XV. KAPITEL.
T i n t £ l l u s t .
Wir besuchten den alten Häuptling am Tage nach unserer
Ankunft. Er empfing uns in einer ungeschminkten und barbarisch
wohlwollenden Weise. Mit grösster Einfachheit, die
nicht eben wie ein Kompliment aussah, bemerkte er, dass
wir, obwohl als Christen schuldbefleckt in sein Land gekommen,
doch durch die vielen Gefahren und Mühseligkeiten,
welche wir erduldet hätten, rein gewaschen seien; wir hätten
nun nichts weiter als das Klima und die Diebe zu fürchten.
Die Geschenke, welche vor ihm ausgebreitet wurden,
empfing er gnädig, aber ohne ein Wort zu sagen; von Gastfreundlichkeit
erzeigte er uns nicht die geringste Spur. Alles
dies war charakteristisch.
Bald erhielten wir weitere Aufklärung. Wenige Tage darauf
nämlich sandte er uns die einfache und unzweideutige
Botschaft, dass, wenn wir auf unsere eigene Gefahr hin nach
dem Sudan zu gehn beabsichtigten, dies in Begleitung der
Karawane geschehen könne; er werde uns zuverlässig kein
Hindemiss in den Weg legen; wünschten wir aber, dass er
selbst, mit uns gehe und uns beschütze, so müssten wir ihm
eine beträchtliche Summe auszahlen. Indem er diese einfachen
Bedingungen stellte, machte er von einem sehr ausdrucksvollen
Gleichniss Gebrauch; er sagte nämlich, so wie die Liffa
Alles, was sie berühre, tödte, so hätte sein Wort, nachdem
es einmal von den Lippen enteilt, mit der fraglichen Sache
abgeschlossen; es sei kein zweites Wort zu erwarten." Ich
kann dies nicht für eine so schamlose Erpressung ansehn,
als Herr Richardson daraus macht, wenn ich bedenke,
was wir anderen Leuten bezahlt hatten, die nichts dafür ge-
than, als uns das Vergnügen zu gestatten, selbst zu sehn,
wie wir auf eigene Gefahr undUnkosten mit allen Arten von
Herumtreibern fertig werden könnten, und wenn ich ferner
die Bemühungen, welche wir Annür verursachten, in Betracht
ziehe. Im Gegentheil muss ich, nachdem ich bis zuletzt An-
nür’s Handlungsweise beobachtet habe und unter seinem Schutz
sicher in Katsena angekommen bin, aussprechen, dass er ein
gerader, zuverlässiger Mann war. Er gab einfach und ohne
Umschweife an, was er verlange; aber nachdem er dies erhalten,
hielt er an seinem Worte mit der grössten Gewissenhaftigkeit
fest; und wenn er uns nicht bewirthete, so forderte
er auch nichts von uns, kleine, kaum nennenswerthe Betteleien
abgerechnet, noch erlaubte er seinen Leuten, dies zu
thun. Obwohl ich ihn für einen ganz abscheulichen Geizhals
halte; der mir, als ich ihn später auf seinem kleinen Landsitze
bei Tessaua in der grössten Mittagshitze besuchte, nicht
einmal einen Trunk „fura” oder Hirsenwasser anbot, kann
ich ihm dennoch meine Achtung nicht versagen, sowohl als
einem'grossen Diplomaten in seinem merkwürdigen kleinen
Reiche, als auch als einem Manne, ausgezeichnet durch Aufrichtigkeit
und Geradheit.
Uns, die wir als verhasste Eindringlinge, von der ganzen
Welt verfolgt, das Land betraten, konnte er nicht wohl anders
als kalt aufnehmen; aber sein , ganzes Westen änderte
sich vollkommen an dem Tage, wo ich nach Agades aufbrach,
um uns auch den titularen Sultan des ganzen Landes
geneigt zu machen. Damals war es das erste Mal, dass
er nach unserem Lager kam, um mich aufbrechen zu sehn,
und er hörte seitdem nicht auf, uns .jeden Tag zu besuchen
und den vertrautesten Verkehr mit uns zu pflegen. Dasselbe
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