
Trotzdem die Tomopteriden von einer grossen Zahl ausgezeichneter Forscher eingehend studirt
wurden, so bedarf doch der feinere Bau derselben mehrfach der Aufklärung. Ich werde mich bei der
Schilderung der einzelnen Organsysteme kurz fassen und nur solche Punkte ausführlicher berücksichtigen,
wo ich wesentlich Neues zu bieten vermag.
Das zweilappige Gehirn (Fig. 2) liegt zum grüssten Thcil hinter den Cirrenborsten und entsendet
an seinem Uobergang in die mit Ganglienzellen seitlich belegten Commissuren jederseits einen starken
Nerven (n) zu den Borstenmuskeln. Offenbar rückt es erst mit fortschreitendem Wachsthum in die
Mitte des Kopfes, da es bei jugendlichen Exemplaren vor den Borsten gelegen ist, entsprechend der
Lagerung bei T. elegans. Die Augen besitzen ein rothbraunes Pigment und, soweit ich es an den con-
servirten ‘Exemplaren zu beurtheilen vermag , eine viertheilige Linse. Auch ist die Pigmentlage vier-
lappig ausgebuchtet, wie dies an parallel der Medianlinie geführten Schnitten deutlich hervortritt. Die
beiden ansehnlichen dorsalen Wimperepauletten {io) sind bei jüngeren Thieren kreisrund, bei älteren lang
oval ausgezogen.
Unter die Sinnesorgane des Kopfes ist vielleicht auch ein merkwürdiges Organ zu zählen, dessen
kein Beobachter der Tomopteriden Erwähnung thut, wie es denn überhaupt unter den Anneliden kein
Homologon zu haben scheint. Auf der Dorsalseite des Kopfes zwischen den beiden Wimperepauletten
liegt nämlich die Oeffnung einer tiefen Grube, die trichterförmig sich verengernd schräg nach unten
und hinten an dem Gehirne endigt (Fig. 2 und 3 gr.) Ob dieselbe im Leben flimmert, vermag ich
nicht anzugeben. Dagegen verläuft an ihrem vorderen, den Kopflappen zugewendeten Rande ein
starker unpaarer Nerv (Fig. 3. n), der feinere Aeste an die Kopflappen abgiebt. Ic h h a b e d ie s e
K o p fg ru b e b e i k e in em d e r z a h l r e ic h e n e rw a c h s e n e n E x em p la re v e rm is s t , welche ich
untersuchte; bei den jüngsten Exemplaren von 2—3 mm Länge fehlt sie, während sie bei mittelgrossen
Individuen kaum halb so tief erscheint, als bei den erwachsenen.
Ueber die morphologische Deutung dieser Kopfgrube vermag ich mich nicht auszusprechen.
Phantasievollere Beobachter, die stets bedauern, dass man die tiefe phylogenetische Bedeutung- eines
Organsystem nicht erkannte, mögen in ihr ein Homologon der Epiphysis oder der Cyclostomennase oder
gar des supponirten primären Wirbelthiermundes erkennen. Ich habe mir freilich eine recht nüchterne
Vorstellung über die Entstehung der Grube gebildet. Da sie nämlich den jüngsten Thieren fehlt, deren
Hirn bis an die Rückenseite des Kopfes ragt, so dürfte mit dem allmählichen Zurückweichen des grossen
Ganglions ein Zug ausgeübt werden, der zur Bildung der Grube Veranlassung gäbe. Das Nervensystem
wahrt zudem zeitlebens seine Beziehungen zum Ektoderm, insofern es nicht in die Tiefe rückt,
sondern, wie Vejdovsky und Greeff richtig hervorheben, zwischen der Haut und Hautmuskulatur (Fig. 3 mu)-
gelegen ist.
Dass bei der ansehnlichen Entwicklung der Fühlerborsten die zur Bewegung derselben dienenden
Muskeln besonders kräftig entwickelt sind, ist erklärlich. Sechs breite' Muskelbänder (mtt'-HiiM6 Fig. 2)
inseriren sich in gleichen Distancen an der Basis je einer Borste und strahlen fächerförmig sich verbreiternd
zur Körperoberfläche aus. Ein siebentes Paar , von Muskeln {mu1) durchsetzt neben den Commissuren
dorsoventral den Kopf, ohne an die Borsten heranzutreten.
Der vorstülpbare Pharynx mündet weit vor dem ersten Parapodium in den Darm ein, welcher
bald gerade gestreckt verläuft, bald kurze Divertikel in ein i ge der hinteren Paräpodien entsendet, bald
auch (Fig. 1) eine kurze Schleife in einem der letzteren bildet. Er hängt in der voluminösen Leibeshöhle
P f vermittelst eines dorsalen und eines ventralen Mesenterialbandes (Fig. 3 nie). Letzteres
repräsentirt keine continuirliche Lamelle, sondern zerfasert sich gegen die Körperwandung. Das Auftreten
der beiden Mesenterien, die Auskleidung der Leibeshöhle durch eine Epithellamelle (Fig. 3 ep)
und die Entstehung der Geschlechtsproducte aus dem Epithel der Leibeshöhle deuten darauf hin, dass
die Tomopteriden Enterocoelier repräsentiren.
Obwohl die Geschlechtsprodukte der Tomopteriden als Paradigmata für eine Entstehung aus dem
Leibeshöhlenepitel mit einer gewissen Vorliebe seit längerer Zeit angezogen werden, so ist doch den früheren
Beobachtern eine Reihe, wie mir dünkt, nicht unwichtiger Verhältnisse entgangen. Zunächst sei bemerkt,
dass ich wie bei T. elegans so auch unter den zahlreichen geschlechtsreifen Exemplaren von T. euchaeta.
keine Männchen auffand. Worauf dieser Mangel, oder vorsichtiger gesagt, diese Seltenheit der Männchen
während der Monate August bis Oktober beruht, müssen spätere Untersuchungen lehren. ' Was nun die
Lao-e der Ovarien in den Parapodien anbelangt, so finde ich nicht erwähnt, dass dieselbe eine streng
fixirte ist. Sie finden sich nämlich bei beiden Arten constant an der Dorsalseite der Parapodien in der
Höhe der Gabeltheilung letzterer. Bei T. elegans fehlen sie in den beiden ersten und in den 3—4
letzten Parapodienpaaren, bei T. euchaeta vermisse ich die Ovarien lediglich im ersten Parapodienpaar:
und in den stummelförmigen Anhängen des wurmförmigen Körperendes. Dass , die reifen Eier in die
Leibeshöhle fallen und dass ihnen noch eine Anzahl kleinerer Zellen anhängt, heben fast sämmtliche
Beobachter hervor. Ueber die Bedeutung der letzteren und über ihre Herkunft gehen freilich die
Ansichten weit auseinander.
L e u c k a rt und P a g e n s te c h e r1) nehmen an, dass die Eier vor ihrer Reifung sich in 4 und mehr
Ballen klüften, die jedes ein Keimbläschen enthalten und dann einer nach dem anderen’ zu einem Eie
heranreifen. Auch Ke fe rstein ist der Ansicht, dass der Eierhaufen sich weiter' entwickelt,' während er in
der Leibeshöhle flottirt, „indem ein Ei nach dem anderen zur vollständigen Grösse heranwächst“' (1. c. p. 364).
G r e e f f (1. c. p. 276) spricht ebenfalls von Keimzellenballen in der Leibeshölile, während V e jd o v s k y
(1. c. p. 91) glaubt, dass in den flottirenden Zellgruppen „eine dieser Zellen auf Kosten der übrigen
Geschwister sich bis zur völligen Reife entwickelt“. Am ausführlichsten sprechen sich C a r p e h t e r und
C la p a r e d e 2) über die flottirenden Zellen aus, obwohl ihre Anschauung im Wesentlichen die Ansichten
von L e u c k a rt und P a g en ste ch e r wiedergiebt. Sie schildern den Ursprung der Keimzellen in den Parapodien;
„these cells multiply by self-division after the ordinary mode, and it is only after tlieir number
has thus been considerably augmented, that they begin tb increase in size an to assume the characteristic
appearance of ova“.
Es lassen sich also die Anschauungen der früheren Beobachter kurz dahin resumiren, dass die
losgelösten Eier sich klüften und dass die Furchungszellen entweder als Nährzellen fungiren (Vejdovsky)
oder sich ebenfalls zu Eiern entwickeln (alle übrigen Beobachter).
1) E. L e u c k a r t und A. P a g e n s t e c h e r . Untersuchungen über niedere S eetbiere, Müller’s Arch. f. Anat. und Physiologie
1858 p. 592 Taf. 20.
2) w C a r p e n t e r a n d E. C l a p a r e d e , Further Researches on Tomopteris onisciformis. Transact. Linnean Soc.
Vol. 23. 1862 p. 64. Taf. 7.