kehrte. Diese Erklärung übte bei vielen Unterhandlungen eine stärkere
Wirkung als eine Auseinandersetzung der für sie damit verbundenen
Vorteile.
Bezeichnend hierfür war auch der Kummer eines armen Tropfs, der
an einer Hautkrankheit leidend sich mit einer schwarzen sirupartigen
Flüssigkeit behandelte und nach ihrer Gewohnheit mit einem Lendentuch
von etwas zu kleinen Dimensionen herumlief. In diesem Kostüm
hatte er sich einem weissen Beamten aus Putus Sibau, der ihr Dort
besuchte, präsentiert und dafür einen Verweis erhalten. Bei meiner
Ankunft am folgenden Tage hatte er das noch nicht vergessen und
gab mir seine Befriedigung darüber zu erkennen, dass ich mich durch
seine Erscheinung in meiner Würde nicht gekränkt fühlte.
In ihren Vorstellungen von Schicklichkeit spielt dies stark entwik-
kelte Gefühl der Scham eine grosse Rolle, und es war merkwürdig zu
sehen, wie die Auffassung sich auch unter diesem Volk bei verschiedenen
Individuen und unter wechselnden Umständen änderte. Glücklicherweise
erfuhren diese Begriffe der ärztlichen Praxis gegenüber eine
gewisse Milderung, sonst wäre ich bei der Behandlung dieser beinahe
nackten Gestalten auf den gleichen Widerstand gestossen wie bei den
stark bekleideten zivilisierter Länder.
Bitten um Heilmittel gegen venerische Krankheiten wurden mir,
besonders von den Frauen, nur dann vorgetragen, wenn sich niemand
in der Nähe befand, und auch dann so geheimnisvoll, wie in einem
europäischen Sprechzimmer. Die Malaien von Mittel-Borneo behandeln
ähnliche Angelegenheiten dagegen öffentlich und fast ohne Scham.
Obgleich die Frauen ihre in unseren Augen sehr primitive Kleidung
beim Baden völlig ablegen, O O O ' stösst die BesichtiOg unOg der für ogewohnlich
bedeckten Teile doch auf heftigen Widerspruch. Wenn sie
in meiner Hütte, am Boden hockten, zogen -sie anfangs die Röcke
ängstlich über die schön tätowierten Beine, später, als sie sich heimischer
fühlten, durfte hie ünd da wohl auch ein Knie zum Vorschein
kommen, zuletzt kam es. ihnen, wie in ihrer Wohnung, nicht mehr
darauf an, wie die Rockfalten fielen. Anders verhielt es sich, wenn
ich ihre Tätowierung näher besichtigen wollte; ich musste die Frau
gut kennen, um sie zur Entblössung eines Beines zu bewegen, bemerkte
aber, dass ihr dann ein bewunderndes Wort über das schöne
Muster oder die gute Ausführung sehr angenehm war.
Eine eigenartige Szene erlebte ich bei der Behandlung eines jungen
Mä.dchens, das an einer Schenkelverletzung litt. Sie musste mich in
meiner offenen Hütte besuchen, die unter anderem auch als Sprechzimmer
diente. Meist kam sie, wenn sie mich allein wusste, aber einmal
erschien sie in Begleitung einer kleinen Freundin, als die Hütte
mit schwatzenden jungen Leuten gefüllt war. Nachdem sie eine Weile
im Hintergründe gewartet, gab sie mir einen Wink, und ich sah an
ihren sprechenden Gebärden, dass sie sich vor den vielen Zuschauern
verlegen fühlte. Ich musste die fröhliche Schar erst entfernen, bevor
sie sich behandeln Hess. Vor dem Arzte aber zeigte sie kein falsches
Schamgefühl.
Wie verschieden dieses Gefühl hae zu werden unter den verschiedenen
Klassen der Gesellschaft entwickelt ist, kann man am besten
in den Fällen beobachten, wo ihr Egoismus stark gereizt wird. Dieses
zeigt sich z. B. bei der Bettelei, deren. sich ein jeder im Stamme,
vom Häuptling bis zur niederen Sklavin, schuldig macht: die Männer
sind im allgemeinen sowohl in ihrer Art zu bitten als in ihren A n sprüchen
bescheidener als die, Frauen. Unter diesen wussten nur die
aus der Hauptlingsfamilie sich zu mässigen ; das Betteln der Sklavinnen
und Kinder dagegen war fast unerträglich.
Um alles, was ihnen schön und wohlschmeckend erscheint, betteln
sie alle und, obgleich sie oft mit einer Kleinigkeit zufrieden sind, können
sie dem Reisenden durch ihr beständiges Betteln vom frühen
Morgen bis zum späten Abend den Aufenthalt völlig verleiden. Am
praktischsten ist es, sich für diese Gelegenheit mit billigem Tand und
leicht teilbaren Leckereien zu versehen. Ab und zu bietet es übrio-ens
einen angenehmen Zeitvertreib, so viele Menschen glücklich zuma-
chen; man erschliesst sich dabei viele Herzen und veranlasst manche
interessanten Gespräche. Wenn mir die endlose Bettelei bisweilen ganz
unerträglich wurde, stellte ich mir vor, was in einem zivilisierten Staate
aus einem Menschen werden würde, der so gut wie schutzlos in einer
offenen Hütte mit grossen Reichtümern leben wollte, und dann söhnte
ich mich mit der Bettelsucht meiner Gastherren wieder aus. Denn
wenn auch neben dieser Bettelei eine ungezügelte Neugier zu den
charakteristischen Eigenschaften der Bahau gehört, so ist es für alle
die mit den Bahau zu tun haben, noch ein Glück, dass dieses Interesse
für alles, was ihr Auge Neues erblickt, nicht wie bei anderen
Stammen in Diebereien ausartet, wodurch der Aufenthalt gefährlich
wird. Im Gegensatz zu den Europäern sind die Bahau frei von dieser