Andererseits dürfen wir mit Sicherheit annehmen, dass der grösste Theil der Larven von Grund-
thieren pelagische Lebensweise führt und da ist die Möglichkeit durchaus nicht ausgeschlossen, dass auch
sie in Regionen gelangen, wo das Sonnenlicht voll auf sie einwirkt, ehe sie sich wieder in ewiges Dunkel
zurückziehen.
Doch führen uns solche Betrachtungen bereits zur Darlegung einer sehr bemerkenswerthen Lebensäusserung
der pelagischen Thierwelt, welche ich im folgenden Kapitel ausführlich erörtern will.
2. Ueber das periodische Auf- und Absteigen pelagischer Thiere,
Eine der überraschendsten Wahrnehmungen war für mich die Thatsache, dass pelagische Thiere,
welche während des Winters und der Frühjahrsmonate die Oberfläche bevölkern, mit Beginn des Sommers
nicht nur geringere Tiefen aufsuchen, sondern bis auf den Grund des Oceans über 1000 Meter tief herabsteigen.
Kein Ort ist freilich günstiger zur Constatirung dieser Thatsache als der Golf von Neapel. Seit
Jahren wird in der zoologischen Station über das Erscheinen und Verschwinden pelagischer Thiere an
der Oberfläche Protokoll geführt. Die Listen S c h m i d t l e i n s 1) und die hoffentlich bald veröffentlichfön
Aufzeichnungen von S a l v a t o r e lo Bi a n c o geben über die Erscheinungszeit einer ganz stattlichen
Reihe derselben Aufschluss. Aus diesen sowohl, wie aus- den zahlreichen Erfahrungen der einzelnen
Beobachter, welche längere Zeit hindurch mit dem Studium pelagischer Thiergruppen sich beschäftigten,
geht hervor, dass etwa gegen Ende Mai die Zahl der pelagischen Thiere sich auffällig zu verringern
beginnt, dass ganze. Gruppen von der Oberfläche verschwinden, um erst mit Beginn des Winters und im
Frühjahr wieder zu erscheinen. Nur wenige, im letzten Kapitel zu besprechende Formen sind es, welche
man im Laufe des Sommers an der Oberfläche antrifft.
Ich will nicht auf die mehrfach geäusserten Vermuthungen über den Verbleib der pelagischen
Fauna während des Sommers eingehen, da ja die Frage durch meine Beobachtungen eine einfache Lösung
gefunden hat. Ich war bereits 1877 auf die durch das bekannte Aufsteigen pelagischer Thiere während
der Nacht nahe liegende Idee gekommen, dass sie im Sommer die Tiefe aufsuchen möchten. Um dem
Verbleib mancher Ctenophoren nachzugehen, fischte ich in einer .Tiefe bis zu 100 Metern und es gelang
mir Formen aufzufinden, so Beroe ovata und Larven des Cestus, welche damals im Hochsommer an der
Oberfläche fehlten2). Auch Mo s e l e y 8) mit seinem reichen Schatz von Erfahrungen, die er auf dem
' ») R. S c h m i d t l e i n , Vergleichende Uebersicht über das Erscheinen grösserer pelagischer Thiere v on 1875—1877.
Mitth. Zool. Stat. Neapel, Bd. L, p. 119.
'*) C. C h u n . D ie Ctenophoren des Golfes von Neapel. Fauna und Flora des Golfes von Neapel, Bd. I, 1880,
p. 226—239. „Da noch andere Erklärungsversuche mir nicht ausreichend zu se in schienen, so kam ich auf die Vermuthung,
dass während der heissen Jahreszeit die Rippenquallen in die T iefe steigen möchten, um vie lleicht im sogenannten Fango ihre
Nahrung zu suchen. E s glückte mir in der That mehrmals, mit Schwebnetzen aus bedeutender Tiefe im Sommer 1877 Beroe
ovata und Larven von Cestus zu erlangen, welche weder an der Oberfläche zu bemerken waren, noch, wie. ich mich überzeugte,
in der Nacht und g eg en Morgen aufstiegen. Be i der Mühseligkeit und Umständlichkeit, m it denen d iese Versuche verknüpft
waren, konnte ich trotz vielfacher Wiederholung und Modification nur zu der allerdings begründeten Vermuthung gelangen,
dass nach einer Frühjahrsperiode reger Fruchtbarkeit die Larven b e i Beginn der heissen Monate in die Tiefe wandern, offenbar
sich von den mannigfachen im Fango lebenden kleinen Crustaceen nähren und zu ausgebildeten Thieren herangewachsen,
bei Beginn des Herbstes in Masse aufsteigen.“
°) H. N. M o s e l e y , Pelagic life. Address at, ijie Southampton meeting o f tlie Brit. Assoe. Nature, Vol. 26, 1882, p 561.
Challenger über pelagisches Thierleben sammelte, stimmt bei Erörterung meiner Befunde der Auffassung
bei d a s s solche periodische Wanderungen das. Verschwinden pelagischer Thiere von der Oberfläche
erklären möchten. Ich habe bei späterem Aufenthalt in Neapel regelmässig die Fangmethode in der
Tiefe angewendet, um mir Formen zu verschaffen, welche an der Oberfläche fehlten. Im Frühjahr 1886
gedachte ich systematisch diese Versuche zu betreiben, doch setzte bald die ungünstige Witterung ein
Ziel. Auch S a l v a t o r e lo Bi a n c o , ein trefflicher Kenner der marinen Thiere, fischte gemeinsam
mit Dr. R a f f a e l e während des Juni und Juli 1886 in einer Tiefe, von 60—100 Metern, mit der Absicht,
die Larven von Grundfischen zu erbeuten. Dabei geriethen wiederum pelagische Thiere — vor Allem
kleinere Crustaceen und Larven von Dekapoden —- in das Netz, welche an der Oberfläche fehlten. Solche
Resultate bestärkten auch bei ihm, wie er mir erzählte, die Vermuthung, dass die Oberflächenformen mit
Beginn des Sommers in die Tiefe steigen möchten.
Darauf freilich, dass ein Niedersinken in die grössten Tiefen stattfinden würde, war ich um so
weniger vorbereitet, als ja die Beobachtungen M u r r a y ’s 1) auf dem Challenger und die oben erwähnten
Experimente von Agass i z ein Absteigen über 100 Faden Tiefe in Abrede stellen. Und doch ist es im
Mittelmeer das weitaus grösste Contingent der pelagischen Thierwelt, welches die Tiefen aufsucht. Vertreter
aller pelagischen Gruppen treffen wir noch unter 1000 Metern'an: Radiolarien sowohl, wie craspedote
Medusen, Siphonophoren, Ctenophoren, Sagitten, Tomopteriden, Aleiopiden, Copepoden, Ostracoden,
Schizopoden, Cephalopoden, Appendicularien, Pyrosomen, Salpen und Fischlarven. Ich verweise in dieser
Hinsicht auf die im speziellen Theil enthaltenen Angaben und mache hier nur darauf aufmerksam, dass
eine gewisse Vorliebe für einzelne Regionen bei manchen Formen deutlich hervortritt. -So trifft man die
Squüla-bBxvm am häufigsten zwischen 50—-100 M. Tiefe, die symmetrischen Larven der Platessen und
die Euphausia peüucila zwischen 100—500 M., die Stylocheiron- und Nematoscelis-Avtm, die durchsichtigen
kleinen Cephalopoden und die drei Spirialis-Arten erst unterhalb 500 Meter bis in die grösseren Tiefen.
Andere wiederum zeigen, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, eine exquisite bathymetrische Eneigie,
insofern sie von geringeren Tiefen an bis zu den grössten erforschten ziemlich gleichmässig vertheilt sind.
Unter diese gehören die Globigerinen, manche craspedote Medusen, Apolemia uvaria, Cestus Veneris, die
Sagitten, Tomopteriden und Aleiopiden, Pkronimella elongata, die bisher bekannten Appendicularien und
Pyrosomen. Endlich erscheinen auch Formen, so z. B. Salpa democratica, Diphyes Sieholdii und Euphausia
pellucida gleich zahlreich von der Oberfläche an bis zu den grössten Tiefen.
Ich enthalte mich weiterer Verallgemeinerungen, da aus Beobachtungen, die sich nur auf zwei
Monate erstrecken, nicht mit Sicherheit auf die vertikale Verbreitung während eines ganzen Jahres
geschlossen werden kann. Zudem ist ja für eine grosse Zahl von charakteristischen Familien — ich erinnere
nur an die meisten Acalephen — der Nachweis über den Verbleib während des Sommers zu. führen.
Die systematische Durchforschung der tiefen Wasscrsci lichten verspricht eine wahre Fundgrube
für interessante biologische Beobachtungen zu werden. So will ich nur andeuten, dass gewisse Arten,
z. B. die Pyrosomen und Phyaophora lediglich im Larvenzustand im der liefe erbeutet wurden, während
die weitaus überwiegende Zahl pelagischer Thiere gleichzeitig als gcsehleciitsreifc Formen und als Larven
in den tieferen Schichten leben. Während jedoch die jungen Pyrosomen und Physophoren im Winter und
') J . M u r r a y . Voy. Chali. Narrative, Vol. I, p. 218.