5. Die Bildung der Statoblasten.
Seit der Entdeckung der Bryozoen haben auch jene eigenthümlichen Fortpflanzungskörper, welche
Allman später als „Statoblasten“ bezeichnete, die Aufmerksamkeit der Forscher erregt und wieder und
wieder ihr Interesse wachgerufen. Schon Trembley, der 1744 die erste Beschreibung eines Süsswasser-
bryozoons gegeben hat*), berichtet gelegentlich**) auch über die Statoblasten, nachdem bereits vorher
Reaumur und Bemard de Jussieu auf Grund von Mittheilungen Trembleys dieselben aufgefunden und
das Ausschlüpfen des jungen Thieres beobachtet hatten. ***) So klar und bestimmt aber die bezüglichen
Angaben lauteten und so untrüglich sie waren, währte es doch fast ein Jahrhundert, ehe sie zu allgemeiner
Anerkennung gelangten, wie denn Roesel i. J. 1754 die Statoblasten für Lemna-Samen und
noch Meyen 1834 für die Eier parasitischer Krebse ausgaben. Es konnte daher beinahe schon als
Verdienst gelten, wenn man sich nur eigenmächtiger Conjecturen enthielt und an dem, was die Entdecker
erkundet hatten, genügen, liess. Selbstverständlich hatten die letzteren nicht daran gezweifelt,
dass sie es mit den Ei e r n ihres vermeintlichen Polypen zu thun hätten, und man theilte diese Ansicht
um so bereitwilliger, als widerstreitende Gründe kaum vorhanden waren. Erst als durch Allmans umfassende
Untersuchungen die Fortpflanzungsverhältnisse näher beleuchtet und die eigentlichen Geschlechtsorgane
aufgedeckt wurden, sah man sich vor die Frage gestellt, ob nicht vielmehr die Statoblasten als
eine besondere Art von Kn o s p e n zu deuten seien, und Allman selbst antwortete bejahend. Er gründete
sein Urtheil darauf, dass die Statoblasten nicht im Ovarium entstanden, dass sie niemals den Anblick
eines sich klüftenden Eies darboten und weder ein Keimbläschen noch einen Keimfleck erkennen liessen****).
Auch erschien es bedeutsam, dass sie auf einem frühen Stadium ihrer Entwickelung sich als aus zwei
Theilen zusammengesetzt darstellten, f) Ein Jahrzehnt später verfolgte Hinrich Nitsche die Bildung der
Statoblasten von Alcyonella fungosa yf), und indem er dieselbe nicht von einer einzigen Zelle, sondern von
einem Aggregat solcher ausgehen sah, gelangte er zu dem nämlichen Endresultat wie sein Vorgänger.
Immerhin konnte dieses noch nicht als gesichert gelten, da der Ursprung und die Bedeutung jener Zellen,
welche dem Statoblasten seine Entstehung geben, noch völlig dunkel blieb. Hypothetisch war es ja
klar, dass, wenn die Statoblasten Knospen sein sollten, eine Betheiligung b e i d e r Keimblätter noth-
wendig sei, und die Rolle, welche dieselben in diesem Falle zu spielen hätten, konnte kaum zweifelhaft
sein. Nitsche hatte gezeigt, dass die „cystogene Hälfte“ des Statoblasten die Chitinschale erzeuge, und
Reinhard yff) hatte hinzugefügt, dass ebendaher auch das Ectoderm des Embryo stamme. Das wäre also
*) A. Trembley, Mémoires pour servir à l’histoire d’un genre de Polypes d’eau douce. Leyden 1744, S. 209 ff.
„Polype à pennache.“
**) In einem Brief an Bonnet, s. dessen Considérations sur les corps organisés. Amst. 1762. II. éd. 1768,
t. II, p. 132.
***) Réaumur, Mémoires pour servir à l’histoire des Insectes. Amst. 1748, t. VI, Préface p. 91 : „Nous avons observé
M. Bernard de Jussieu et moi que les polypes d’eau douce à pennache . . . pondent des oeufs bruns, et un peu
applatis. Nous avons vu naître des petits de ces oeufs.“
****) Monograph S. 40.
t ) 1. c. S. 38.
f t ) Arch. f. An. u. Phys. 1868.
f f t ) Zool. Anz. 1880. S. 208 f.
-vermuthlich die Function des inneren Knospenblattes gewesen. Indessen fehlte in dieser Hinsicht noch
jeder sichere Nachweis. Hieran wurde wenig geändert durch die Mittheilung Kraepelins *), „dass auch
die Statoblasten aus den b e i d e n Schichten des Funiculus (und somit indirect der Leibeswandung) angelegt
werden, und dass ein Theil des hierzu verwandten Ectoderm die Chitinschale, ein anderer direct die
•äussere Schicht der Leibeswand des Statoblastenembryonen bildet.“ Was war hier Hypothese und was
war Beobachtung? Inwiefern war es bewiesen, dass der Funiculus wirklich aus beiden Blättern bestehe,
wo und wie war das Ectoderm an seiner Bildung betheiligt ? Darauf gerade kam es an, und dieser
Nachweis blieb nach wie vor zu erbringen übrig. Denn dass der Funiculus nicht schon an und für
sich zweischichtig sei, das war durch Nitsche festgestellt und seither von Niemandem widerlegt worden.
Vielmehr wurde es bald noch besonders für Gristatdla bestätigt, und Verworn, der die schwierige Aufgabe
hatte, der Meinung Kraepelins auf die Spur zu kommen, erwog nun die Möglichkeit, dass der
Funiculus auch durch E i nw a n d e r u n g mehrschichtig werden könne. Er erörterte allen Ernstes die
Frage, ob die Einwanderung vom inneren Epithel des Magens oder vom Ectoderm der Sohle ausgehend
zu denken sei.**) Den Thatsachen entsprechend musste er beides verneinen, und das führte ihn denn
a priori zu dem Resultat, dass die Statoblasten „ p a r t h e no g en e t i s ch e Wi n t e r e i e r “ seien,
„welche sich im Gegensatz zu den befruchteten Eiern am Funiculus entwickeln.“ Auch durch
die bei der Statoblastenbildung beobachteten Vorgänge meinte er diese Ansicht begründen zu können.
So standen sich nun die beiden Auffassungen schroffer als je gegenüber, .und eine nochmalige
Untersuchung war dringend geboten. Sollte sie von Erfolg sein, so musste sie den Statoblasten entweder
auf eine einzige Zelle, das Ei, wie es Verworn gesehen zu haben behauptete, zurückführen oder seine
Herkunft aus beiden Knospenblättern durch directe Beobachtung nachweisen.
Ich glaube, dass mir das letztere gelungen ist.
Zur allgemeinen Orientirung wolle man zunächst den Taf. XI, Fig. 133 abgebildeten Funiculus
eines erwachsenen Thieres von Plum. fruticosa in Betracht nehmen. Bei o war derselbe an der Leibeswand,
bei p am Magen befestigt. Der älteste Statoblast I liegt dem Magen am nächsten, von da ab
folgen in regelmässiger Abstufung die jüngeren. V—VII sieht man dicht an einander gerückt, VII und
VIII nur noch unvollkommen getrennt, und der letzte scheint sich von dem keulenförmig verdickten
Ende des Funiculus, wie von einem Keimstock, abzuschnüren. An Fig. 134 kann man dasselbe beobachten.
Wenn überhaupt, so muss auf Grund einer sorgfältigen Untersuchung des Keimstocks die Frage
nach der Natur der Statoblasten zu entscheiden sein. Ist der Statoblast von Hause aus zweiblättrig, so
müssen seine Constituenten auch im Keimstock vertreten und auf die Elemente der Knospe zurück-
führbar sein.
*) Tageblatt der 59. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte 1886, S. 133 f.
**) Man sieht auf was für sichern Beobachtungen die Angaben beruhen müssen, die sich in solcher Weise
deuteln und drehn lassen, und welch ein Gewinn sie für unser Wissen sind! Nichtsdestoweniger meint Kraepelin die
Statoblastenfrage damit entschieden zu haben. In einer liebenswürdigen Entgegnung auf meine erste Mittheilung im
Zool. Anz. scheint er meine Untersuchungen nur für Brosamen zu halten, die von der reichbesetzten Tafel seiner eigenen
Weisheit gefallen sind.