Weiter dürfen wir wohl annehmen, dass die ursprünglichste T r a c h t der Neotropinen noch dem
schwarzen, von weissen Tüpfeln, Längs- und Querbinden durchbrochenen Kleide der meisten übrigen Danaer
entsprach und einigermassen an die Erscheinung der rein australischen Palaeotropinen (Hamadryas) erinnert.
Diese ursprünglichste und reichste Zeichnungsform finden wir noch am ersten in der Bonplandii-Gr. den
Gattung Titliorea wieder. Aus ähnlichen Vorläufern gingen auch die beiden anderen Pärbungstypen der
Gattung hervor, die b ei den Neotropinen seltener vertretene mexicanische Irene-Tracht und endlich die am
meisten bei ihnen, dominirende südlichere bunte Harmonia-Tra6ht, welche wir Seite 51 mit dem Namen
Melinaeen-Tvachi bezeichnet haben. Jedenfalls ist dieselbe von den heute lebenden Gattungen noch am
ersten in der Gattung Tithorea selbständig entstanden und mindestens ebensogut für einen characte-
ristischen Ausdruck der besonderen, rein physikalisch-chemischen Einflüsse des neotropischen Klimas auf
eine ursprünglich schwarzweisse Tracht, als für eine allmählig immer auffallender ausgebildete Widrigkeitsfärbung
anzusehen, wie A. R. Wa l l a c e (1. c. p. 239) es will.
Die sich ihrem Alter nach zunächst an Tithorea anschliessenden Gattungen der Gruppe I b zeigen
in den auf gebirgige Gegenden des Nordens beschränkten Olyras-Arten Vertreter eines wohl der Irene-
Tracht näher stehenden Typus. Aehnlich zeigen die Arten von Methona Dbld. sämmtlich ein anscheinend
erst später durch gesteigerte Aufhellung der schwarzweissen Tracht selbständig, entstandenes für die brasilianische
Region characteristisches Kleid.
Dagegen dürfte das bunte Kleid der Melinaeen ursprünglich eine Anpassung an die ebenfalls brasilianische
Harmonia-Tracht und zu der Zeit, als die einzelnen variablen Formen noch selten waren und
sich erst zu Arten differencirten, für die Erhaltung der bestimmten Form von Nutzen gewesen sein. In
verhältnissmässig kurzer Zeit jedoch, bis zur Entstehung der Ithomien, blühten die Melinaeen bereits derart
auf, dass sie in Färbung und Flügelform modificirt, bald als specielle Modelle mimetischer Anpassung
(Melinaeen - Tracht) dienen konnten. Während wir die Färbung der Athyrtis-Axtm ähnlich entstanden
denken können, finden wir in den zwei unzweifelhaft jüngeren obwohl zur selben Abtheilung gehörigen
Gattungen Eutresis und Athesis Anpassungen an die bereits ausgebildete Olyras- und Methona-Traoht.
Auch die Gattung Ithomia, welche die ursprünglichere Gruppe der jüngeren Neotropinen (II a) darstellt,
dürfte in ihren älteren Arten sich durch mimetische Anpassung der noch seltenen Formen ausgezeichnet
haben. So erinnert J. Susiana Feld. (Columbien) an den Bonplandii-Typus, so gleichen andere Arten oft
auffallend noch heute häufigeren Melinaeen. Zugleich aber bilden sich in dieser Gattung peripherische ihr
eigenthümliche Färbungstypen aus, von denen später die Eurimedia-, die Orolina-, die Onega- und die
vollkommen glasige PAono-Tracht vielseitig als Modell mimetischer Anpassung dienen.
In der jüngsten Abtheilung der Neotropinen (II b der Tabelle) treffen wir nun keine selbständig
entwickelten Artgruppen mehr, bei welchen sich eine eigenartige Tracht ausbildete; vielmehr treten die
einzelnen Gattungsvertreter ausschliesslich in den verschiedenartigsten Trachten der älteren Neotropinen auf.
So finden wir bei JDircenna die Melinaeen-, Olyras-, Methonen- und Fhono-Tracht; bei Mechanitis
besonders die Harmonia- und Melinaeen-Tracht; bei Thyridia die Olyras-, Irene- und Methona-Tvacht; bei
Geratinia die Melinaeen- und PAowo-Tracht; bei Napeogenes endlich die Irene-, Olyras-, Eurimedia-, Orölina-
und PAono-Tracht.
Der einzige mir bekannte Hinweis darauf, dass auch unter den Neotropinen die Anpassung an die
bestimmten Modelle v o n S e i t e n d e s W e i b c h e n s ausging, finden wir bei einem Angehörigen der
Gruppe I I b, bei Mechanitis Macrinus Hew., dessen vom Männchen abweichendes Weibchen (Isthmia Bates)
an die gemeine Melinaea Scylax Salv. erinnert.
Bei der Masse der Arten hingegen sind, wie bei den peripherischen Gruppen der Rinnen- und
Segelfalter und den peripherischen Gattungen der NymphaUnen etc., beide Geschlechter schon gleichmässig
angepasst und zugleich dabei ausserordentlich formbeständig, denn Varietätenbildung kommt nach B a t e s
1. c. p. 501 nur mehr bei einzelnen Angehörigen jüngerer Gattungen, die zur Zeit ihre häufigsten Vertreter
sind, bei Mechanitis Polymnia L. und Geratinia Ninonia Bates, vor.
Wir dürfen nun annehmen, dass die Entwickelung der jüngeren Neotropinen (I b—I I b) besonders
in den der Eiszeit vorangehenden Zeiträumen des jüngeren Tertiärs vor sich ging. Dass die gegenseitigen
Anpassungen unter den sich bildenden Arten der verschieden alten Gattungen durch bestimmte oekolo-
gische Factoren geregelt wurde, zeigt unsere Tabelle. So stossen wir bereits in der ältesten Gattung
Tithorea auf drei selbständig entwickelte Trachten, deren eine, die Harmonia-Tracht, nachdem sie von
den Melinaeen aufgenommen war, zur dominirenden unter den Neotropinen wurde. Weiter finden wir in
keiner der zur Abtheilung I gehörenden Gattungen eine Anpassung an eine der selbständig entwickelten
und als Modelle für noch jüngere Formen dienenden PAomia-Gruppen. So dürfen wir denn den Schluss
ziehen, dass die älteren in I aufgezählten Gattungen sich auch in Färbung und Zeichnung als die ursprünglichsten
Vertreter unter den heut lebenden Neotropinen erweisen. Zugleich waren die in bestimmten
Kleidern (Eonplandii-, Irene-, Harmonia-, Olyras- und Methona-T taeht) auftretenden Arten schon von den einheimischen
Schmetterlingsfeinden als immun erkannt und verhältnissmässig geschützt. So konnte denn die
Entwickelung der Vertreter jüngerer Gattungen, so lange sie noch nicht individuenreich waren, u n t e r d e m
S c h u t z e der alten aufgenommenen Trachten vor sich gehen und kleinste Einzelheiten der Varietäten,
welche die Aehnlichkeit mit älteren Formen erhöhten, als besonders günstig sich erhalten und so den Anpassungsgrad
allmählig verstärken.
Blühte die Gattung durch besonders günstige Entwickelungsverhältnisse aber auf, wie dies mit
Ithomia (Abtheilung I I a) der Fall is t, so konnten auch in freier selbständiger Fortentwickelung der
Zeichnung und Färbung, die sich in ihrer steigenden Reduction äusserte, innerhalb derselben eigenthümlich
gefärbte Artgruppen (Eurimedia-, Orolina- und Onega-dh'., endlich die glasflügelige PAono-Gr.) entstehen,
deren Vertreter heute meist sehr individuenreich sind.
In der aus den jüngsten Gattungen der Neotropinen bestehenden Abtheilung (II b) treffen wir denn
auch hauptsächlich Anpassungen an die in I a und I I a erwähnten Abtheilungen. Zugleich konnten sich
auch bei ihnen in besonders aufblühenden Gattungen bestimmte Modificationen der Melinaeen-Tracht unter
so günstigen Bedingungen entwickeln, dass sie mit zunehmender Häufigkeit den Arten der unstreitig jüngsten
Gattung Napeogenes als Modell dienen konnten.
Denn bei Napeogenes finden wir neben den Anlehungen an die jüngsten selbständig ausgebildeten
oben erwähnten PAomia-Gruppen auch solche an ältere Gattungsvertreter ihrer eigenen Abtheilung. So
gleicht nach B a t e s C. c. p. 583 die seltene Napeogenes Gyrianassa Dbld. der gemeinen Geratinia Barii,
einer der G. Ninonia Hb. nahe stehenden Form; so gleicht Nap. Apulia Hew. der Geratinia Villula Hew.
(Neu-Granada) und Nap. Xanthone Bates der Mechanitis Nesaea Hb. (Amazonas).
Aus obigen Ausführungen müssen wir uns gegen die Auffassung von B a t e s (C. c. p. 552) erklären,
dass Geratinia Barii Bates als Modell für die ihr ähnliche, aber zur Zeit seltene Melinaea Mnasias Hew.
dienen soll und aus unten weiter auseinanderzusetzenden Gründen das umgekehrte Verhältniss für berechtigter
halten.
Zugleich führt uns aber die heutige Seltenheit einer ursprünglich als Modell dienenden häufigen
Art zu dem Schluss, d a s s d i e E n tw i c k e l u n g d e r Neotropinen i h r e n H ö h e p u n k t h i n t e r s ic h