wieder, während wir uns gerade auf den hohen, spitzen Kegel
zu hielten, welcher Tln-tarh-ode überragt.
Das Thal von Selüfiet scheint keine Verbindung mit dem
des letztgenannten Platzes zu haben; wenigstens war der
Hauptarm, in welchem unser Pfad entlang führte, durch felfS
siges Terrain gänzlich vom anderen Thale getrennt. Hier gewährte
eine breite Kluft in der Bergmasse einen Blick in die
Schluchten, welche von den verschiedenen Erhebungen, aus
denen die Bergmasse besteht, gebildet werden und sich in
ihrer Beihenfolge zu grösserer Höhe zu erheben scheinen.
Die Kanten sind ■ ausserordentlich scharf und der Abfall steil,
die durchschnittliche Höhe wohl kaum weniger als 2500 Fuss
über der Thalsohle oder mehr als 4200 Fuss über der Meeresfläche.
Wir stiegen bald von dem felsigen Boden abwärts und betraten
eine reichbewachsene Thalebene, wo ausser der Abisga
die Tunfäfia (Asclepiadea gigantea), welche seit Egeri nicht zu
sehn gewesen war, wieder erschien. Auch bemerkten wir eine
neue, noch nicht gesehene Pflanze, die „Elloa” oder „Alluot”,
eine Cucifere mit grossen, saftreichen Blättern und einer hübschen
violettfarbigen Blume. Die Kameele frassen sehr gierig
davon und zogen diese Pflanze im ganzen Bereiche des
Landes Air jedem anderen Futter vor. Trotzdem hat sie
grosse Ähnlichkeit mit der giftigen Damankadda, welche im
Sudan sehr oft Krankheit, ja selbst den Tod dieser Thiere
herbeiführt.
Wir waren in diesem Thale zwei Meilen weit gezogen, als
wir uns an einem freien Platz, der rings von den grünen Büschen
der Abisga umgeben war, lagerten. Er lag etwas jenseits
Tin-tarh-ode. Dies ist das Dorf der Meräbetin oder
Anisslimen *) und zieht sich in langer Beihe an den niedri*)
„Anisslim’’, Plur. anisslimen, ist der Ausdruck in der Tema - schirht-
Sprache für das Arabische „meräbett”, und obwohl es die genaueste Verwandtgen
Vorhügeln der Bergkette hin. Es besteht aus etwa hundert
Wohnungen, meistens Hütten von Gras und den Blättern
der Fächerpalme, während nur wenige aus Stein gebaut
sind.
Obwohl klein, ist das Dorf doch von Wichtigkeit für den
Verkehr zwischen Nord- und Mittel-Afrika, welcher nur unter
dem Schutze des Ansehns jener gelehrten und religiösen
Männer mit einer Sicherheit betrieben wird, welche Einen
in der That in Erstaunen setzt, wenn man den wilden und
räuberischen Charakter der Bewohner dieser Gegenden in Betracht
zieht.
. Höchst interessant würde es sein, genau den Zeitpunkt zu
kennen, wann diese Niederlassung hier gegründet worden.
Es scheint allerdings, dass es, wenn anders diese Anisslimen
dem Stamme der Kel-owi angehören, .gleichzeitig mit der
Eroberung des Landes durch diesen Stamm geschehen sei,
und der Bericht Ebn Batüta’s, welcher hier keine Niederlas-
sung gefunden zu haben scheint, würde dies bestätigen.
Die Anisslimen indess, obwohl sie sich selbst „gottergebene
und fromme Männer” nennen, haben desswegen den Dingen
dieser Welt durchaus nicht entsagt; im Gegenthéil erhalten
sie sich durch ihren Ehrgeiz, ihre Intriguen und ihre ganze
Handlungsweise bedeutenden Einfluss auf die Angelegenheiten
des Landes und haben sich, wie ich schon oben bemerkte,
gewissermassen in Opposition gegen den mächtigen
Häuptling von Tintéllust gesetzt. Vor Kurzem jedoch hätte
sie ein bedeutendes Unglück betroffen. Die Auelimmiden
nämlich, die Ssúrgu der westlichen Reisenden, die unversöhnlichsten
Feinde der Kel-owi und im späteren Verlauf meiner
schaft mit dem Worte „sselem” — „Isslam” — bat und eigentlich einen Mann
bezeichnet, welcher sich zum Isslam bekennt, ist diese Bedeutung doch ganz
verloren gegangen, und ich selbst wurde in Folge meines Schreibens und Lesens
von den westlichen Tuareg gewöhnlich Anisslim genannt und als solcher
betrachtet.
Barth's Reisen. 1. # 4 5