30 II« Kapitel.
Dies soll vormals ein reicher und bedeutender Ort gewesen sein,
der Hauptort des Yefren in der alten guten Berberzeit. Viele
seiner Bewohner besassen damals nicht weniger als zehn Sklaven;
— jetzt ist es ein Haufen Ruinen und kaum 25 seiner
an den Seiten der Schlucht gelegenen und kaum vom Felsen
seihst zu unterscheidenden Steinhäuser sind noch bewohnt.
Von hier wendeten wir uns wieder südlich und stiegen allmählich
in Windungen den steilen Abhang der Kalkschichten
hinunter; über uns erhob sich die malerische Felswand, schichtenweise
und in verschiedener Farbenpracht sich hinlagemd,
vom hellsten Gelb bis hinab zum dunkelsten Braun, und
überall, wo die steile Schichtung ein ebenes Plätzchen frei
liess, wo etwas Fruchthoden sich festsetzen konnte, von einzeln
stehenden Dattelpalmen belebt, die mit ihren leichten,
federartigen Blättern einen überaus interessanten Gegensatz
gegen die nackte, todte Felswand bildeten.
Die Einbildungskraft kann sich nicht leicht ein schöneres
Gebilde schaffen, als die Scenerie ist, welche den Quellbom
umgibt. Denn hier auf einer kleinen Terrasse rauscht aus
einer Höhle am Fusse steiler Felsmassen eine reiche Quelle
des schönsten, klarsten Bergwassers hervor und gibt, ehe sie
sich den Felsabhang hinabstürzt, einer Gruppe von einigen
zwanzig zwischen den Felsblöcken aufschiessenden Dattelpalmen
das Lehen. Diese Quelle ist für das Kastell auf der
Höhe von grösser Wichtigkeit, obgleich die Besatzung im
Ganzen natürlich auf Cistemenwasser angewiesen ist, und die
Türken haben vor zwei Jahren einen kleinen Pfad am Felsabhang
zur Quelle hinab gehauen.
Während die Thiere getränkt wurden, entwarf ich vorstehende
Skizze dieser höchst malerischen, prächtig beleuchteten
Gruppe.
Wir hatten hier die steilen Horizontalschichten des gelb und
braun gefärbten Kalksteines hinter uns und begannen nun,
auf den weniger steil abfallenden Schuttmassen in’s Thal, das
„Wadi el Ghassäss”, hinabzusteigen. Hier erweitert es sich mitrauher
Fläche zu einer Ebene, während sein oberer, südlicher
Theil, „Wadi Rumleh” genannt, eine enge, romantische Bergschlucht
bildet.
So setzten wir unsem Weg nach Westen fort, uns zur
Rechten die Ebene, in leichten Wellenschwellungen bis zum
Meere sich hinstreckend, links die fast 2000 Fuss hohen
Ausläufer ‘ des Plateau’s , majestätisch in die Ebene als
grossartige, regelmässig abgeschichtete Vorgebirge hinaustretend.
Die erhabene und höchst eigenthümliche Scenerie ist
ohne Zweifel durch die schöpferische und zugleich zerstörende
Gewalt des Wassers hervorgerufen, das sich in vorgeschichtlicher
Zeit den Abhang hinunter gestürzt haben mag. Ich
fragte meinen Führer, ob sich nicht selbst jetzt noch mitunter
so gewaltsame Strommassen in den Schluchten bildeten, dass
sie mächtig genug wären, um sich in das Meer zu ergiessen.
Er sann eine Weile nach und erklärte dann, dass er nur gehört
habe, wie sich einmal, etwa vor 44 Jahren, ein solcher Strom