Cristatella behufs Erlangung
ihrer Keimfähigkeit u n b e d i n g t einfrieren müssen, oder ob auch auf andere Weise ein gleicher Erfolg
•erzielt werden kann. Ich war lange Zeit sehr geneigt, das letztere zu verneinen oder auf ganz vereinzelte
Ausnahmen zu beschränken, bis ich beinahe durch einen Zufall anderer Meinung geworden bin. Die
■eben erwähnten Statoblasten vom 15. September 1888 waren den Winter über im verschlossenen Glase
im Zimmer gehalten und das Gefäss dann im Frühjahr einige Male geöffnet und auf diese Weise gelüftet
worden. Als am 15. Juni 1889 mein Blick wieder auf das Glas fiel, fand ich zu meiner Verwunderung,
dass in einem grossen Theile der Statoblasten, welche ich schon für unbrauchbar gehalten
hatte, die Embryonen entwickelt waren. Dies veranlasste mich zur Anstellung eines ähnlichen, jedoch
klareren Versuchs. Ich hatte am 28. October 1888 eine Menge frisch producirter Statoblasten zu 20
bis 30 in verschiedene kleine Gläschen vertheilt, welche mit destillirtem Wasser gefüllt und luftdicht
verkorkt wurden. Meine Absicht war, diese Statoblasten für spätere Zeit aufzubewahren, um zu ermitteln,
wie lange sie etwa zur Erzeugung von Embryonen fähig bleiben könnten. Am 15. Juni 1889
■öffnete ich nun eins der Gefässe und unterwarf seinen Inhalt den für die Keimung nöthigen Bedingungen.
Trotzdem hier eine auch nur vorübergehende Einwirkung des Frostes gar nicht in Frage stand, waren
■die jungen Kolonien sämtlich bereits am 21. Juni ausgeschlüpft. Es war also kein Zweifel, dass der
Frost unter Umständen entbehrt und durch andere Einflüsse ersetzt werden könne. Dass diese nur in
•dem Abschluss der Luft zu suchen seien, ging zur Evidenz daraus hervor, dass 20 Statoblasten vom
18. September 1888, welche unter sonst gleichen Bedingungen im o f f en en Glase gehalten waren, keine
Spur von Keimung erkennen liessen. Ich glaube demnach, dass die so. oft erprobte Wirkung des Frostes
nur darin besteht, dass sie die Athmung des Statoblasten unterbricht und den Inhalt desselben zu absoluter
Ruh e zwingt.
Uebrigens scheint ein allzu langer Aufenthalt an der Oberfläche bei höherer Temperatur den
noch nicht keimfähigen Statoblasten direct zu schädigen, da es mir beispielsweise bei einer Anzahl von
Keimen, welche über 4 Monate hindurch einer Wärme von 8—17 0 C. und dann erst dem Frost ausgesetzt
wurden, nicht gelang, die Embryonalentwickelung zu veranlassen.
Nach Erfüllung der erwähnten Bedingungen vermag sich der Statoblast unter geeigneten Umständen
zum jungen Stock zu entwickeln: Er ist k e im f ä h i g . Es bedarf nur eines bestimmten An-
stosses von aussen her, um die in ihm ruhenden Kräfte zur Entfaltung zu bringen und die schlummernden
Zellen zu frischer Thätigkeit zu erwecken.
Der keimfähige Statoblast kann in diesem Zustand geraume Zeit, vielleicht mehrere Jahre, an
•der Oberfläche des Wassers verharren, vorausgesetzt, dass die Temperatur sich nicht weit über den
Nullpunkt erhebt. Er kann unterdessen beliebig oft einfrieren, und ohne Zweifel wird gerade durch