Gegen die besondere Widrigkeit der Raupen sprechen allerdings die sorgfältigen Beobachtungen
W. M ü lle r’s, der für die Raupe von Diäonis Biblis angibt, dass sie in den letzten Stadien eine Schutzstellung
annimmt und nur bei Nacht frisst. Die Raupe von Dynamine gleicht nach Demselben „einem
mit Drüsenhaaren besetzten Pflanzengebilde ;“ die von Gatagramma pygas gehört endlich wie die von
Adelpha und Eunica zu den Blattrippenbauern und ist sehr empfindlich gegen ungewöhnliche Einflüsse.
Sicher ist somit, zumal wir keinen Pall eines aus einer schmackhaften Raupe hervorgegangenen
immunen Schmetterlings, wohl aber das Gegentheil kennen, der Widrigkeitsgrad dieser NympHalinen-Falter,
wenn überhaupt nachweisbar, sehr gering.
In der That dürften aber vielleicht manche Aehnlichkeiten unter Nymphalinen verschiedener
Gruppen auf Anpassungen an Angehörige derselben Familie zurückzuführen sein. So erinnert in der
Gattung Apatura F., welche unsere „Schillerfalter“ enthält, eine Endform der indischen Vertreter, A . Pary-
satis Westw., in dem nach L. de N ie é v i ! l e sehr seltenen Weibchen etwas an die gemeine Ergolis
Meriones Cr. Dagegen ähnelt die nordindische A . Chevana Moore besonders im Weibchen auf der Oberseite
auffallend der häufigen Athyma opalina Koll.
Unter den neotropischen Apaturen erinnert bei A p. Seraphina Hb. Pavonii Humb. und Griseldis F.
das ebenfalls sehr seltene Weibchen durch die Oberseitenfärbung besonders der Yorderflügel an bestimmte
mit ihnen zusammenfliegende häufigere Arten von Athyma (Ath. Iphicla L., Basilea Cr., Erotia Hew. etc.)
In allen diesen Fällen scheint die als Modelle dienenden Arten nicht nur eine grössere Häufigkeit,
sondern auch ein gewisser Grad der Immunität auszuzeichnen. Letzterer dürfte wiederum durch die eigenartige
Raupennahrung bedingt sein. Denn die Larven gewisser indischer Arten von Athyma — über die
Raupe von Ath. opalina ist noch nichts bekannt — leben von Euphorbiaceen mit adstringirend wirkenden
Eigenschaften der Blätter (Antidesma [Stilago] und PhyUanthus). Ebenso leben die Raupen von Ergolis
auf Euphorbiaceen (Rhidnus und einer kletternden Tragia). Endlich lebt nach W. Mü l l e r wenigstens die
Raupe von Adelpha Erotia Hew. auf einer zu den allgemein adstringirend wirkenden Malpighiaceen gehörigen
Tetrapterys. Dagegen lebt die Raupe von Ad. Basilea nach demselben an GhalcophyJlum und die
von Ad. Iphicla an Bathysa (Rubiaceen).
F ü r einen gewissen Grad der Immunität bestimmter Arten dieser Adelpha-Gr. spricht auch die zuerst
von Dr. S t a u d i n g e r (Exot. Tagfalter, Seite 261) erwähnte Aehnlichkeit von zwei Eryciniden (Nymphidium
velabrum S. u. G. ? und Phliasus Cr.) mit ihnen. Dass dieser Immunitätsgrad aber nur gering sein kann,
beweisst das Blattrippenbauen der Raupen und die allerdings wenig ausgebildete Anpassung der Endformen,
A . Isis und Lara Hew., an die Tracht des Heliconius Melpomene L.
Von verschiedener, darunter auch von fach wissenschaftlicher, Seite aus wurde neuerdings noch der
Versuch gemacht, die Aehnlichkeit zwischen e i n e n Ort bewohnenden nicht näher verwandten Arten allgemein
auf den blossen Einfluss der gleichen „äusseren Verhältnisse“ oder „Lebensbedingungem“ zurückzuführen.
Dieser Deutung widerspricht aber, wie bereits A. S e i t z hervorhob 1),. der Umstand, dass diese
Aehnlichkeit sich in vielen Fällen bei der einen Form auf das Weibchen beschränkt, dessen Jugendstadien
doch genau unter denselben Verhältnissen aufwachsen wie die des anderen Geschlechts.
Schliesslich haben wir noch auf die Einwürfe von David S ym e s einzugehen. Wie wir einem kleinen
Aufsatz aus der Feder von A. R. W a l l a c e 2), welcher S ym e s Hauptwerk „Modification of Organismus“
*) A. S e i t z , die Schmetterlingswelt des Monte Corceovado (Stett. ent. Ztg.), S. 98.
*) Nature, vol. 45 (1892) p. 31.
bespricht, entnehmen, stellt S yme s überhaupt jeden Einfluss der Naturauslese auf die Mimicry in Abrede
und behauptet, dass die (zufällig besonders gefärbten oder gezeichneten) Insecten sich ihre Umgebung
suchen, um ihre eigenen Farben damit zu mischen. S yme s Argabe, diese ausserordentlichen Aehnlich-
keitsfälle beschränkten sich auf die Insecten, wurde schon von Wa l l a c e ibid. zurückgewiesen. An
S c h i l d e’sche Ideen erinnert die Auffassung1), dass diese „wehrlosen Geschöpfe Verstand genug haben,
um zu begreifen dass ihre Sicherheit darin liegt, dass sie Verfolgungen entgehen.“ Jeder aber, der
Schmetterlinge einmal beobachtet hat, weiss, wie unendlich gering ihre intellectuellen Fähigkeiten entwickelt
sind. Weiter kommt denn S yme s in seinem Aufsatze zu dem Schluss, dass wir nur anzunehmen
haben, ein Thier finde Sicherheit, indem es sich mit anderen Thieren associire, mit denen es eine gewisse
Aehnlichkeit habe, anstatt die Hilfe der Mimicry oder der Naturauslese anzurufen.
Dieser Einwurf enthält eine ja nie geleugnete Thatsache, die ebenfalls nur zur Begründung unserer
Deutung führt, zieht jedoch die E n tw i c k e l u n g d e r A e h n l i c h k e i t nicht in Betracht, welche eben
nur zu lösen ist durch die Annahme e i n e r n a t ü r l i c h e n A u s l e s e d e r d e n Mo d e l l e n i n v e r s
c h i e d e n s t em G r a d e a n g e p a s s t e n Va r i a t i o n e n , we l c h e i n a l l e n n a c hw e i s b a r e n F ä l l e n '
v o n d em f ü r d i e A r t e r h a l t u n g b e s o n d e r s wi c h t i g e n We i b c h e n a u s g i n g e n . Auch das Zusammenleben
der schmackhaften mit den Schwärmen der immunen z. B. neotropischen Tagfaltern ist nur
als eine im Dienste der Arterhaltung stehende T r i e b ä u s s e r u n g aufzufassen, die durch günstigen Zufall
entstand und als zweckmässig vererbt wurde, da sie bei der geringen intellectuellen Entwickelung gerade
der F alter unmöglich als vorbedachte und zweckmässig ausgeführte Handlung angesehen werden darf.
Die biologische Bedeutung der Mimicry im Thierreich.
Die verschiedenen Ziele, zu welchen mimetische Thierformen ihre schützende Verkleidung in meist
zweckentsprechender Anwendung triebgemäss ausnützen, laufen zwar allgemein auf den Endzweck der Arterhaltung
hinaus, sind aber doch in ihrer Verschiedenheit zugleich der Ausdruck ganz b e s t im m t e r
F o rm e n des Wettbewerbes unter den local concurrirenden Arten.
Den ersten Versuch, diese Anpassungen unter besondere biologische Gesichtspuncte zu bringen,
machte E. K ra u s e " 5) , indem er die Mimicry-Erscheinungen in N a c h a hm u n g e n 1) g em i e d e n e r ,
2) g e f ü r c h t e t e r , 3) a u s z u b e u t e n d e r Thiere unterschied. So wird K r a u s e ’s Eintheilung in den
ersten zwei Kategorieen durch eine schützende Eigenschaft der Modelle, in der dritten durch oekologische
Beziehungen zwischen Modell und Nachahmer bestimmt.
In allen diesen Fällen gehören die mimetischen Formen nach Kr a u s e relativ wehrloseren Abtheilungen
an als ihre Modelle, denn auch für die Nachahmung zwischen immunen Schmetterlingen vermuthet
derselbe eine Anpassung minder widriger an stärker widrige Formen, was wir im vorletzten Capitel zu
berichtigen suohten. Der dritten Kategorie K r a u s e ’s wären aber auch die Beispiele mimetischer Anpassung
von ausgesprochenen Raubthieren an ihre harmlosere Beute einzureihen.
- Eine andere Eintheilung stellte E. B. P o u l t o n auf. Nachdem Derselbe die Färbung der Thiere
in kryptische (Schutzfärbung) und sematische (Trutz-, Widrigkeits-, Ekelfärbung) geschieden, definirt er
|| D. S ym e s , Topical Selection and Mimicry ibid.
2) C. Sterne (E. Krause), Werden und Vergeben, 3. Aufl. 1886, S. 751—755.