Wege von seinen Landsleuten angefallen würden. In. dem
Verlaufe unserer Reise hatte ich vielfach Gelegenheit zu
sehn, dass dies keine leeren Drohungen waren, sondern der
ernstliche Aushruch des Zornes. eines ehrgeizigen und leidenschaftlichen
Mannes. Auch kann man nicht leugnen, dass
er nicht ohne Grund sich als von uns schimpflich vernachlässigt
erachtete ; er war von uns seihst gleichsam angereizt,
uns zu beweisen, dass er, woran wir zu zweifeln schienen, Einfluss
genug besitze, um uns sowohl nützlich sein, als auf der
anderen Seite bedeutenden Nachtheil verursachen, zu können.
Dem heissen Tage folgte ein sehr schöner Abend, und ich
streckte mich hei dem prachtvollen Mondljchte, voll Freudigkeit
im Herzen und mit der innigen Hoffnung, dass unter
göttlichem Beistände mein gefahrvolles Unternehmen gelingen
möge, vor unserem offenen Lagerplatze hin. Mit herzlicher
Theilnahme lauschte ich den innigen und ernsten Geibeten
der Tinylkums, welche sie in tonreichem Gefälle, oft mit
dem langgezogenen Laut „ha, ha” begleitet, jetzt zu einem
mächtigen, sturmähnlichen Geräusch sich,«erhebend, dann zu
einem melancholischen, geisterhaften Tone sich senkend, in
ascetischer Weise in die Länge zogen. In der friedlichen
Mondnacht, bei der von Palmgruppen gehobenen, phantastischen
Landschaft, waren diese dumpf dahinschallenden Laute
wohl geeignet, einen tiefen Eindruck auf des Hörers Ge-
müth zu hinterlassen.
Es ist eine bemerkenswerthe Thatsaehe, dass, während
der Islam an den Küsten des Mittelmeeres, wo er zuerst gepflanzt
wurde, mit schnellen Schritten seinem Verfalle entr
gegengeht, einzelne, ascetische Sekten im Innern sich verbreiten,
welche die letzten eifrigen Bekenner Zusammenhalten.
Die besondere Sekte, der die Tinylkums, welche im
Allgemeinen Maleki sind, zugehören, ist durch einen Mann
Namens Mohammed el Mòdani begründet. Er stiftete eine Art
Kloster oder Sauya in der Nähe von Masräta, welches mit
einem gewissen Grundeigenthum versehn war, von dessen
Ertrag er viele Pilger hewirthete und sich dadurch eine grosse
Menge Anhänger erwarb. Die ausgezeichnetste Seite der
Lehre dieses Sektirers ist die Abschaffung der Verehrung
verstorbener Heiligen, die in so hohem Grade die Reinheit
und hochzuschätzende Einheit der Lehre des Islam beschmutzt
hat. Mit dieser Lehre hängt der gegenwärtige Verfall einiger
berühmter Kapellen, die ich oben erwähnt habe, innig
zusammen. — Mohammed el Medani ist, wie man mich versichert
hat, vor kurzer Zeit gestorben *), doch setzt sein Sohn
das fromme Institut fort; es ist eine Art von Freimaurerei
damit verbunden.
Ich gestehe, dass ich mit Wohlgefallen die Ausbreitung
dieser strengeren Sekte des Islam sehe, da ich nicht zu denen
gehöre, welche einen besonderen Fortschritt darin erkennen,
dass Mohammedaner gegen ihre Religionsprinzipien
gleichgültig gemacht und an berauschende Getränke und
dergleichen christliche Vorrechte gewöhnt werden. Ich habe
noch keineswegs den Glauben aufgegeben, dass Lebensfähigkeit
im Islam Rege, welche nur durch einen Reformator wieder
hervorgelockt werden müsse. Ich halte es nicht für un-
möghch, dass ein solcher in dem ruhigen Kampfe und Zu-
sammenstosse, in welchen nicht nur Christenthum und Islam,
sondern' die ganze christliche und moslimisehe Welt unter
den gegenwärtigen Verhältnissen gerathen ist, früher oder
später sich erheben werde. Ich werde im Verlaufe meiner
Reise vielfach Gelegenheit haben, auf diesen Punkt zurückzukommen.
Auch in Tessaua wohnen einige Tinylkums; sie sind indessen
sehr mit den Arabern vermischt, während die übri*)
Das heisst schon vor 1850, als ich jene Zeilen schrieb. — Nach dem
jedoch, was Captain Burton in seiner „ Pilgrimage to Mekka and Medina",
vol. II, p. 290, sagt, würde es scheinen, als wenn Mohammed Ibn ¡4M Allah
e’ Snüsi -^-; das ist sein Toller Name — noch 1853 gelebt hätte.
Barth’s Uelsen. I. g 5