den zweiten Weg angewiesen.' Selbstverständlich müssen wir wieder von den ¡einfachsten Formen, d. h. den
holotrichen Infusorien, ansgehen, deren Vergleichung uns nicht nur zur Feststellung ihrer verwandtschaftlichen
Beziehungen führen kann, sondern die Möglichkeit geben wird, eine Ableitung andeäj Infusorienordnungen
von denselben zu versuchen.
Nun sind aber gerade die'holotrichen Infusorien am Wenigsten, erforsoht und verlangen Z u n # « e iS
Nenuntersuchung. Alle Beschreibungen, in. welchen sie in ihrer systematischen Gesammtbeit betrachtet
werden, stammen aus verhältnissmässig früher Zeit und sind desshalb wenig genügend. Die Unzulänglichkeit
der Arbeiten von E h ren b e rg (27), Dujardin (24), P e rty (50), Claparede und L a ehmann (13) wurde
von S te in erkannt, als er sein grofses Werk (60 und 62.) in Angriff nahm, in welchem er auch die bis zur
Gegenwart herrschende Classification durchführte. Leider starb dieser eminente Protozoenforscher, ohne das
begonnene Unternehmen zu Ende zu führet^; |||a s s nur. die Ordnungen der hypotnehen (60) und heterotriohen
Infusorien (62) zur Besprechung kamen.
Die in der späteren Zeit erschienenen Arbeiten von Die sing (22 und 23), F romentel (34) und
Kent (38) sind theils compilatorischen Characters und enthalten wenig eigene Forschungen! Bedeutend
wichtiger für uns erscheinen die genauen und schönen Untersuchungen von Balbiani.(4), Cohn (20), Entz
(29 und 30), Grub er (37), Maupas (44 und 45), Wrzesniowsky (68) und anderen , obgleich in denselben
nur einzelne Formen der holotrichen Infusorien behandelt wurden.
Aber auch in diesen Arbeiten sind gewisse Lücken nicht zu verkennen; so möchte ich z. B. bei dieser
Gelegenheit auf ein Verhältniss hinweisen, welches bis jetzt wenig oder sogar fast gar nicht beachtet wurde:
es -ist nämlich die Körperstreifung der, Infusorien. Dieselbe ist nach der Auffassung B ü ts e h li’s, welcher
ich vollkommen beistimme,' von grösser Wichtigkeit für die Erkenntnis der verwandtschaftlichen Beziehungen
einzelner Infusorien. Auf Grund derselben wäre eine hypothetische Ableitung der höher entwickelten Formen
von einfachen zu versuchen.
Von den eben geschilderten Betrachtungen ausgehend und veranlasst durch den Wunsch meines
hochverehrten Lehrers Prof. B ü tsch li, welcher gegenwärtig mit der Ausarbeitung der Infusorien für. sein
Protozoenwerk beschäftigt ist, unternahm ich im Herbste des Jahres 1SS6 eine Untersuchung über die
holotrichen Infusorien.
Bei diesem Unternehmen wurde ich von Prof. B ütschli aufs freundlichste und zuvorkommendste
unterstützt, welcher einen grossen Theil meiner Beobachtungen controlirte und mich auf vieles neue aufmerksam
machte. Viele der in den folgenden Zeilen zu schildernden Beobachtungen sind daher eigentlich
das Resultat gemeinsamer Arbeit mit Prof. B ü ts c h li; derselbe hat in seiner Beschreibung der Ciliaten die
bezüglichen Beobachtungen auch demgemäss als von ihm und mir herrührend bezeichnet. Auch die Benutzung
der von Prof. B ü tsc h li gefertigten systematischen Auszüge, welche derselbe mir freundlichst gestattete,
gewährte mir mancherlei Vortheile. Ich möchte desshalb. Herrn Prof. Bü tsch li an diesem Orte nochmals
meinen aufrichtigsten und innigsten Dank für alle seine Freundlichkeit und Güte, welche er mir fortwährend
bezeugte, aussprechen.
Die in nachfolgenden Zeilen geschilderten Beobachtungen beziehen sich auf 25 Formen, unter denen
sieh einige als neue Gattungen und Arten ergaben. Die übrigen, , bereits bekannten Formen sind auf ihre
Organisationsverhältnisse neu untersucht worden, aus Gründen, welche wir schon oben betonten. Es möge '
erlaubt sein, auf eine ausführliche Beschreibung solch’ allgemein bekannter Formen, wie Colpidium, Glau-
coma und andere einzügehen. Es sind häufig gerade die gemeinsten Formen, deren Organisationsverhältnisse
am wenigsten bekannt sind und die desshalb aufs Neue zu untersuchen waren. Dieser Umstand rührt wohl
daher, dass die von den älteren Forschern angestellten Beobachtungen für ausreichend gehalten wurden,
wesshalb man bei späteren Beschreibungen nur auf gewisse Bauverhältnisse, wie z. B. die des Mundes und
Schlundes achtete und die übrigen wie z. B. Ectoplasmastructur und Körperstreifung ausser Acht liess.
Indem ich mich entschliesse meine Befunde zu veröffentlichen, bin ich mir vollkommen bewusst,
dass meine Untersuchungen durchaus nicht erschöpfend und ausreichend sind. Namentlich sind es die höchst
interessanten Conjugationsersclieinungen und, die Fortpflanzungsverhältnisse, über die ich fast gar nichts mit-
zutheilen habe. Die Untersuchung der ersteren bildet; eigentlich ein Gebiet für sich und wurde vorläufig auch
nicht beabsichtigt. Dagegen erschien viel wichtiger für die Zwecke, die. ich im Auge hatte, das Studium der
Theilungszustände, da ja, wie bekannt, bei diesem Processe einige Organe am Körper des Mutterthieres neu
angelegt werden, so dass wir in diesem Falle von einer Ontogenie in einem gewissen Sinne sprechen können.
Wer sich aber mit diesen Untersuchungen. eingehend beschäftigt hat, wird aus eigener Erfahrung wissen, dass
man dabei ebenso viel auf Ausdauer, als auf Glück angewiesen ist, was auch die hervorragendsten Infusorienforscher
wie S te in und B ü tsch li behaupten.
Ich halte für verfrüht gegenwärtig auf etwaige Speculationen über die verwandtschaftlichen Beziehungen
einzelner Gebilde und Formen einzugehen, die erst nach der Untersuchung wenigstens sämmtlicher
Gattungen der holotrichen Infusorien sich natürlich ergeben können.
So mögen nun diese Beiträge, wenn auch in ihrer unvollkommenen Gestalt, erscheinen und demnach
als ein Versuch betrachtet werden, unsere Kenntnisse über den Bau 'dieser interessanten Wesen zu vermehren.
Ich hoffe die dargestellten Befunde in baldiger Zeit durch Untersuchungen anderer Formen, sowie
der Theilungs- und Conjugationserscheinungen zu ergänzen, so weit mir die Möglichkeit geboten sein wird,
meine Studien in der bisherigen Weise fortzuführen.
Bevor ich mich zur Schilderung der einzelnen von mir untersuchten Gattungen und Arten wende,
halte ich für angemessen, die technischen Ausdrücke und Bezeichnungen, deren ich mich bei der Beschreibung
bedienen werde, zu erläutern.
Zur Bezeichnung der relativen Grösse der Infusorien sind von mir folgende Ausdrücke gewählt
worden: als sehr kleine bezeichne ich die Formen, welche bis 0,04 mm messen; als kleine — die bis 0,07 mm;
als mittelgrosse — die bis 0,12 mm; als grosse 3 die bis 0,25 mm und schliesslich als sehr grosse, die
Formen, welche 0,25 mm überschreiten. Diese Bezeichnungen sind freilich ganz willkürlich und sollen nur
der besseren Uebersicht wegen die relativen Grössenverhältnisse in Worten ausdrücken.
Zur Bezeichnung der Formveränderungen, die am Körper der Infusorien wahrzunehmen sind, bediene
ich mich der Ausdrücke, welche seinerzeit von Cohn (20; pag. 260—261) vorgeschlagen worden sind, halte
aber die Unterscheidung von retráctil und contráctil für unwesentlich und bezeichne in diesen Fällen den
Körper kurzweg contráctil. Demnach unterscheide ich:
1) s ta rre Infusorien, wenn der Körper gar keine Formveränderungen erleidet,