Der eben geschilderte Wachsthumsprozess findet jedoch nicht allerorts in dem gleichen Umfange
statt. In unmittelbarer Nähe der Haftorgane können nur sehr geringe Mengen Fasersubstanz abgelagert
werden, weil hier die Cuticula dicht oberhalb der Hypodermis dem chitinigen Hakenmantel fest verwachsen,
also keiner Abhebung fähig ist. Auf diese Weise entstehen jene tiefen trichterförmigen Cuticulareinsenkungen1)
(s. Tafel 8, Fig. 1 ct'), vermöge deren die Haut gewisse selbstständige Bewegungen
auszuführen im Stande ist.
Hat die Abscheidung subcuticularer Filzmassen ihr Ende erreicht, so werden die ersten Plasmaverdichtungen
an den radial gestellten Wandungen der Hypodermiszellen sichtbar. Sie vermehren sich
ziemlich rasch und wachsen in der früher angegebenen Weise zu den Radiärmuskelfasem aus. Der
Verfaserungsprozess erstreckt sich jedoch nicht, wie in der Leibeswand, auf den gesammten Zellinhalt,
sondern beschränkt sich auf jene Plasmamassen, welche die vier Ecken der rhombenförmigen Zellen
ausmachen. Nach dem Verschwinden der Zellwände verschmelzen die Fasercylinder der vier an jedem
Dorne zusammenstossenden Zellen zu einer einheitlichen Muskelmasse, die als mantelförmige Schicht von
elliptischem Querschnitte den Basalttheil der Haken umhüllt. Das übrige Zellplasma behält noch lange
Zeit hindurch seine ursprüngliche Beschaffenheit bei. Erst dann, wenn die Radialfasern das Subcuti-
culargewebe in seiner ganzen Dicke durchsetzen, fällt selbiges sarnrnt den Kernen der verflüssigenden
Metamorphose anheim.
Die Lemnisken gleichen in ihrer Histogenie den Hautdecken so auffä ■ dass ich es für un-
nöthig erachte, diese Entwicklungsvorgänge nochmals vorzuführen. Da aber ferner die Organogenie
durch die Untersuchungen L e u c k a r t 's 2) (am Echinorhynchus proteus und Echinorhynchus angustatus)
und S c h n e id e r ’s 3) (am Echinorhynchus gigas) vollkommen klar dargelegt wurde, so kann ich mich auf
die folgenden wenigen Mittheilungen beschränken.
Die Larven des Riesenkratzers besitzen an der Halsbasis, also da, wo beim erwachsenen Wurme
die Gefässe der Lemnisken in den Ringkanal einmünden, einen Gürtel von 14 aussergewöhnlich grossen,
kugelrunden Kernen — bei einer Larvenlänge von 3,4 mm 75.« —-. Bei Echinorhgnchus angustatus,
ebenso bei Echinorhynchus haeruca, ist die Zahl der Kerne in dieser Region nicht konstant, auch gelang
es mir nie, eine solche gleichmässige Vertheilung, wie beim Riesenkratzer, nachzuweisen (s. Tafel 5,
Fig. 9, lmnc). Kurze Zeit, nachdem die Kerntheilung ihren Anfang genommen hat, erheben sich die
Hautdecken in Folge des rapiden Wachsthums der kemartigen Einlagerungen zu einer ringförmigen
Aufwulstung (s. Tafel 5, Fig. 9). So lange die Zahl der Kerne noch keine, beträchtliche ist, behält
dieser Wulst seine Gürtelgestalt bei. Wenn aber später die Vermehrung der Nuclei regere Fortschritte
macht, dann stellen sich sehr auffällige Gestaltdifferenzen in den verschiedenen Quadranten ein. Während
nämlich der dorsale und ventrale Sektor kaum merklich an Volumen zunehmen, wachsen die lateralen
Sektoren zu zwei langen Cylindern aus, die, überkleidet von den Muskelmassen des Retractor colli, frei
in die Leibeshöhle hineinragen.
. .*) Unter den gleichen Verhältnissen sehen wir die -Cnticularfalte entstehen, welche in Verbindung mit dem
Cuticularringe eine vollständige Scheidewand zwischen dem Gefässsysteme des Halses und des Rumpfes bildet
2) Die menschlichen Parasiten, 2. Bd. pag. 836.
8) Sitzungsberichte der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde, 1871; pag. 2.
Die Umwandlung des kernreichen Syncytiums in einen Zellenkomplcx geht erst dann vor sich,
wenn die Lemnisken die Leibeshöhle in dem fünften. Theile ihrer Länge durchwachsen haben. Der
Verfaserungsprozess lässt sich nur sehr schwierig verfolgen, weil hier keine so regelmässige Anordnung
der Zellen, wie in den Leibeswandungen, vorhanden ist. Nur an den beiden Rändern dieser, auf dem
Querschnitte flach elliptischen Organe lassen sich einige Zellreihen, aus denen augenscheinlicher Weise die
voluminösen Längsgefässe hervorgehen, deutlich unterscheiden.
Bevor ich zu einem neuen Kapitel übergehe, möchte^ /ich nur noch auf das Verhältniss der
Lemnisken zu den Exkretionsorganen der übrigen Würmer, speziell der Nematoden zu sprechen kommen.
Viele F orscher deuteten die Lemnisken als besondere Exkretionsorgane, die nach Art des Wasser-
gefässsystems der niederen Würmer die als Endprodukte des Stoffwechsels im Leibe entstandenen harnähnlichen
Substanzen nach aussen befördern sollten. Diese Annahme ist durch eine Reihe trefflicher Beobachtungen
zur Genüge widerlegt worden.
Wenn auch hinsichtlich der funktionellen Verwendung die Lemnisken den Exkretionsorganen
der übrigen Wurmformen nicht ebenbürtig an die Seite gestellt werden können, so lassen sich ihnen
doch, wenn wir einzig und allein den morphologischen Werth ins Auge fassen, gewisse verwandtschaftliche
Beziehungen zu den Seitengefässen der Nematoden nicht absprechen. Die laterale Lage, die Anwesenheit
eines oder mehrerer Längskanäle, der histologische Bau, die Art der Herkunft repräsentiren
eine Summe von Merkmalen, welche der eben ausgesprochenen Behauptung eine feste Stütze verleihen.
Der Grund, dass die Lemnisken zu Leistungen verwendet werden, die sonst den Exkretionsorganen
fremd sind, ist, wie an früherer Stelle ausführlich dargelegt wurde, in den veränderten Bedingungen,
unter denen die Nahrungsaufnahme' bei den Echinorhynchen stattfindet, zu suchen.
Wenngleich die Lemnisken hinsichtlich ihres feineren Baues und ihrer sämmtlichen Funktionen
vollkommen mit der Hypodermis übereinstimmen, so müssen doch vom morphologischen Standpunkte aus
beide Theile streng auseinander gehalten werden. Die Lemnisken bilden die Homologa zu den Seitengefässen
der Nematoden; das Röhrennetz der Haut hingegen stellt einen selbstständigen Ernährungsapparat
vor, der wohl eher mit einem Blutgefässsysteme verglichen werden könnte.
In einer in neuester Zeit veröffentlichten kurzen Mittheilung spricht 0 . H am a n n 1) die Behauptung
aus, dass er auf Grund einer kompleten Homologie zwischen einer ganzen Reihe von Organen die Trennung
der Acanthocephalen von den Nematoden aufzugeben sich gezwungen fühle. Eines der wichtigsten
Argumente bildet die Existenz sogenannter Lemnisken bei Dochmius duodenalis und den Strongyliden.
Diese schon von M eh lis u n d B ilh a r z gesehenen und von L e u c k a r t , S c h n e id e r , S c h u lth e s s und
R z ew u s k i untersuchten sogenannten Kopf- oder Halsdrüsen sollen nach S t r ö s e (dessen Abhandlung,
so viel ich weiss, noch nicht veröffentlicht worden ist) als direkte Fortsetzungen der dorsalen wie ventralen
Längslinie aus der zelligen Ektodermschicht der Larve entstehen. Sie stellen also direkte Hervorwulstungen
der Epidermis (Hypodermis) vor, die einer Ausmündungsöffnung entbehren. Auf den feineren Bau geht
H am an n nicht näher ein. Aber selbst dann, wenn die Lemnisken der Nematoden mit den gleichnamigen
Organen der Echinorhynchen hinsichtlich des Baues wie der Entwickelungsgeschichte vollständig übereinÉ
Die Lemnisken der Nematoden. Zoologischer Anzeiger, 13. Jahrgang. 1890. Nr. 333. pg. 210—212.
Bibliotheca zoologica. Heft VII.