in den vom Wasser absorbirten Gasen in den Tiefen des Mittclmeeres bedeutend höher ist als in dem
Ocean und umgekehrt der Gehalt an Sauerstoff bedeutend geringer1).
Der Grund zu so auffälligen .Temperaturdifferenzen zwischen Mittelmeer und Ocean liegt in der
Trennung beider durch die unterseeische Barriere in der Meerenge von Gibraltar, welche nur eine
Mischung der oberflächlichen Schichten gestattet und den Eintritt der kalten polaren Grundströme verhindert.
Da die Angaben über die Tiofenverhältnisse in der Meerenge in den geographischen Handbüchern
vielfach ab weichen (die genauesten Daten giebt B o g u s law s k i im Handbuch der Oceanographie
Bd. I., 1884, p. 91), so wendete ich mich an meinen Freund C o lom b o , der als Marineofficier an den
Lothungen des „Washington“ betheiligt war und mir bereitwillig die Befunde desselben zur Verfügung
stellte. Hiernach ergibt sich die Meerenge an einer Stelle bedeutend flacher, als man bisher angenommen.
Fast genau in der Mitte zwischen.Cap Spartel und Cap Trafalgar wurden nur 45 Faden (82 Meter)
gelothet. Von hier aus fällt nach beiden Seiten der unterseeische Rücken ab; in der Mitte der Meerenge,
östlich der Linie Cap Spartel—Cap Trafalgar, betrug die geringste gelothete Tiefe nach jener von
45 Faden bereits 152 Faden (278 Meter).
Da also eine relativ geringe Erhebung von 90 Metern genügen würde, um das Mittelmeer vollständig
vom Ocean abzuschliessen, so liegt es auf der Hand, dass eine pelagische Tiefenfauna des Oceans
seit Existenz des unterseeischen Rückens keine Mischung mit derjenigen des Mittelmeeres eingehen konnte.
Es war mir somit fraglich, ob überhaupt im Mittelmeer eine pelagische Tiefenfauna existiren möchte,
denn der von mir 1877 erbrachte Nachweis über das Niedersinken an der Oberfläohe erscheinender
Thiere bis in eine Tiefe von 100 Metern stimmt ja völlig mit den Beobachtungen A. A g a s s iz ’s überein
und lässt keinen Rückschluss auf das Vorkommen einer Fauna in den tiefen Schichten zu. Wie A g a s s iz
eine pelagische Fauna unterhalb der Hundertfadenlinie in Abrede stellt, so hält es denn auch C a r p e n t e r
(1. c. p. 588) für unmöglich, dass im Mittelmeer thierisches Leben tiefer als 200 Faden hinabreiche.
„I am disposed to believe, that in the Mediterranean Basin the existence of Animal life in any abundance
at a depth greater than 200 fathoms will be found quite exceptional; and that, without pronouncing its
depths to be absolutely azoic, we may safely assert them to present a most striking constrast, in respect
of Animal life to those marine Paradises which we continually met with in the Eastern and Northern
Atlantic at depths between 500 and 1200 Fathoms.“ Ca r p en t e r drückt sich mit Recht vorsichtig aus,
denn die Befunde des Ingenieurs J e n k i n g (1860) an dem Kabel zwischen Cagliari und Bona und einzelne
Thierformen, welche die „Porcupine“ aus grösserer Tiefe dretschte, waren ihm nicht unbekannt.
Die Entdeckungen des „Travailleur“ und die schönen Untersuchungen Gi g l i o l i ’s mit dem „Washington“
haben denn auch für das Mittelmeer die alten Anschauungen von Fo r b e s über den Mangel des Thierlebens
auf dem Meeresgründe zu Grabe getragen.
Ich glaube denn, dass nun auch der von mir erbrachte strikte Nachweis von der Existenz einer
pelagischen Tiefenfauna einiges Interesse darbieten wird. Als ich zum ersten Male am 9. September acht
*) D ie Untersuchungen C a r p e n t e r ’ s (1. c. p. 586) bedürfen durchaus einer Prüfung nach Proben aus verschiedenen
Tiefen. Es scheint mir kaum glaublich, dass bei 60®/o CO*, 5°,'o O und 25"/o N im Mittelmeer ein reiches Thierleben in der
Tiefe zu existiren vermag.
Ueber die procentuale Zusammensetzung der im Seewasser absorbirten Gase vergl. die Tabelle in Murray: Rep.
Challenger. Narrative Vol. ü . , p. 997.
Scomeilen westlich von den Ponza-Inseln aus 1300 Meter Tiefe das Netz zog, da war die Ucberrasehuirg
über den geradezu erstaunlichen Reichthum der Tiefe an pelagischen Formen nicht gering. Kleine
craspedote Medusen, Venusgürtel, Diphyiden, Tomopteriden, Sagitten, Alciopiden, zahllose Copepodcn,
die Stylocheiren, Larven von Dekapoden, Appendieularien, Pteropoden und kleine durchsichtige Ccphalo-
poden: das Alles drängt und treibt sich in regem Gewinnnel durcheinander. Bedenkt man, dass das
Netz auf das Geradewohl in die Tiefe herabgelassen wird, während man an der Oberfläche nur auf
ergiebigen Fang in den Strömungen (correnti) rechnet, so muss die Massenhaftigkeit des thierischen
Lebens in der Tiefe in hohem Grade überraschen. Wer weiss, ob nicht im Laufe der Zeit unsere Anschauungen
einem völligen Umschwung entgegengehen und ob nicht gerade die Tiefe als der eigentliche Mutterboden
pelagischen Thierlebens sich herausstellt, von dem zeitweilig Selrwänne sowohl an die Oberfläche, wie auf
den Meeresgrund entsendet werden! Nur wenige Formen sind es ja, die so vollständig den wechselnden
Existenzbedingungen an der Oberfläche sich anpassten, dass sie nicht mehr die tieferen Schichten aufsuchen.
Ich enthalte mich allerdings weiterer Schlüsse aus Beobachtungen, die nur über zwei Monate sieh
erstrecken, aber ich will doch hervorheben, dass Dr. B r a n d t und v. P e t e r s e n , die auf meine Bitte
hin noch im Januar vor Capri in der Tiefe fischten, eine auffällige Abnahme in der Quantität nicht con-
statiren konnten. In dem von ihnen übersendeten Material fand ich fast durchweg dieselben Arten
wieder, die ich Ende des Sommers erbeutet hatte.
Auch im freien Ocean muss die Quantität in der Tiefe lebender pelagischer Thiere eine enorme
sein. Wenn man bedenkt, dass auf langen Strecken im Pacifischen Ocean fast ohne Ausnahme an der
Lothleine Siphonophoren hafteten (Chierchia 1. e. p. 85), die ihrerseits die Coexistenz von kleineren Nähr-
thieren voräussetzen, so lässt die Häufigkeit solcher, mit den denkbar ungünstigsten Mitteln erbeuteter
Formen auf einen ungeahnten Reichthum schliessen.
Mit solcher Erkenntniss findet freilich die Frage nach der Ernährung der am Grande lebenden
Tiefseethiere eine einfache Lösung. Es sind ja nicht die grossen Tiefen, in denen das thierische Leben
sich üppig entfaltet, sondern im Allgemeinen eine Zone zwischen 800—2000 Meter, welche die unterseeischen
Paradiese birgt, von denen Cä r p e n t e r spricht, und die Wälder von Crinoiden, welche die
Dretsche des „Blake“ durchfurchte. Auch ohne die Resultate aus dem Mittelmeer einfach auf den Ocean
übertragen zu wollen, so deuten doch die eben angeführten Beobachtungen darauf hin, dass es nicht das
schlechteste Nährmaterial ist, welches den Tiefseethieren zukommt. In solcher Tiefe leben gewiss pelagische
Thiere in derselben Massenhaftigkeit wie an der Oberfläche und es braucht nicht ein im Vergleich zu
der staunenswerthen Fülle von Grundthieren geringfügiger Regen von abgestorbenen Leibern zu sein, der,
wie das Manna den Juden in der Wüste, von oben kommend, zur Ernährung dient.
Jch brauche wohl kaum ausdrücklich zu betonen, dass unsere Vorstellungen über die allmälige
Besiedelung, des Meeresgrundes mit einer stattlichen Fülle von Thierformen nun auch eine greifbare
Fassung gewinnen. Während man bisher lediglich eine langsame Einwanderung aus seichtem Wasser
von den Küsten aus annahm, so dürfte doch eine mindestens ebenso ausgiebige Bevölkerung direkt in
vertikaler Richtung von Seiten der pelagisch lebenden Thiere stattgefunden haben. Pelagische Larvenformen
sowohl wie ausgebildete Thiere mögen sich dem. Leben aut dem Grande angepasst haben, da sie
ja gelegentlich bis auf den Meeresgrund niedersinken, ohne abzusterben.
C. C h u n , die pelagische Thierwelt.