So dürfen wir daraus schliesscn, dass in letzterer nicht nur die üppigste Gestaltungskraft der Natur
in Erscheinung tritt, sondern zugleich auch der raffinirteste Kampf um die Existenz herrscht, den die heutige
Lebewelt überhaupt noch führt. *)
Die Mimicry eine Form der schützenden Anpassung an die Umgebung.
In seinem Darwinism (1889, p. 289) definirt A. R. Wa l l a c e die Mimicry ails eine „form of
protective resemblance, in which one species so closely resembles an other in external form and colouring,
as to be mistaken for it, although the two may not be really allied and often belong to distinct families
or orders . . . . One creature seems d i s g u i s e d in order te be made like another; hence the term
,mimic‘ and ,mimicry1, which imply no voluntary action on the part of the imitator.“
Unsere vorhergehenden Ausführungen geben uns das Recht, diese Definition noch genauer zu
fassen. So gehören nur in e i n em Ausnahmefall (Papilio s. 1.) Modelle (subg. PharinacopJiagiiS) und Nachahmer
(subg. Papilio s. str. und Cosmodesmus) e i n e r Gattung, wenn auch biologisch und morphologisch
verschiedenen Untergattungen an. Weiter gelang es uus, den Nachweis zu führen, dass die mimetische
Anpassung, wenn sie sich nicht auf beide Geschlechter ausdehnte, sich stets auf das Weibchen beschränkte.
Endlich zeigten wir, dass solche Anpassung nur unter bestimmten' oekologischcn Bedingungen und stets
zuerst beim Weibchen ein trat.
Daher dürfen wir denn die Mimicry bezeichnen als „ e i n e f ü r d i e A r t e r h a l t u n g v o r t J i e i O
h a f t e A n p a s s u n g d e s H a b i t u s s e i t e n s d e s W e i b c h e n s o d e r s o c u n d ä r b e i d e r G e s
c h l e c h t e r e i n e r i h r e r z e i t g e f ä h r d e t e n S p e c i e s a n ei n e h ä u f i g er e , m e i s t 2) a u s s e r-
d em n o c h b e s s e r g e s c h ü t z t e A r t d e s s e l b e n G e b i e t e s a u s an d e r e r U n t e r g a t t u n g ,
G a t t u n g , F a m i l i e , O r d n u n g o d e r K l a s s e . “
So beschränken sich nach unserer Definition die Erscheinungen der Mimicry oder „ s c h ü t z e n d e n
V e r k l e i d u n g “ (protective disguise) auf ausgebildete _Aehnlichkeiten zwischen me ist3) gesehlcchtsreifen,
nicht näher miteinander verwandten Vertretern e i n e s o r g a n i s c h e n R e i c h e s , d i e s i c h a l s
P r o d u c t d e r A n p a s s u n g d e s e i n e n a n d e n a n d e r e n n a c h w e i s e n l a s s e n
Für die etwa anzunehmenden Fälle mimetischer Anpassung zw i s c h e n V e r t r e t e r n d e s
P f l a n z e n r e i c h e s dürfte sich die Aehnlichkeit aus Analogieen in Form und Farbe der Blülhe, welche
die Fremdbestäubung durch Insekten etc. erleichterten, beschränken; bei den zum T h i e r r e i c h gehörigen
Mimicryfällen aber hat sie sich a u f d e n g a n z e n K ö r p e r in s e i n e n L e b e n s ä u s s e r u n g e n aus-
') Gegen den Einfluss der blossen Isolirung auf Mimicrybildung spricht der Umstand, dass mir aus Madägascär ausser
den weit verbreiteten Anpassungen von Araneiden an Ameisen keine b e s o n d e r e n unzweifelhaft mimetischen Arten bekannt'
geworden sind. Sicher finden sich keine solche unter den Schmetterlingen, die doch sonst am meisten zu denselben beitragen.
*) Ausgenommen sind die Anpassungen seitens räuberischer Neuropteren (S.. 11) an ihre wehrloseren Beutethiere.
3) Die einzige Ausnahme von dieser Regel dürfte die Aehnlichkeit gewisser, in Folge unentwickelter Flügel zugleich
schutzloserer Jugendzustände anamorpher (hemimetaboler) Insecten mit Arbeiterameisen sein, wie wir sie S. 9 für die Hemiptere
Alydus calcarattis hervorhoben. Auch in Siam schöpfte ich im October 1892 mehrere junge Mantidcn, welche, wie in der Grösse
so auch in der schwarzen resp. rostgelben Färbung, durchaus den Ameisen glichen, mit denen ich sie zusammenfing. Leider machte
eine spätere Ueberschwemmung des Fundortes das Suchen nach den Imagines erfolglos.
zudehnen. ') In der That wirkt die Aehnlichkeit hier nicht blos in der Ruhe und bei langsamen Kriechbewegungen,
sondern in vielen Fällen sogar besonders (Schmetterlinge) auch im Fluge, zumal, soviel
bekannt, alle Nachahmer wie ihre Modelle ein Tagesleben führen2), dessen grössere oder geringere Freiheit
und Bestimmtheit allerdings durch die vererbten Lebensgewohnheiten der Vorfahren in gewissem Grade
beeinflusst wird. So fliegen denn mimetische Heteroceren oft nicht so häufig und weit herum wie
mimetische Tagfalter.
In den ausgebildetsten Fällen der Anpassung führen die Nachahmer auch die B ewe g u n g e n ,
welche das Modell charakterisiren, bis in Einzelheiten aus (vergl. die Beobachtungen über Spiniger (S. 10)
und Euripus Ilalitherses (S. 32.)
Im Gegensätze zur Mimicry characterisirt sich die „ s c h ü t z e n d e A e h n l i c h k e i t “ (protectivo
rescmblance) .vor Allem dadurch, dass ihre Modelle nur mehr in Form, Zeichnung und Färbung nachgeahmt
werden, da sie selbst keiner Eigenbewegung fähig sind. Hierher gehören aus dem T h ¡ e r r e i c h
besonders Sccrctionsproducte (abgestossene Häute, Koth) und aus dem Pflanzenreich sowohl lebende als
abgestorbene Objecte (Blüthèn, Früchte, Blätter, Aestc, Dornen);. Somit tritt die „schützende Aehnlichkeit“
mit diesen Objecten auch n u r so l a n g e in "Wirkung, als ih r Träger keine Bewegungen ausführt.
Als Grenzfall, der von der „schützenden Aehnlichkeit“ zur „Mimicry“ überführt, darf man das
interessante S. 78 angeführte Beispiel der Anpassung des Batrachiers Phryniscus varias Stann. an eine
zusammen gerollte Elaps ausehen, denn, wie die feine Beobachtung Herrn Prof. Bö t t g e r ’s hervorhebt, tritt
diese Aehnlichkeit besonders bei zwei im Begattungsakte befindlichen Individuen hervor, also bei einer
besonders für die Arterhaltung wichtigen Handlung, die wohl auch mit gewissen langsamen die Aehnlichkeit
kaum störenden Bewegungen verbunden sein dürfte.
Ein anderer anscheinender Grenzfall gehört dagegen sicher in die Kategorie der „schützenden
Aehnlichkeit“ . Derselbe betrifft eine merkwürdige neotropischo Buckelzirpe, Smilia (Ocda) inflcita F ,
deren Nackenschild von blasigen Hohlräumen durchzogen ist und den winzigen Körper von oben vollkommen
verdeckt. So gleicht das auf einem Blatte oder an einem Zweige meist ruhig sitzende Thier durchaus der
leeren Puppenhülse eines bereits ausgeschlüpften Tagfalters.
Eine auffallende Aehnlichkeit mit t r o c k e n em R a u p en k o t h beobachtete ich besonders an
kleinen siamesischen Cryptocephaliden. Dagegen erinnert F o r b e s ’ merkwürdige Krabbenspinnc (Tliomisus
[Ornitlioscatoides\ äecipiens), welche ich in einer Form auch in Siam auf der Oberfläche eines Blattes sitzend
fand, durch die feinen Farbenabtönungen des zarthäutigen Abdomens derart an frischen gallertigen Vogcl-
koth, dass ich zögerte, sie als Spinne einzufangen, obwohl ich längst auf sie zu achten beschlossen hatte.
Den höchsten Grad der schützenden Aehnlichkeit mit O b j e c t e n d e s P f l a n z e n r e i c h e s treffen
wir in den weit verbreiteten A n p a s s u n g e n an t r o c k e n e B l ä t t e r dicotyledoner Bäume an, die entweder
noch mit ihrem Stiel am Zweige sitzen (Nymphalinen : Kallima3) und Siderone4) oder schon am
*) Daher muss ich die „Mimicry“ von Schlangen durch Raupen (H. W. B a t es, A, Sei tz) und die eines Rauhthierkopfes
durch den Falter von Smerinthus ocellatus (A. Sei tz) aus dem Gebiete meiner Arbeit ausschliessen. Immerhin können
hier ja Schreck Zeichen vorliegen. — So bestimmte ein König von Anam schon ca. 2000 Jahre v. Chr., dass die Böte seiner
Unterthanen vorn zwei grosse Augen tragen sollten, um die Meerungeheuer abzuschrecken (la CoChinchine française 1878, Paris
p. 232). Auch glauben, wie mich mein chinesischer Koch ¿belehrt, seine Landsleute noch heute an die Wunderkraft der von
ihren'Dschunken immer noch geführten Auszeichnung.
2) Nach Leunis-Ludwig, Synopsis II p. 304 fliegt die einheimische Bembecia hylaeiformis Lasp. „im Gegensatz zu den
übrigen Sesiinen bei Nacht.“
8) Vergl. die Abbildung bei A. R. Wallace, The Malayan Archipel. Lond. 1883, p. 31.
4) Vergl. E. Krause (C. Sterne), Werden und Vergehen. 3.- Aufl. Taf. XXIV.