Allgemeiner Theil.
Das natürliche System der Papilionen und seine Bedeutung
für die Mimicry-Theorie.
l| Historisches.
Die oft so überraschenden adaptiven Aehnlichkeiten zwischen Angehörigen verschiedener natürlichen
Gruppen von Papilio wurden, wie dies am nächsten liegt, zuerst für Zeichen allernächster Blutsverwandtschaft
gehalten. So sah noch 1840 ein W. d e H a a n , bestochen durch die in der That ziemlich
auffällige Uebereinstimmung in der Form und Färbung der Flügel, den als P. Eomulus L. längst bekannten
Falter, von dem er nur das Weibchen kannte, für das Weibchen von P . (Pharmacophagus) Sector L. an.
We iter deutete er zwei ersterwähnter Form in der That nahe verwandte ebenfalls weibliche Binnenfalter
als das andere Geschlecht der Aristolochienfalter Ph. Polyphontes Boisd. und Ph. Antiphus F.
Da wies A. K. W a l l a c e 1865 in seiner bekannten „Monographie der Papilioniden der malayischen
Begion“ überzeugend nach, dass P Eomulus L. eine weibliche Yarietät des P. Pavnmon L. und zugleich
eine Anpassungsform an den einer anderen Gruppe angehörenden P. (P h .) Sector L. bilde. Ebenso zeigte
er, dass die von d e H a a n als Weibchen von P. (P h .) Polyphontes Boisd. und P. (P h .) Antiphus F. abgebildeten
Falter das weibliche Geschlecht des (Binnenfalters) P. Thesexis repräsentiren und als Anpassungsformen
an die beiden genannten Arten (der Aristolochienfalter) anzusehen sind. Weiter stellte W a l l a c e
auch den Polymorphismus der Weibchen von P. Memnon L. endgültig fest und erkannte zugleich wenigstens
für die extremen, von den Männchen am meisten abweichenden, mit spathelförmigen Hinterflügelschwänzen
ausgezeichneten Varietäten der Weibchen, dass die insulare var. Achatiades Esp. eine Anpassungsform an
den mit P. Sector, P. Polyphontes und P. Antiphus zu e i n e r Gruppe gehörenden P. (Ph .) Goon F. und
dass die continentale var. Achates Cr. eine solche an den verwandten P. (Ph.) JDoubledayi Wall darstelle.
Endlich wies W a l l a c e noch darauf hin, dass die vom Männchen abweichende Färbung des Weibchens
von P. Oenomaus Godt. auf einer Anpassung an P. (P h .) Liris Godt. (Timor) beruhe und ebenso die abweichenden
weiblichen Varietäten der Erechtheus-Gm^e (der Binnenfalter) zum Theil auf eiüe Nachahmung
des im östlichen Archipel dominirenden P. (P h .) Polydorus L. zurückzuführen seien.
Eine weitere Förderung der Erkenntniss solcher mimetischen Beziehungen zwischen indischen
Papilionen verdanken wir J. W o o d -M a s o n . Derselbe wies nach, dass der bisher zur Latreillei-Gruppe
gestellte und als selbstständige Art angesehene P. Ica/rius Westw. das Weibchen des (Binnenfalters)
P. Ehetenor Westw. und eine Anpassungsform an den in der That zu jener Gruppe gehörenden P. (Ph.)
JDasarada Moore darstelle, und zeigte ferner, dass P. Janalta Moore und P. Bootes Westw. in beiden Geschlechtern
der immunen Latreillei-Gruppe angepasst und selbst Nachahmer wären.
Wurden somit die allerdings einfacheren und leichter übersehbaren mimetischen Beziehungen unter
den indisch-australischen Papilionen verhältnissmässig früh in ihren Grundzügen erkannt, so mussten doch
einem so feinen Beobachter, wie dem Entdecker der Mimicry, H. W. B a t e s , die geradezu wunderbaren
Anpassungserscheinungen unter den neotropischen Papilionen entgehen. Und nachdem C. und B. F e l d e r
schon 1864 in ihrer classischen Monographie der Papilioniden auf viele der hierher gehörigen Fälle als
auf „Analogien“ hingewiesen, erwähnt sogar W a l l a c e in seinem „Darwinism“ nur, dass die in der That
als Modell erkannte Aeneas-Gruppe (von Pharmacophagus) von „Pieriden, Castnien und Pericopis11 nachgeahmt
werde. Somit beschränken sich die mir bekannten Angaben auf eine kleine Notiz von A. S e i t z 1),
welcher die schon von C. und B. F e l d e r hervorgehobene Analogie von P. Sectorides $ mit der Agavus-
Gruppe und diejenige des Weibchens Androgeus Cr. von P. Polycaon mit Arten ,,der Grassus-, Belus- und
Pawsawas-Gruppe“ als „Mimicry“ erklärt.
Nach dem Bückblick auf diese allmälige Entwickelung der Erkenntniss von mimetischen Beziehungen
unter Angehörigen der Gattung Papilio wird es zunächst unsere Aufgabe sein, eine vergleichende
Skizze des Entwickelungsganges derjenigen Formen zu geben, welche wir als „Modelle“ , und derjenigen,
welche wir als „Nachahmer“ ansehen, um damit der Frage näher zu treten, ob wir nicht in der Aehnlich-
keit der immerhin generisch mit einander verwandten Formen mit E im e r die Besultate eines durch innere
Dispositionen bestimmten, immanenten Entwickelungsgesetzes erblicken müssen, welches diese „Conver-
genzen“ ohne Einfluss der natürlichen Auslese selbstständig schuf.
2. Anpassungen unter den indo-australischen Papilionen.
Die als Modelle der Anpassung anzusehenden Arten der indo-australischen Aristolochienfalter gehören
ohne Ausnahme zu Gruppen der zweiten Cohorte, an deren Ausgangspunct wir Theil I, p. 29 die
S e c to r -Q ru ^ e stellten. Um hier nur diejenigen Eigenthümlichkeiten zu erwähnen, welche für die Erscheinungsform
des Modells charakteristisch sind, so besitzt Ph. Sector L. (Ceylon, Indien) eine erloschene
weisse Querbinde auf den vorderen, zwei Beihen rother Tüpfel auf den mit einem Schwänzchen versehenen
Hinterflügeln und eine lebhaft rothe Färbung an den Körperseiten, wie sie für die meisten Aristolochienfalter
typisch ist.
In der zunächst an ihn sich anschliessenden Jop^on-Gruppe, von deren Arten besonders Ph. Aristo-
lochiae F. (Indien) mit var, Diphilus Esp. (Indochina), Ph. Antiphus F. (Philippinen), Ph. Polyphontes Boisd.
(Celebes), Ph. Polydorus L. (Molukken) und der zur Sector-Gruppe überführende Ph. Liris Godt. (Timor)
als Modell dienen, tritt die Vorderflügelbinde mehr zurück und zeigt sich auf den Hinterflügeln, welche
nur bei Ph. Polydorus L. ungeschwänzt sind, statt der inneren Beihe rother Tüpfel ein weisser Mittelbindenrest.
DA S e itz , Die Sclimetterlingswelt des Monte Corcovado. (Stett. ent. / > Zeitg., 1890, p. 97.) n *