Speeieller Theil.
A. Miiaetische Anpassung zwischen Bliithcnpflaiizen.
Da die Hauptfunction der Blüthe die Bildung des Samens ist, kann man ihre abenteuerliche Form
bei manchen Orchideen, welche den geöffneten Rachen einer Schlange darstellen soll, kaum für ein Mittel
zum Anlocken der Insecten und zur Erzielung der Kreuzbefruchtung halten.
Nach einer Angabe von Be h r e n s , auf welche Herr Professor Dr. Asc h e r s o n mich aufmerksam
machte, dürfte die Form v. tetrandum (Cust. Flora, 1878, Nr. 15) von Cerastium semi-
dodecandrum L. eine mimetische Anpassung an eine von den Insecten stärker aufgesuchte Crucifere,
Cochlearia danica L., sein. Natürlich hat die Beobachtung zu entscheiden, ob die vierstrahligen Blüthen
des Cerastium in der That von Insecten in höherem Grade aufgesucht werden als die normalen.
B. Mimetische Anpassungen zwischen Vertretern des Thierreiches.
Unter den niederen Thieren sind mir keine sicheren Fälle mimetischer Anpassung bekannt geworden
und die zahlreichen nachgeprüften Analogieen in Form und Färbung, welche allerdings nur von
einzelnen Autoren als „Mimicry“ bezeichnet wurden '), liessen stets eine einfachere Erklärung zu.
Ebensc w en ig sind bisher annehmbare Beispiele von Mimicry unter den Crustaceen bekannt
geworden.2)
Dagegen entwickelt sich die schützende Anpassung an besondere, durch Waffen oder Immunität
vor Verfolgungen geschützte Modelle von Seiten geniessbarer, stark verfolgter und wenig fruchtbarer
Formen bei den Gliederthieren besonders unter den Classen der landbewohnenden Arachniden und Insecten.
Alle diese nachahmenden Formen leben im Freien und im vollen Licht des Tages: so wird es wahrscheinlich,
dass sich mimetische Anpassungen bei den Wasserthieren wegen der geringeren Durchsichtigkeit
des Mediums, welches sie bewohnen, weniger entwickeln konnten, zumal die meisten Wasserthiere
in hohem Maasse fruchtbar sind.
I. Mimetische Anpassung von Seiten der Arachniden.
Im Gegensatz zu der früher von vielen Seiten aufgestellten Behauptung, dass bestimmte Formen
von Käfern, Raupen etc. eine schützende Anpassung an Spinnen darstellten, muss ich entschieden betonen,
') Vergl. u. A. S ic a rd , Le Mimétisme. Paris 1888.
2) Anm. d. Heraus#. Unter dem Namen Mimonectes beschreibt C. B o v a lliu s XMimomct.es, a remarkable
genus of Amphipoda Hyperidea. Nova Acta Keg. Soc. Sc. Upsala 8. Ser. 1885; eine merkwürdig gestaltete kuglige
Hyperide, von welcher eine mimetische Anpassung an craspedote Medusen angenommen wird. Ob thatsächlich hier ein
Fall wahrer Mimicry vorliegt, dürfte indessen um so fraglicher sein, als Mimonectes, wie aus der Rückbildung der Augen
zu erschliessen ist, offenbar die dunkelen Tiefenregionen bewohnt und nur gelegentlich an die Oberfläche gelangt.
dass es kaum Arthropode« giebt, welche 1 höherem Maasse als die meist zartleibigen Araneiden den
Nachstellungen der Insectenfresser ausgesetzt sind. So lieben carmvnre Kerfe und insectenfressende Vögel
(Kolibris) diese fetten Bissen ganz besonders, und eine grosse Menge von Mordwespen (Pompilus, P n o -
cnemis Ageniu Pelopoeus, Trypoxylon etc.) trägt fest ausschliesslich als Nahrung für dre junge Brut
Spinnen in ihre Nester ein. Der interessanten Arbeit von E l i z a b e t h P e c k h a m ') entnehme ich die
weitere Angabe, dass nach F a b r e (Nouv. Souv. Entomol. p. 206) die Spinnen die „Champions toujours
vainous* der Pompiliden sind. Nach B e l t » ) jag t Pompilus polistoides Spinnen sogar aus dem Gewebe
heraus und Bates») erwähnt die mit gelähmten Gasteracanthen gefüllten Mordwespennester. Auch He r b .
S m i t h schrieb an E. 1’ e c k h a m , dass die Hauptfeinde der Spinnen die stechenden Hymenopteren sind,
und einige seiner besten Arten .aus Wespennestern stammen. Wie He n t z ca. 2 0 - 4 0 Spinnen in je
e i nem Neste von Sphex fand, beobachtete auch E. P e c k h am deren eine ähnliche hohe Zahl, meist aus
Epeiren bestehend. Auch durch insectenfressende Vögel leiden die Spinnen sehr; die Kolibris fressen
fast nuv Spinnen: nach G e n t r y nimmt Trochilus colubris zehnmal so viel Spinnen als andere Insecten,
und auch Be l t (1. c. p. 315) fand die Kolibrimägen voll von kleinen saftigen Spinnen. In der That ist
es von keiner Spinne bekannt, dass sie durch .seine nauseous taste or odour“ geschützt sei: so werden
auch keine Spinnen von anderen nachgeahult, wie E. P e c k h am (1. c. p. 103) richtig bemerkt.
Besonders die Familie der Attiden liefert ein interessantes Material für die Mimicry. Ihre
Angehörigen sind schon durch die auf den Boden etc. beschränkte freie Lebensweise und durch die langgestreckte
Körpergestalt vorwiegend zu zufälligen Anpassungen an flügellose stechende Hymenopteren
(Ameisen, Mutillen) befähigt. In der That leiden die Attiden auch besonders stark unter den Nachstellungen
der Spinnenfeinde, und endlich tritt ein weiterer wichtiger, für die Erhaltung der Art ungünstiger
Factor ein, welcher die Seltenheit der Individuen erklärt: die geringe Zahl der Eier. So legt nach
E P e c k h am (1 c p 75) die kleine, aiueisenähnliche Synageles plicata nur drei, dagegen der stärkste
Attide PIMippus morsituns, ca. 180 Eier. .Die kleine S. plicata ist vertlieidigungslos und nur durch
ihre Ameisenähnlichkeit geschützt. Eine Form mit so niedriger Geburtsziffer (birth-rate) kann sich nur
erhalten, wenn ihre Mortalität entsprechend gering ist.“ Ausser durch Gestalt und Färbung des Körpers
zeigt sich bei HÜB nach E. P e c k h am die Ameisenähnlichkeit noch in der Zickzack-förmigen
Bewegungsart, dem Aufgeben der Sprungfähigkeit und dem vorsichtigen Tasten des vordersten Beinpaares,
welches den Fühlerbewegungen der Ameisen entspricht. So kommen für diese Spinnen nur die besonderen
Feinde der Ameisen, besonders die am Boden sammelnden Erdspechte, in Betracht. Doch dürften gegen
diese neuen Gefahren vor besonderen Feinden der Ameisen die Vortheile bedeutend überwiegen welche
die Ameisenähnlichkeit den Spinnen gegen die zahlreichen allgemeinen Feinde ihrer Ordnung und besonders
Familie giebt, vor Allem gegen kleine Insectenfresser, gegen Attiden selbst die nach E. P e c k h am me
Ameisen nehmen, vielleicht auch gegen gewisse Pompiliden, welche ihre Eier - die Leiber lebender
Spinnen legen. Anscheinend wird Synageles im Freien von den Ameisen nicht belästigt. Auch J . M.
■I E. S. P e c k h am , Protective Resemblances .in Spiders. (Oec«. Papers of the Nat. Hist, ef Wisconsin, 1,
Milwaukee, 1889, p. 60—112.)
») Th. B e lt, The Naturalist in Nicaragua. London 1888, p. 188.
8) H. W. B a te s , The Naturalist on the River Amazonas etc., p. lob.