280 XI. Kapitel.
Overweg hatte indess die Schlucht erklettert und erzählte
von einer Schaar Tauben, die ihm aus dem Felsenhecken
entgegengeflogen seien.
Der Ort war so anziehend, dass ich zaudernd Abschied
nahm, mit dem bestimmten Vorsatze, am folgenden Tage
mit den Iiameelen, wenn sie zur Tränke gebracht würden,
zurückzukehren. Leider hielten mich die beunruhigenden
Nachrichten, welche wir, am Lagerplatz angelangt, bekamen,
davon ab; meinen Vorsatz auszuführen. — Ich will nur noch
bemerken, dass dieses Thal, welches „Egeri” heisst, identisch
ist mit dem berühmten Thale Amais oder Mais, das schon
vor manchen Jahren dem Namen nach in Europa bekannt
geworden.
Bald hinter der Vereinigung der beiden Schluchten erweitert
sich das Thal zu 150 Fuss Breite; Gräser beginnen sich
zu zeigen, und wenige Talhahäume verleihen ihm ihren gewohnten
Wüstenschmuck. Nachdem es weiterhin noch eine
andere Schlucht aufgenommen hat, trägt der Boden auch
Bittergurken. Auch niedrige, aber weit ausgezweigte Ethel-
häume breiteten sich aus. Von grösserem Interesse aber
war es für uns, den „äschur” hier zu sehn, oder, wie ihn die
Haussa- Stämme nennen, „tunfafia” , die Kanori „krunka
oder „kais”, — die berühmte, so weit über die tropische
Zone verbreitete und so überaus bedeutende Asclepias gi-
gantea. Hier hatte sie wirklich etwas Gigantisches, da sie
die Höhe von 20 Fuss erreichte, und trug,: indem sie eben
in Blüthe stand, mit ihren weissen und violetten Blumen,
die höchst malerisch von den dunkelgrünen fleischigen Blättern
ahstachen, nicht wenig zur Erhöhung der Scene hei.
Damals, obgleich wir schon hei Mursuk einzelne Exemplare
dieser Pflanze gesehn*), hatte sie n o c h etwas Ungewöhnliches
für uns, während sie nachmals, in Bomo, uns vollkommen
*) Selbst bei Tripoli kommt der „ischur” vereinzelt vor.
zuwider wurde durch die verzweifelte Eintönigkeit, welche
sie der Ebene um Kukaua mittheilt. Jedoch will ich hier
noch nicht über die höchst bedeutende Stelle sprechen, welche
diese Pflanze in dem Haushalte des Sudans einnimmt
und welche sie nach den allgemein ihr beigelegten Eigenschaften
einnehmen könnte. Neben der Tunfafia, wie wir
sie fortan im ersten Abschnitt unserer Beise nennen wollen,
war auch die uns von der Hammäda her wohlbekannte Dje-
derla sowie die wohlriechende Schia (Artemisia odoratissima)
und eine andere Pflanze mit schönen rothen Blumen hier zu
Hause. Die letztgenannte Pflanze ist — glaube ich — mit
der giftigen „damankadda” identisch, die ich mehrfach im
Verfolg meiner Reise zu erwähnen haben werde, und deren
zerstörenden Einfluss auf das Kameel ich nur zu viel Gelegenheit
hatte selbst zu erfahren.
Nachdem wir ein wenig mehr als 3 Meilen vom Wasserplatze
aus weiter gezogen waren, lagerten wir im Schatten
■eines Ethelhaumes. In der That, es scheint der Erwähnung
werth, dass die ganze Expedition reichlichen Platz fand unter
den weit sich aushreitenden Zweigen eines einzigen Ethelhaumes
(Tamarix orientalis); es war der grösste, den wir noch je
gesehn hatten, obgleich er nicht die Höhe wie derjenige im
Wadi el gharbi erreichte. Er hatte wohl mehrere Generationen
der dieses Thal gelegentlich besuchenden nomadischen
Siedler vorbeipassiren sehn. — An dieser Stelle war das
Thal etwa eine halbe Meile breit und hatte einen entschieden
gefälligen Charakter, aber es war nicht mit dem zu vergleichen,
was wir berechtigt waren, uns unter „Djänet” vor-
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Diese von der Natur so begünstigte Fruchtstätte liegt, so
viel ich aus der mir gewordenen Belehrung der Eingeborenen
schliessen kann, an dem südlichen steilen Abhange desselben
Gebirgskammes, den wir heute Morgen passirt hatten, und
von hier etwa 30 — 35 Meilen in WNW.-Richtung entfernt.
Barth’s Reisen. I . 36