K A P I T E L IX.
Allgemeines über die Kunstäussernngen der Bahau- und KSnjastämme ^¡t Zahl und Art der in
der Ornamentik angewandten Motive - Verwendung von Menscheufiguren - Erkennungszeichen
für besummte Motive - Tierfiguren (Hund, Tiger, Rhinozerosvogel^g. Verwendung einseiner Tier-
te.le (Feder des Argusfasans, Pantherfell) - Genitalmotive Stilisierungen - Verwendung der
Motive im Kunslhandwerk: bei Hirschhorngriffen, Schwertscheiden, Bambusköchern, Kleiderverzierungen,
Perlenarbeiten — Einfluss fremder Völker und Stämme auf die Entwicklung der Kunst bei
den Bahau und Kénja.
Der Einblick in die Industrie der Bahau- und Kénjastamme, den
der Leser im vorigen Kapitel gewonnen hat, überzeugte ihn auch von
dem Drang dieser Dajak, alle Gegenstände ihrer täglichen Umgebung
durch künstlerische Verzierungen zu verschönern, Aufgabe des folgenden
Kapitels ist, zu zeigen, in welcher Weise diese künstlerische Anlage
sich bei ihnen äussert, in welcher Richtung sie sich entwickelt
hat, welche Motive die Dajak ihrer Ornamentik zu Grunde legen,
welche Vorbilder diese veranlasst haben und welche Bedeutung letztere
für sie besitzen.
Der Wunsch und die Fähigkeit, schöne Gegenstände hervorzubringen,
ist bei beiden Geschlechtern der Dajak entwickelt, nur macht
sich bei beiden eine Spezialisierung bemerkbar, die in unwillkürlichem
Zusammenhang mit ihren Hauptbeschäftigungen steht. So verzieren
Frauen vor allem die von ihnen selbst verfertigten Kleidungsstücke,
Matten, Schmucksachen, Männer dagegen Gegenstände aus Bambus,
Holz, Horn und Eisen, gewisse Teile der Häuser, Böte und Schwerter,
Dinge, mit denen sie täglich umzugehen haben. Bemerkenswerterweise
ist diese Verschiedenartigkeit der beiden Geschlechter in der praktischen
Anwendung ihres Kunstsinnes bei allen Individuen und Stämmen
zu finden; selbst dann, wenn Mann und Frau gemeinschaftlich
einen bestimmten Gegenstand zu verzieren beginnen, nimmt doch
jedes einen bestimmten Teil desselben vor. Also nicht nur in der Art
des zu verzierenden Gegenstandes, sondern auch in der Art der. Ornamentik
selbst macht sich diese Verschiedenheit bei beiden Geschlechtern
bemerkbar. Um einige Beispiele anzuführen : die geschmackvollen
Perlenarbeiten (Taf. 70——75) entstehen derart, dass die Männer die
Muster in Holz schnitzen (Taf. 69 c u. e), die Frauen dagegen nach
eigenem Geschmack in verschiedene^ Farben die Perlen darüber hinreihen.
Die Tätowierkünstlerinnen drücken die darzustellenden Figuren
mittelst Holzpatronen, welche die Männer für sie hergestellt haben,
ihren Kunden auf die Haut. Die farbigen Zeugfiguren, mit denen
die trauen ihre Kleider und die Totenausrüstungen schmücken, werden
von den Männern geschnitten. Auf den Pandanusblättern, aus
welchen die Frauen einiger Stämme Hüte flechten, bringen die Männer
mit Wasser und Russ zuvor Zeichnungen an u. s. w. Im allgemeinen
arbeiten die Männer diejenigen Dinge, deren Herstellung Formensinn
und Gewandtheit in der Handhabung von Messer, Hammer
und Meissei erfordert, die Frauen dagegen zeichnen sich durch ein feines
Gefühl für Farbenharmonie und durch Fertigkeit im Nähen, Weben
und in der löpferei aus. Da wir einen so durchgreifenden Unterschied
in der Äusserung des Kunstsinns bei den Männern und Frauen
konstatieren können, sind wir auch einigermassen berechtigt, auf eine
Verschiedenheit in der Anlage dieses Kunstsinnes bei beiden Geschlechtern
zu schliessen.
Das Kunstgefühl ist, eigentümlicherweise, unter den Gliedern dieser
Stämme viel verbreiteter und entwickelter als bei denen zivilisierter
Gemeinwesen. Weitaus die meisten Männer und Frauen sind im Stande,
ohne andere Anleitung als das Absehen von anderen, mit sehr primitiven
Werkzeugen Verzierungen anzubringen, obwohl sich auch bei
ihnen eine sehr grosse individuelle Verschiedenheit im Talent bemerkbar
macht. Die Verhältnisse, unter denen die Individuen leben, entwickeln
diese Anlage in sehr verschiedenem Masse. Sowohl Männer
als Frauen können jedes in seinem Gebiet durch Anlage und Übung
zwar einen hohen Grad von Kunstfertigkeit erreichen, doch bringen
es nur wenige zu solcher Höhe. Wie schon früher gesagt, finden meist
nur Glieder der Häuptlingsfamilien die nötige Musse, um sich eingehend
dem Kunsthandwerk zu widmen.
Bemerkenswert ist, dass sich der dajakische Kunstsinn weitaus am
häufigsten in der Pubertätszeit zu regen beginnt. Sobald bei beiden
Geschlechtern die gegenseitige Neigung einen bestimmten Charakter
angenommen hat, die Zeit dès „Hofmachens” angebrochen ist, begin