Lebensweise das Interesse seiner Beobachter in Anspruch nehmen, und das um so mehr, als infolge des
spärlichen und sporadischen Auftretens es nur wenige Begünstigte waren, welche aus eigener Anschauung
das seltsame Wesen lebend beobachten und einer genaueren Untersuchung unterwerfen konnten.
Aus diesem Grunde finden wir denn auch in der älteren Litteratur nur verhältnismässig wenige
und durch lange Zeiträume getrennte Mitteilungen über das Leucochloridium vor; diese enthalten neben
vielem ungenügend Beobachteten und Irrigen, was durch die herrschenden wissenschaftlichen Anschauungen
der Zeit bedingt war, doch auch manches richtig und gut Erkannte und trugen so zur endlichen Erkenntnis
des wahren Sachverhaltes und der eigentlichen Natur des merkwürdigen Wesens das ihre bei. Jedenfalls
dürfte es sich verlohnen, vorerst in kurzen Zügen ein Bild von der Entdeckungsgeschichte unseres Leucochloridium
zu geben.
Ohne Zweifel hat man die von dem Leucochloridium hervoi’gerufene Auftreibung der Schnecken-
fühler schon seit langer Zeit gekannt: auf einem sehr alten Hallenser Kupferstiche fand Carus1), der denselben
von Nitzsch zur Ansicht erhielt, in freilich etwas roher Abbildung unter anderem auch eine Berasteinschnecke
gezeichnet, deren Fühler in der charakteristischen Weise durch mehrere der lebhaft gefärbten Schläuche des
Leucochloridium entstellt waren, so dass ein Zweifel an der wahren Natur dieser Abnormität sofort als
ausgeschlossen erscheinen musste. Das Alter dieses Bildes festzustellen war allerdings nicht ausführbar,
immerhin dürfte es doch kein allzu geringes gewesen sein.
Der erste, welcher von einer eigenen Beobachtung des Leucochloridium Mitteilung machte, war
August Ahrens8). Derselbe fand 1810 in der Döllnitzer Aue bei Halle, einer von der Elster durchflossenem
sumpfigen Waldniederung, wie er erzählt, eine Erdschnecke, Helix putris (Succinea put., Succ. amphibia),
in deren Fühlern vier dicke, buntgefärbte Schläuche in fortwährender, lebhaft stossender Bewegung sofort
in die Augen fielen. Ahrens nahm die Schnecke mit nach Hause, um sie dort weiter zu beobachten. Hier
erkannte er zunächst, dass die Schläuche nicht in den Hörnern des Tieres, wohl aber am Halse, gleichsam
am Rücken desselben ihren Wohnsitz haben.
Bei der nach dem bald erfolgten Tode der Succinea vorgenommenen Untersuchung der Schläuche
vermisst unser Gewährsmann zunächst die Anwesenheit von Apparaten zur Nahrungsaufnahme; weder Fress-
noch Saugwerkzeuge kann er mit seinen Sehgläsern auffinden, dagegen constatiert er die Anwesenheit eines
kleinen Schwänzchens am hinteren Leibesende.
Den Inhalt der Schläuche bilden Eier von blassgrünlicher Farbe, die etwas durchsichtig und mit
einem augenformigen Flecke versehen sind. Ein Platzen des einen Schlauches in Folge des Druckes, sowie
darauffolgendes Hervorquellen des Inhaltes glaubt er als Eierlegen in Anspruch nehmen zu müssen; ob aber
das ganze Individuum für eine Insectenlarve oder für einen Intestinalwurm zu halten sei, darüber kann er
sich nicht klar werden, obgleich ihm das Eierlegen an sich, sowie der Gegenwart der Eier überhaupt, mehr
für die Wurmnatur des fraglichen Gebildes zu sprechen scheint.
Zur genaueren mikroskopischen Untersuchung sandte Ahrens zwei Schläuche an Ramdohr8), der
das Ergebnis dieser seiner Untersuchung als Nachtrag zu der Ahrens’schen Beschreibung veröffentlicht.
') C. G. Carus. Nov. Act. Curios. Vol. XVII. P. 1. 1887. pag. 91. Beobachtung über Leucochloridium par. etc.
2) August Ahrens. Magazin der Gesellschaft naturf. Freunde. Berlin 1810. pag. 293. Tab. IX. Fig. 19.
®) Ramdohr. Mag. der Gesellsch. naturf. Freunde. Berlin 1810. pag. 295.
Auch er konnte an dem Schlauche weder Nerven, Darm, noch sonstige Organe, eben so wenig wie Mund-
resp. Fresswerkzeuge auffinden, überzeugte sich aber, dass derselbe keine Insectenlarve sei, sondern ein
Wurm. Die im Inneren enthaltenen Gebilde werden von ihm ebenfalls für Eier erklärt. Den neuen Wurm
zu benennen, sowie ihm einen Platz im System anzuweisen, überlässt Ramdohr Ahrens als dem Entdecker;
doch scheint letzterer dies nicht getlian zu haben, da sich ein Jahr später in einem Referate Okens1) über
den Fund Ahrens’ kein Name für das Tier findet, welches nach Okens Ansicht wahrscheinlich in die Sippschaft
von Echinorhynchus gehören soll.
Dementsprechend führt auch Rudolphi1) in seiner Entozoorum Synopsis den Wurm ohne Namen
unter der Rubrik Entozoa vel generis dubii vel fictitia auf.
Seine Taufe als Leucochloridium paradoxum erhielt unser Parasit erst von Carus“), welcher im
Jahre 183% ohne von dem Ahrehs’schen Funde Kenntnis zu haben, auf einer bewaldeten Elbinsel eine
infizierte Succinea entdeckte, die er/einer näheren Untersuchung unterwarf.
Die Resultate, zu denen Carus gelangte, waren schon weitergehend und genauer, als die seiner Vorgänger/
Zwar hielt- er noch immer den. Inhalt der Schläuche/für Eier, erkannte1 aber, dass die Embryonen
in denselben Distömen waren, sowie, dassi diese sich auf verschiedenen Stadien der Entwicklung befanden;
an den älteren und ausgebildeteren Individuen wurden bereits deutlich das Expretionssystem, sowie im
hinteren Körperteile rundliche Organe erkannt, über deren Natur |« s sind Geschlechtsdrüsen) Carus jedoch
im Zweifel blieb.
Des weiteren wurde Änstatiert,, /dass die jungen Distomen von ihren angeblichen Eihallen nicht
blos umgeben waren, sondern mit ihnen sich in einem entschiedenen genetischen Zusammenhänge befanden.
Als Keimstätte für die Eier glaubte Carus den vorderen Teil des Schlauches in Anspruch nehmeh
//zu müssen, da er dort, wo die grünen und weissen Bänder zusammenstossen, kleine sammetartige, weisse
Wülste beobachtete, die als pilzartige Körperchen der Wand aufsitzen sollten. Ausserdem stellte er fest,
dass der Schlauch nicht mit einem Schwänzchen endigte, wie Ahrens glaubte^ sondern/ in Verbindung stand
mit einem „Convolut unregelmässiger Röhren mit ästigen Enden“, welche ebenfalls /Eier enthielten und vermutlich
Entwicklungsstadien der grosseh/Schläuche repräsentierten.
Bei -der Beurteilung def eventuellen Abstammung und Entstehung||gne8 parasitischen Convoluts von
Schläuchen in der Leber der Schnecke wird Carus von der zu jener Zeit herrschenden Theorie der Generatio
aequivoca beeinflusst; nach seiner Ansicht entsteht jenes Gebilde aus der Leber, wie er sich ausdrückt, „durch
parasitisch» Selbstzeugung in Folge eines Uebermasses. von bildender Kraft im Schneckenkörper.“
Bemerkenswert ist es übrigens, dass in Bezug auf die Systematik Carus dem Leucochloridium,
trotzdem er die unzweifelhafte Distomennatur seiner Brut erkannt hatte, in der Nähe der Eehinorhynchen
. eine Sonderstellung anwies, an einem Orte. also, wohin bereits Oken unseren Wurm gestellt wissen wollte.
Einen fcedeutsamen Schritt weiter thut Wiegmann1), der in einem Referate über die Fortschritte der
Zoologie im allgemeinen diesen Carus’schen Ansichten sich anschliesst, aber gewichtige Bedenken dagegen
q Oken; Isis. Encyclopädische Zeitschrift. Jena 1818. 1. Bd. pag. 1467.
2) Rudolphi, C. A. Entozoorum Synopsis. 1819. pafe. 568.
3) Carus, C. G. Nov. Act. Natur. Cur. Vol. XVII. P. 1- 1837. pag. 87.
*) Wiegmanns Archiv für Naturgeschichte. Bd. L pag. 334. 1835.