schied gegenüber den Lateralknospen zeigt sich nur insofern, als die Medianknospe mit ihrem distalen
Ende etwas nach hinten, strebt, während jene in Folge der engem Verbindung mit der Mutter sich
mehr nach vorn wenden mussten (vgl. Taf. VI, Fig. 82, B':C). Die Stellung, welche die Medianknospe
zu ihrer ersten Tochter späterhin einnimmt, ist ganz in die Hand des Zufalls gegeben und berechtigt
nicht zur Formulirung einer bestimmten Regel.
Mit der Erzeugung ihres zweiten Tochtersprosses hat die Primärknospe ihr überschüssiges Material
in den meisten Fällen verausgabt. Was ihr verbleibt, findet beim Aufbau des jungen Polypids seine
Verwerthung. Nur die obersten Halszellen tragen noch ferner zur Ergänzung der Leibeswand bei,
deren jüngst entstandene Theile gleichfalls fortfahren sich auszudehnen, was denn zur Folge hat, dass
die Tochterknospen sowohl von einander, als von der Mutterknospe sich immer weiter entfernen
(Taf. III, Fig. 46).
Es ist aber theoretisch nicht einzusehen, warum jede Knospe ausschliesslich und immer nur für
zw e i jüngere das Material sollte liefern können. Es wäre ja denkbar, dass gegebenenfalls die überschüssigen
Baustoffe zur Anlage einer zweiten Tochterknospe nicht mehr hinreichten, oder dass sie
andrerseits in so reichem Maasse zur Verfügung ständen, dass der zweiten eine dritte und dieser eine
vierte Knospe noch folgen könnte. Und in Wirklichkeit scheinen beide Fälle nicht unerhört zu sein.
Die Fig. 58, Taf. IV, welche einer alternden Herbstkolonie (28. Oct. 88) entnommen ist, lehrt, wenn
man sie etwa mit Fig. 57 vergleicht, schon auf den ersten Blick, wie spärlich hier die Knospung geworden
ist und wie langsam sie fortschreitet, da wir aus der Region der voll ausgebildeten Polypide —
die Mehrzahl derelben ist bereits im Verfall begriffen —-- fast ohne Vermittlung zu den jüngsten Knospen
hinabsteigen. Ist es nun auch wahrscheinlich, dass dies Verhalten in erster Linie auf dem Einfluss der Temperatur
beruht, und mag immerhin unter natürlichen Verhältnissen die Kolonie niemals dazu gelangen, sich ganz
zu verausgaben, so ist es für uns doch bedeutsam, dass der einzelne Spross oft nur noch fähig ist, ein
einziges Tochterindividuum zu produciren (z. B. die mit A B bezeichneten Glieder), dass typische
Doppelknospen fast gänzlich fehlen, und ein allgemeines Nachlassen der Fortpflanzungsenergie sich
geltend macht. Sind aber, wie gesagt, hier wohl die äusseren Umstände massgebend gewesen, so kann
dieser Verdacht im entgegengesetzten Fall, bei gehäufter Knospung, gar keinen Raum finden. Es unterliegt
keinem Zweifel, dass die ersten Polypide des Stockes eine grössere Zahl von Tochtergenerationen
hervorbringen, als es später die Regel ist, und dass nicht 2, sondern 3, 4, ja 5 Individuen unmittelbar
aus dem Material der nämlichen Knospe entspringen können. Im Jugendalter der Kolonien empfängt
jede Knospe ihr Material gleichsam aus erster Hand. Die Zellen sind da noch nicht in vielfältigem
Wandel von Geschlecht zu Geschlecht weitergegeben, sie haben verhältnismässig erst eine geringe Arbeit
zu leisten gehabt und um so mehr müssen sie geneigt sein, eine lebhafte Thätigkeit zu entfalten. In
Fig. 48—50 auf Taf. III sind drei Stöckchen, welche seit Kurzem den Statoblasten verlassen haben, im
Grundriss dargestellt. Der ausschlüpfende Embryo (Fig 47) besitzt nur 1 voll entwickeltes Polypid, 2
andre von ungleichem Alter stehen als Knospen zur Linken und Rechten desselben. Diese ältesten
Individuen des Stockes, auf deren Entstehung wir später noch besonders eingehen müssen, leiten ihren
Ursprung direct aus dem embryonalen Material des Statoblasten her, so zwar, dass auch sie in enger
gegenseitiger Verbindung auftreten, also füglich als Abkömmlinge einer gemeinsamen Anlage aufzufassen
sind; wie denn sowohl ihre Anordnung im Raum, als auch die Abstufung im Alter den Gedanken nahe
legt, dass sie in einem ähnlichen Verhältnis zu einander stehen mögen, wie wir es sonst als charakteristisch
für Cristatella kennen gelernt haben. Demgemäss sind sie in den Figuren als A, B und B' bezeichnet
worden; In Fig. 48 sind sie bereits alle drei ausstreckbar. Das Polypid B' hat ohne Zweifel
•3 Tochterindividuen, C—C2, und mehrere Enkelknospen hervorgebraeht, und ganz dasselbe ist für B
und A wahrscheinlich, wenn auch in unserm speciellen Fall die Beobachtung unsicher blieb. Gewöhnlich
zeigt der Embryo schon wenn er die Schalen abwirft, an der Oralseite des Primärpolypids A eine dritte
‘Tochterknospe, B2, neben B und B', und in Fig. 49 scheint dieser noch eine vierte, B8, an die Seite getreten
zu sein, während B und B' je drei Knospen erzeugt haben. Für die letzteren gilt auf dem weiter
vorgerückten Stadium Fig. 50 das nämliche. Aber zu den directen Sprossen von A dürfte ein fünfter,
B4, hinzugekommen sein, der sich, nachdem die Geschwister seitwärts gerückt sind, nun in die Mediane
vor die Mutterknospe gestellt hat.*)
Auch bei der geschlechtlich entwickelten Larve ist diese gesteigerte Vermehrung der Knospen
nachweisbar. (Taf. IV, Fig. 59, B und B' mit je 3 Nachkommen.) .
Ziehen wir nun unsere früheren Erfahrungen in Betracht, so müssen wir'annehmen, dass nach
Absetzung der zweiten Tochterknospe B' noch genug von dem embryonalen Material der Mutter erübrigt
ward, um nicht allein die Kolonialwand kräftig zu unterstützen, sondern auch neuen Sprossgenerationen
das Leben zu geben. B' würde ähnlich wie B zur. Seite der Primärknospe seinen Platz finden, und vor
dieser, aber in grösserer Entfernung, würden B2 und eventuell noch B8 und B4 als Medianknospen auftreten.
Natürlich würden diese noch isolirter dastehen, als wir es für B' gesehen haben, indem ja die
-ändern Zellen unterdessen Zeit gewannen, am Aufbau der Leibeswand mitzuwirken und möglicherweise
ganz in dieselbe überzugehen. Sie würden dann, ähnlich wie die „Adventivknospen“ der Pflanzen, scheinbar
selbständig an den ältörn Geweben auftauchen, und nur ihre Lage würde den Ursprung aus der
Mutterknospe andeuten. Dies wird durch Schnitte der jungen Stöckchen vollauf bestätigt. Man bemerkt
dort, dass die Theilknospen sich rascher als sonst von einander entfernen (Taf. VI, Fig. 85), und dass
oft ganz primitive Sprossen — eben jene Adventivbildungen — isolirt an der Leibeswand sitzen (Taf. VII,
Fig. 86—88), ohne dass embryonale Zellen, wie etwa in Fig. 89 u. 90, die Verbindung mit älteren
Knospen hersteilen. In solchen Fällen markirt sich inmitten des ectodermalen Theils der Anlage
ziemlich deutlich ein Zellcomplex (K), welcher in die beginnende Vorstülpung des mesodermalen Blattes
zuvörderst eindringt, und der allein das innere Blatt der Knospe zu liefern scheint. Wo die Anlage
median getroffen ist (Fig. 88), liegt dieser Complex, in dem bald eine regelmässige Anordnung der einzelnen
Elemente Platz greift, so, dass er dem Rande der Kolonie zustrebt, von der Primärknospe dagegen
sich abw;endet, und diese Orientirung. deutet schon auf die Bildung der Tochterknospe hin, die
-aus den am weitesten vorn (Fig. 88 bei k) gelegenen Zellen ihren Ursprung nimmt. Das oberhalb der
erwähnten Zellgruppe befindliche embryonale Material (R), welches man in Fig. 88a,. wo ein der Fig. 88
gleiches Stadium annähernd frontal getroffen ist, fast gleichmässig über der jungen Knospe ausgebreitet
sieht, liegt seiner Hauptmasse nach an der Analseite der letzteren (Fig. 88), also der Mitte der Kolonie
und den älteren Knospen zugekehrt. Seine nächste Aufgabe ist, das Ectoderm der Leibeswand zu
*) Es wäre jedoch nicht unmöglich, Bs zur Nachbarknospe C zu ziehen,' wobei denn für A nur 4 Tochterknospen
übrig blieben.
Bibliotheca zoologica. Heft VI. 4